AKUT München: Junge Krankenhaus-Beschäftigte organisieren sich selbst

07.11.2019, Lesezeit 7 Min.
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Wir sind eine Gruppe junger Beschäftigter an Münchener Krankenhäusern. Die Arbeitsbedingungen und die Versorgungsmöglichkeiten im Gesundheitssystem werden immer schlechter, der Profitwahnsinn wird immer extremer – die Politik hat keine Antworten, Initiativen zur Verbesserung scheitern. Deshalb organisieren wir uns selbst, als direkt Betroffene. Denn wir haben gemeinsam mehr Kraft als wir denken. Wir arbeiten jeden Tag in diesem System, wir wissen, wo die Probleme genau liegen – deshalb können auch wir sie am besten selbst bekämpfen.

Foto: Streik an der Charité Berlin 2015

Gesundheit für Profite oder für Menschen?

Das deutsche Gesundheitssystem ist längst ein profitorientierter Sektor. Das wird durch das DRG-System (Fallpauschalen) deutlich, aber zieht sich von der Personalpolitik über die Ausbildung durch alle Bereiche der Kliniken. Durch die Gewinnmaximierung kann das Allgemeinwohl nicht ausreichend gesichert werden, weder für Patient*innen noch für die Belegschaft. Wir alle, ob Pfleger*innen, Ärzt*innen, Hebammen, Reinigungskräfte, Pädagog*innen, Azubis oder Studierende, sind von Personalmangel und hohen Arbeitsbelastungen bei Niedriglöhnen betroffen. Die Sparpolitik in den Kliniken führt verstärkt zu Maßnahmen wie Outsourcing und Zeitarbeit, wodurch die Belegschaft gespalten wird.

Deutschlandweit organisieren sich bereits viele von uns, um für bessere Bedingungen zu kämpfen, in Streiks, die auch Erfolge zeigen: An über einem dutzend Krankenhäusern wurden von gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten schon höhere Personalschlüssel erkämpft, unter anderem in Augsburg. Daran nehmen wir uns ein Beispiel, vernetzen uns mit ihnen, um selbst auch gehört zu werden! Zu unseren Zielen gehört insbesondere eine massive Erhöhung des Personals, wofür die Arbeitsbedingungen verbessert werden müssen, damit überhaupt Menschen in der Pflege arbeiten wollen und die Arbeit erträglich ist. Um unsere Ziele zu erreichen, wollen wir uns über die Spaltungen in verschiedene Statusgruppen hinaus zusammen organisieren.

Lassen wir uns nicht spalten!

Die aktuellen Strukturen der Gesundheitsversorgung verursachen zusätzliche soziale Ungleichheiten. Besonders Frauen und Migrant*innen haben Grund zu kämpfen und bilden daher oft die erste Reihe von Arbeitskämpfen, die uns alle voran bringen. In der Pflege arbeiten 80 Prozent Frauen, zusätzlich stehen Frauen häufiger als Männer unter einer Doppelbelastung: Neben der Lohnarbeit sind sie häufiger für die Versorgung von Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen verantwortlich. Auch an dieser Stelle versagt das Gesundheitssystem – unbezahlte Care-Arbeit ist fester Bestandteil der Gesellschaft. Bei den Arbeitsbedingungen von Hebammen wird besonders deutlich, wie sehr die Interessen von Beschäftigten und Frauen zusammen fallen, und dass unsere Arbeit eine sehr politische Frage ist. Alle reden zwar von Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber wir fordern umfassende Kinderbetreuung mit guten Arbeitsbedingungen.

Unsere migrantischen Kolleg*innen leiden häufig unter noch schlechteren, unsicheren Arbeitsbedingungen als deutsche. Viele miese Jobs wie in der outgesourcten Reinigung werden an Kolleg*innen ohne deutschen Pass vergeben, weil sie vermeintlich leichter auszubeuten sind. Das ist aber nicht der Fall, wenn wir geeint kämpfen. Daher sind wir nicht nur entschieden gegen die Spaltung in verschiedene Tarifgruppen und Unternehmen, sondern fordern auch gleiche Rechte für alle. Außerdem fordern wir einen Tarifvertrag, der für alle gilt, und gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

Die Zukunft von Auszubildenden und jungen Beschäftigten

Aufgrund der abschreckenden Arbeitsbedingungen kommt nicht genug Personal nach. Dadurch werden Auszubildende als billige Arbeitskräfte benutzt und junge Beschäftigte überfordert. Häufig tragen wir junge Beschäftigte und Auszubildende Verantwortung, die unsere Kompetenzen überschreiten. Die Qualität der Ausbildung nimmt ab und damit auch die Versorgung für die Patient*innen. Sowohl Auszubildende als auch Ausbildende brauchen eine höhere Personaldecke.

