Alle sind Teil der Universität

23.09.2019, Lesezeit 8 Min.
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Lateinamerikanische Migrant*innen verteidigten sich in London erfolgreich gegen Outsourcing. Was können wir von ihrem Kampf für den der Reinigungskräfte an der Alice Salomon Hochschule Berlin lernen?

Es ist der heißeste Tag seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen. Die gebürtige Kolumbianerin Consuelo Moreno hatte wie jeden Werktag das Haus bereits um 3 Uhr nachts verlassen. Als sie anfing, Flure und Büros der Londoner Universität School of Oriental and African Studies (SOAS) zu wischen, war die Sonne noch nicht aufgegangen.

„Mir gefällt diese Arbeit“ erzählt sie, während wir Stunden später in der prallen Mittagssonne stehen. An sich habe sie nie ein Problem damit gehabt, Reinigungskraft zu sein – mit der geringen Entlohnung ihrer Arbeit aber schon. Moreno ist eine von drei Arbeiter*innen, die deshalb 2006 die „Justice for Cleaners (J4C)“-Kampagne starteten.

Die Kampagne reiht sich in eine lange Tradition ein: Während zu Beginn der 1990er Jahre lateinamerikanische Hausmeister*innen in den Vereinigten Staaten gegen Outsourcing kämpften, migrierten gegen Ende des Jahrzehnts viele Latein- und insbesondere Südamerikaner*innen ins Vereinigte Königreich. Dort wollten sie Arbeit finden, um ihren Familien Geld zukommen zu lassen und ihren Kindern so eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Wie in allen postfordistischen Ökonomien war Outsourcing im Rennen um die geringsten Produktionskosten schon damals eine sehr beliebte Form der Anstellung geworden. Und schon damals war die Spaltung zwischen ausgelagerten und direkt von Institutionen angestellten Arbeiter*innen eine hochgradig rassistische. So waren es vor allem Migrant*innen, die für Subunternehmen arbeiteten. Auch die meisten Ende des Jahrhunderts Gekommenen begannen also, in ausgelagerten Niedriglohnsektoren wie der Reinigung und dem Catering zu arbeiten. 

Das Land der vielen Möglichkeiten und Menschenrechte, von dem Moreno zuvor gehört hatte, entpuppte sich als Land der vielen Ungerechtigkeiten. Ähnlich heuchlerisch war ihre Arbeitgeberin: die sich als kritisch und politisch, feministisch und antirassistisch gebende Hochschule unterschied sich nicht von anderen Arbeitgeber*innen. Im Winter wurden Gebäude nachts nicht beheizt, Arbeiter*innen stundenlang vom Management beobachtet, man gab ihnen viel zu große Uniformen, ließ sie nicht in die Pausenräume der anderen Beschäftigten und teilte ihnen wochenlang Schichten im Keller zu.

„Die Subunternehmen haben sich immer darauf bezogen, dass es ja nicht unzulässig sei, was sie tun. Es war auch nicht unzulässig. Es war unmoralisch“ sagt Hamish Anderson, SOAS Alumni 1 und jetzt Teil der von prekären, migrantischen Arbeiter*innen gegründeten Gewerkschaft Independent Workers of Great Britain (IWGB) arbeitet. Etablierte Gewerkschaften wie UNISON, von der sich die IWGB 2012 abgespalten hatte, versteckten sich lange hinter dem Argument, dass es aufgrund von Sprachbarrieren zu schwierig sei, Reinigungskräfte zu organisieren. Anderson weiß, was Gewerkschaftssekretäre, die 50.000 Pfund im Jahr verdienen und in ihrer Mittagspause mit Manger*innen der Eliteuniversitäten Golf spielen gehen, beschäftigt: „Sie wollen einen Fall gewinnen, in dem eine Frau nicht befördert worden ist, weil sie eine Frau ist. Das ist ein liberales Gleichheitskonzept: es geht darum, die ausbeutende Klasse zu diversifizieren“.

In den ersten zwei Jahren erkämpften die mehr als 60 Reinigungskräfte eine Anhebung des damaligen Mindestlohns von 5,70 auf 7,20 Pfund. Das passte der Universität gar nicht in den Kram. So ließen Repressionen nicht lange auf sich warten: am 12. Juni 2009 hatte das Management mit dem Vorwand, technische Dinge in Bezug auf den Wechsel der Reinigungsfirma klären zu wollen, zu einer Versammlung geladen. Gleichzeitig rief es ca. 40 UK-Border-Agency-Beamte, die dann aus dem verriegelten Hörsaal heraus neun Reinigungskräfte direkt festnahmen, in Abschiebehaft brachten und infolgedessen in ihre Heimatländer zurückführten. Sie hatten keine gültigen Ausweisdokumente. Unter den Abgeschobenen: eine Frau, die im sechsten Monat schwanger war.

