Antibürokratische, klassenkämpferische Alternative

12.09.2012, Lesezeit 5 Min.
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Gewerkschaftsarbeit muss keine Anpassung an die Gewerkschaftsbürokratie bedeuten, auch wenn viele Linke dies entweder praktisch so ausüben oder stattdessen Gewerkschaftsarbeit aus eben diesem Grund völlig ablehnen. Dass es auch ganz anders gehen kann, zeigt die klassenkämpferische Basisgewerkschaftsbewegung in Argentinien, die dort als sindicalismo de base oder auch sindicalismo clasista bekannt ist.

Unsere argentinische Schwesterorganisation PTS (Partido de los Trabajadores Socialistas – Partei Sozialistischer ArbeiterInnen) organisierte im Juli dieses Jahres eine landesweite ArbeiterInnenkonferenz, die klassenkämpferische Basisdelegierte aus hunderten argentinischen Fabriken gemeinsam mit Frauen-, MigrantInnen- und JugendaktivistInnen sowie internationalen RednerInnen zusammenbrachte[1]. Insgesamt versammelten sich mehr als 4.000 ArbeiterInnen und Jugendliche, die aus 143 Gewerkschaften und 14 argentinischen Provinzen kamen, um eine Kampagne gegen die Gewerkschaftsbürokratien und für den Aufbau einer neuen ArbeiterInnenpartei zu starten. Die Konferenz war der bisherige Höhepunkt jahrelanger Kämpfe für den Aufbau des sindicalismo de base, in dem die PTS eine herausragende Rolle gespielt hat. Gemeinsam mit unabhängigen AktivistInnen führte die PTS beispielhafte Kämpfe, wie diejenigen der Keramikfabrik FaSinPat (ehemals Zanon, seit 2000/2001), der Lebensmittelfabrik Kraft-Terrabusi 2009 oder bei der Eisenbahn von Buenos Aires 2010, und zeigte so, dass es möglich ist, antibürokratische, klassenkämpferische Strömungen in den Gewerkschaften aufzubauen.

Das bekannteste Beispiel der Basisgewerkschaftsbewegung ist wohl der Kampf bei Zanon, welcher auch international viel Aufsehen erregte[2]. Hier zeigte die PTS, wie Gewerkschaftsarbeit ohne Bürokratie aussehen kann, indem sie gemeinsam mit den ArbeiterInnen von Zanon und den anderen Keramikfabriken der Region die Führung der SOECN (Gewerkschaft der KeramikarbeiterInnen von Neuquén) übernahmen und nicht nur die Produktion in der Fabrik unter die demokratische Kontrolle der ArbeiterInnen stellte, sondern die Statuten der Gewerkschaft so veränderte, dass sie nun eine explizit klassenkämpferische Position einnimmt, alle wichtigen Entscheidungen in Vollversammlungen getroffen werden und von FunktionärInnen umgesetzt werden, deren Posten nach einem Rotationsprinzip vergeben und nur mit einem durchschnittlichen Lohn vergütet werden. Und vor allem wird die Gewerkschaftsarbeit nur als ein Sprungbrett begriffen, um politischen Einfluss auf den Klassenkampf in ganz Argentinien zu nehmen. Es ist wichtig zu betonen, dass die Gewerkschaft für alle klassenkämpferischen Strömungen offen ist und in jeder Diskussion ein offener politischer Austausch der verschiedenen politischen Gruppen, die in der Fabrik und der Gewerkschaft präsent sind, stattfindet. So werden die ArbeiterInnen durch den politischen Kampf der Strömungen direkt politisiert, anstatt dass andere Positionen bürokratisch unterdrückt werden.

Denjenigen, die den Erfolg bei Zanon/FaSinPat der außergewöhnlichen Situation in Argentinien 2001 zuschrieben, bewies spätestens der Kampf bei Kraft-Terrabusi 2009[3] das Gegenteil: Die von der PTS und unabhängigen ArbeiterInnen geführte Gruppierung Desde Abajo („Von Unten“) gewann nach einem harten Kampf für bessere hygienische Bedingungen die Wahl zum Betriebsrat in der größten argentinischen Nahrungsmittelfabrik, und zwar mit einer antibürokratischen Politik, deren zentrale Achsen die demokratische Leitung des Streiks durch allgemeine Streikversammlungen aller ArbeiterInnen und die Denunziation der bürokratischen Gewerkschaftsführung waren, die mit der Chefetage des multinationalen Unternehmens hinter verschlossenen Türen verhandelte. In bester Tradition der revolutionären Kämpfe von Córdoba 1969 wurde zudem auch hier die Einheit von Arbeitenden und Studierenden im Kampf entwickelt.

Ein drittes Beispiel des sindicalismo de base, in dem die PTS präsent ist, war der Kampf der EisenbahnerInnen der Linie Roca im Süden von Buenos Aires im Jahr 2010. Dort war die Führung der Gewerkschaft UGOFE nach der Teilprivatisierung des Eisenbahnverkehrs direkt Teil der Unternehmensleitung und befand sich während eines Arbeitskampfes von LeiharbeiterInnen direkt auf der anderen Seite der Barrikaden[4]. Zur Durchsetzung ihrer Interessen gegen die Belegschaft organisierte die Gewerkschaftsführung um den Bürokraten Pedraza bewaffnete Streikbrechertruppen, die bei einer Solidaritätskundgebung für die LeiharbeiterInnen den trotzkistischen Studierendenaktivisten Mariano Ferreyra der PO (Partido Obrero – ArbeiterInnenpartei) erschossen. Über Monate hinweg kämpfte die PTS gemeinsam mit unabhängigen ArbeiterInnen der Basisgewerkschaftsgruppe Lista Bordó („Bordeaux-farbene Liste“) für die Verurteilung des Gewerkschaftsbürokraten Pedraza und für die Festeinstellung der LeiharbeiterInnen. Aufgrund des politischen Drucks des sindicalismo de base, von dem die PTS ein Teil ist, wird Pedraza in diesen Monaten der Prozess gemacht.

Doch die erwähnten Kämpfe sind nur kleine Beispiele des Aufstiegs der klassenkämpferischen Basisgewerkschaftsbewegung in Argentinien insgesamt. Diese Bewegung erreicht inzwischen hunderte Fabriken und führt einen heldenhaften Kampf gegen die kollaborationistische Gewerkschaftsbürokratie. Hierbei versucht sie stets, die besten Elemente für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen und eine lebendige ArbeiterInnendemokratie in den Betrieben aufzubauen. Dabei ist das Anliegen der PTS, wie die Forderung der eingangs erwähnten Konferenz nach dem Aufbau einer ArbeiterInnenpartei deutlich zeigt, die Kämpfe nicht auf betrieblicher Ebene stehen zu lassen, sondern den sindicalismo de base zu einer politischen Kraft auf nationaler und internationaler Ebene aufzubauen. Dies als Teil des Projektes, die wichtigsten Lehren der Vergangenheit der ArbeiterInnenbewegung aufzuheben und für heute nutzbar zu machen, um in den Kämpfen der ArbeiterInnen Erfahrungen der Selbstorganisierung und revolutionäres Bewusstsein zu verbreiten.

Fußnoten

[1]. Für einen Bericht auf Spanisch siehe: http://www.ft-ci.org/article.php3?id_article=5594.

[2]. RIO: Broschüre Nr. 6: Zanon gehört den ArbeiterInnen!

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