Hohe Fahrtkosten und teure Mieten erschweren den Start in das Berufsleben zusätzlich. Junge Menschen, die migriert oder geflüchtet sind und in der Pflege arbeiten wollen, werden durch diskriminierende Aufenthalts- und Arbeitsgesetze belastet. Wir dagegen wollen eine gute und sichere Ausbildung, in der man keine Angst um Mietzahlungen oder Aufenthalt haben muss.

Wir Auszubildende und junge Beschäftigte haben noch unser ganzes Arbeitsleben vor uns und müssen schon in der Ausbildung und beim Berufsanfang erleben, dass es so nicht weiter gehen kann. Wir möchten ein Angebot machen, wenn ihr wie wir nicht euer ganzes Leben für ein Profitsystem hergeben wollt: Organisiert euch, damit es „Ausbildungen statt Ausbeutung“ gibt und damit die Gesundheitsberufe den Menschen dienen, weshalb wir uns für diese Berufe entschieden haben.

Wie können wir etwas verändern?

Wir sollten nicht auf die Politik warten, damit etwas passiert. Das zeigt das Volksbegehren für mehr Personal in der Pflege, das vom bayerischen Verfassungsgericht kassiert wurde – trotz über 100.000 Unterschriften! Das zeigte, dass es eine riesige Solidarität für unsere Fragen in der Bevölkerung gibt, aber auch, dass Druckmittel nötig sind. Das Druckmittel, das am Ende wirkt, ist die gemeinsame Organisierung in den Häusern. Wir brauchen eine aktive Basis der Beschäftigten, die mit und in den Gewerkschaften Druck aufbaut.

Wir sind nicht für Vertretung, sondern für selber machen. Schließlich sind wir die Profis und wissen am besten, was für uns und das Gesundheitswesen gut ist. Und um wirklich etwas zu erreichen, reicht Bittstellerei nicht aus, sondern wir brauchen Streiks, die den Profiten weh tun – im Interesse der Belegschaften und im Interesse der Patient*innen. Es ist kein Problem einzelner Berufsgruppen, sondern alle, die in den Kliniken arbeiten, sitzen im gleichen Boot.

Damit gewerkschaftliche Arbeit erfolgreich ist, muss sie demokratisch sein und von der Basis kommen, von euch und uns. Deshalb rufen wir zur gewerkschaftlichen Organisierung auf und fordern, dass alle wichtigen Entscheidungen in Versammlungen von den Beschäftigten getroffen werden, nicht in Büros weitab von unserer Arbeit. Nur so können die notwendigen Kämpfe zu Ende geführt und auch über einen Tarifvertrag hinaus Erfolge erzielt werden. Notwendig ist eine Gewerkschaft, die den Beschäftigten gehört und von der Basis bestimmt wird. Die Perspektive sind politische Streiks für ein Gesundheitswesen, das angemessene, verfügbare Gesundheitsversorgung für alle Menschen gewährleistet und uns nicht ausbeutet. Einen Schritt dahin können wir schon jetzt gehen, indem wir uns der bundesweiten Streikbewegung für mehr Personal anschließen.

Komm zu unseren Treffen!

Unsere Vision ist ein nicht-kapitalistisches Gesundheitssystem. Schritte dahin sind zum Beispiel die Verstaatlichung der Einrichtungen, der Krankenkassen und der Medizin-Unternehmen unter Kontrolle der Beschäftigten. Dazu gehört neben der Erhöhung der Personaldecke eine Senkung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Dazu gehört auch, dass unsere Arbeitsabläufe und Arbeitsbedingungen nicht vom Management weit oben bestimmt werden, sondern von den Belegschaften, die die Arbeit auch machen müssen. Neue medizinische Entwicklung sollen genutzt werden, um den Lebensstandard zu erhöhen, nicht um Profite zu machen. Unsere Arbeit soll nicht krank macht, sondern erfüllend sein. Die Kliniken sollen der Gesellschaft dienen, nicht den Profiten von Wirtschaftsunternehmen.

Warte nicht auf Politik und Vertretungen, vertritt dich selbst. Werde Gewerkschaftsmitglied, organisier‘ dich darüber hinaus in Betriebsgruppen und als Kolleg*in mit uns in AKUT. Da wir im Schichtdienst arbeiten, haben wir für unsere Treffen keinen festen Termin, sondern machen ein- bis zweimal im Monat etwas aus. Du kannst uns schreiben oder ansprechen, wenn du dabei sein möchtest: akut.muc@gmail.com

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