Da es damals in England viele Arbeitslose gab, auf die Unternehmen einfach zurückgreifen konnten, waren illegalisierte Migrant*innen in dieser Zeit besonderer Willkür ausgesetzt. Um jeden Arbeitsplatz konkurrierten so viele Arbeiter*innen, dass Unternehmer*innen schnell begannen, jene anzustellen, die ihnen am wenigsten Kosten verursachten. Diese waren aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation jedoch so austauschbar, dass Unternehmer*innen sie genauso schnell wieder entließen, sobald sie sich zum Beispiel gewerkschaftlich organisierten. „Damals war es genauso falsch wie es heute ist zu behaupten, Migrant*innen würden einem die Jobs wegnehmen“ erklärt Anderson. „Wer das sagt, könnte den Platz, den sie in der Arbeitsteilung haben, niemals einnehmen“.

Solidarität der Student*innen mit den Reinigungskräften

Student*innen besetzen damals infolge der Abschiebung das Büro des Direktors. Die solidarische Studentenschaft spielte spätestens seitdem eine wichtige Rolle. Viele der Reiniger*innen mussten noch weiteren Jobs nachgehen. Weil die meisten Student*innen also deutlich mehr (Frei-)Zeit hatten, übernahmen sie aufwendige Aufgaben wie Öffentlichkeitsarbeit oder Übersetzungen. „Student*innen kommen aber auch einfach mit mehr davon. Sie können ja nicht so einfach gefeuert werden“ erläutert Anderson. Sie seien Manager*innen daher von morgens bis abends mit einem Megafon in der Hand hintergelaufen, haben ihnen furchtlos die Fragen der Beschäftigten gestellt, wie Hogwarts Harry Potter Tausende von Briefen zukommen lassen, während ihren Meetings lautstark vor der Tür protestiert und zu Prestigeveranstaltungen akademische Boykotts organisiert.

„An den Tag des Verbrechens erinnern wir uns als wäre er gestern gewesen“ sagt Moreno über den Polizeieinsatz. Sie sagt auch, dass es der Schmerz und die Wut war, die ihr und ihren Kolleg*innen die Kraft gab, weiterzukämpfen. Es begann mit den Drei Dingen (las tres cosas): Krankengeld, Urlaub und Rente. 2012 verliehen sie ihren Forderungen in einem dreitägigen Streik Ausdruck. Dass ihr Kampf mindestens so lange weitergeht, bis die SOAS Outsourcing endgültig beendet hat, ließ sie schon damals durchscheinen: „Ich habe die Universität dazu aufgefordert, endlich zu verstehen, dass wir ein Teil von ihr sind und sie uns die gleichen Verträge wie allen anderen geben müssen“. Im Wissen, dass auch sie früher oder später ausgelagert werden würden, zeigten andere sich so solidarisch, dass 2015 der Kampf gegen Outsourcing an sich erklärtes Hauptziel der Kampagne wurde. Aus „Justice for Cleaners“ wurde „Justice for Workers“.

Da englisches Streikrecht seit der Thatcher-Ära mindestens so kompliziert ist wie deutsches, stellte Streiken auf dem Weg zum In-Housing nur eine der Taktiken dar. In 13 Jahren J4C wurde nichts unversucht gelassen. Student*innen haben Frühstücke organisiert, damit sich die Beschäftigten, die zu sehr verschiedenen Zeiten arbeiteten, kennenlernen konnten. Sie schmissen Soliparties, um die anfallenden (Material-)Kosten stemmen zu können. Sie errichteten eine Streikkasse, die es vielen erst ermöglichte, ihre Arbeit niederzulegen. Sie plakatierten den ganzen Campus. „Das war alles immer von den Arbeiter*innen gewollt“ betont Dimitri Cautain, der lange Vorsitzender der Student Union war. Bei den Kampagnentreffen wurde immer als Erstes über Updates der Arbeiter*innen gesprochen. Ausgehend von diesen wurde dann immer gemeinsam erörtert und entschieden, was getan werden muss und kann.

Der Sieg kam für alle unerwartet. Im August 2017 verkündete die Universität auf einmal, alle Reinigungskräfte, Mensa-Angestellten und Securities direkt anzustellen. Heute ist kein Bereich mehr ausgelagert. Moreno sieht mir an, wie sehr ich staune. Ich erzähle ihr, dass auch die Beschäftigungspraxis der Alice Salomon Hochschule (ASH) ein anderes Bild als das ist, was sie selbst von sich zeichnet. Anfang Juli hatten zwei Reinigerinnen in einem Interview über die katastrophal prekären Arbeitsbedingungen, in die sie die vermeintlich soziale Universität drängt, gesprochen. Wie die SOAS bis vor Kurzem hat die ASH die Reinigung – ein Bereich, in dem auch in Deutschland in erster Linie migrantische Frauen arbeiten – ausgelagert. Moreno hört mir aufmerksam zu und sagt schließlich: „Nena, wenn wir es schaffen konnten, könnt ihr das auch“.

Dieses Interview erschien zuerst in der Ausgabe Nr. 652 der Monatszeitung analyse & kritik vom 17. September 2019.

Fußnoten
(1) Hamish Anderson wurde aufgrund von seiner Beteiligung an Protesten im Rahmen des Streiks von Lehrbeauftragten 2018 der Universität verwiesen und ist deshalb im technischen Sinne kein SOAS Alumni.

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