Ägypten, Brasilien, Türkei: Heißer Juni

09.07.2013, Lesezeit 4 Min.
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Der Juni war dieses Jahr weltweit ein heißer Monat: In der Türkei, in Brasilien und in Ägypten kam dieses Mal aber keine Ferienstimmung auf, sondern die Wut der Massen. Diese Proteste hatten sehr unterschiedliche Anlässe, bezogen sich aber gegenseitig aufeinander.

Die Proteste in der Türkei und in Brasilien waren beide gegen eine Politik gerichtet, die trotz Wirtschaftswachstum und Wohlstandsversprechen für die meisten Menschen nur Verdrängung und Überausbeutung bedeutet. So konnten die vergleichsweise unbedeutenden Anlässe – die geplante Beseitigung des Gezi-Parks in Istanbul und die Anhebung der Nahverkehrspreise um 20 Centavos (ca. 7 Cent) in Brasilien – Lawinen des Protests lostreten, die die Regierung und die herrschende Klasse in den beiden Ländern in Angst versetzten. Massive Repression von Polizei und Spezialeinheiten, gepaart mit der Rücknahme der Vorhaben und sogar Versprechen zu mehr „demokratischer Teilhabe“, waren notwendig, um die Bewegungen vorerst aufzuhalten.

Die Bewegungen litten aber an zwei großen Schwächen: Sie richteten sich in keinem Moment gegen das herrschende Regime an sich, mit seiner kapitalistischen Ausbeutung und undemokratischen Institutionen, und konnten deshalb auch keine Verbindung zwischen den konkreten Forderungen der Bewegung und den grundlegenden sozialen und politischen Problemen der Bevölkerung schaffen. Außerdem trat die Arbeiter*innenklasse nicht mit ihren eigenen Organisationen und Methoden wie dem unbefristeten politischen Generalstreik in Aktion. So konnten die hinter den Anlässen liegenden wirtschaftlichen Ursachen, die in der vom Imperialismus abhängigen Wirtschaft dieser Länder fußen, nicht konfrontiert werden.

In den aktuellen Protesten in Ägypten ist dieses Problem auch präsent. Nach dem Sturz des Militärdiktators Mubarak 2011 hatte Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft letztes Jahr das Amt des Präsidenten übernommen, um den fortgeschrittensten Prozess des Arabischen Frühlings in die Bahnen eines „demokratischen Übergangs“ zu lenken. Am vergangenen 30. Juni jährte sich seine Präsidentschaft zum ersten Mal, aber die Lebensbedingungen vieler Menschen hatten sich in der Zeit weiter verschlechtert. In dieser Situationen gingen Dutzende Millionen Menschen zur angeblich größten Demonstration der Menschheitsgeschichte auf die Straße.

Aus diesem Grund sah sich die ägyptische Armee, die trotz dem Sturz Mubaraks weiterhin 40% der ägyptischen Wirtschaft und die wichtigsten Institutionen des Landes kontrolliert, zum Eingreifen gezwungen und entfernte Mursi von der Macht. An seine Stelle setzte sie einen Verfassungsrichter als neuen Präsidenten ein, der eine „technokratische“ Übergangsregierung bilden, eine neue Verfassung ausarbeiten und Neuwahlen vorbereiten soll.

Die Armee versucht damit, die Massenbewegung zu kapern und in für sie ungefährliche Bahnen zu lenken. Das gelingt ihr bisher auch, da sie große Teile der Opposition, von rebellierenden Jugendlichen der „Tamarod“-Bewegung über die bürgerliche „Front der Nationalen Rettung“ des ägyptischen Vorzeige-Liberalen El Baradei bis hin zur radikalislamistischen Al Nur-Partei hinter sich bringen konnte. Die Arbeiter*innenbewegung steht demgegenüber bisher eher am Rande der Proteste.

Dies ist die große Parallele zu Brasilien und der Türkei: Ohne die unabhängige, massenhafte Intervention der Arbeiter*innenklasse als Klasse in diese Bewegungen werden sie schnell wieder abebben, da sie sich hinter den einen oder anderen Karren der Bourgeoisie spannen lassen. In Ägypten konnten die Massen Mursi und seine Muslimbrüder vorerst von der Macht entfernen. Da sie aber dazu auf die Armee statt auf ihre eigene Stärke vertraut haben, wähnen sich die alten Schergen Mubaraks nun wieder an der Macht.

Stattdessen brauchen all diese Bewegungen, ob in Ägypten, Brasilien oder der Türkei, eine unabhängige Perspektive der Arbeiter*innenklasse, die sich jeder Vereinnahmung durch eine der politischen Varianten der herrschenden Klasse entgegenstellt und mit ihren eigenen Methoden das herrschende System konfrontiert.

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