Die Grauen Wölfe und das Wolfszeichen
Spätestens seit der EM 2024 ist der Wolfsgruß wieder ein aktuelles Thema. Doch was bedeutet er überhaupt und wie ist er entstanden?
Die Grauen Wölfe sind eine extrem rechte Organisation, die allein in Deutschland satte 18.000 Mitglieder zählt und damit hierzulande die größte extrem rechte Organisation darstellt. Ihr Wiedererkennungsmerkmal ist der Wolfsgruß. Der kleine und der Zeigefinger zeigen nach oben, Mittel-, Ringfinger und Daumen werden zusammengedrückt. In Deutschland ist das Zeichen bekannt als Schweigefuchs. Doch aus türkischer Perspektive entspricht dieses Handzeichen einer faschistischen Ideologie.
Woher kommt der Wolfsgruß und was bedeutet er heute?
Das Zeichen entstand in den 1970ern durch Mitglieder extrem rechter Parteien wie der MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) oder damals der BBP (Partei der Großen Einheit). Prominent wurde er jedoch erst 1991, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als Alparslan Türkeş auf einer Kundgebung in Baku (Aserbaidschan) mit dem Wolfsgruß begrüßt wurde. Das Zeichen kam damit in die Türkei und wurde von türkischen Faschist:innen, Nationalist:innen und selbst unter liberalen Teilen der Bevölkerung verwendet.
Der kleine Finger stelle die türkische Ethnie dar, der Zeigefinger Allah, also den Gott im Islam. Der Daumen, Mittel- und Ringfinger bilden einen Kreis, der die Erde darstellen soll und die drei Finger werden zusammengedrückt, um darzustellen, dass man „der Welt einen Stempel aufdrücken wolle“. Es symbolisiert also: Gott steht über allem, direkt danach die türkischen Ethnie, dann der Rest der Welt. Und das soll mit Gewalt und Unterdrückung passieren. Die Grauen Wölfe sind verantwortlich für hunderte Mordattentate und Anschläge gegen Minderheiten.
Von einigen Teilen der türkischen Bevölkerung und Befürworter:innen des aktuellen türkischen Regimes wird versucht, das Zeigen des Wolfsgrußes zu legitimieren und die extrem rechte Bedeutung zu verschleiern. Besonders jetzt, nachdem Merih Demiral nach Zeigen des Wolfsgrußes nach dem Spiel der türkischen Nationalmannschaft gegen Österreich von der UEFA eine Sperre von zwei Spielen kassierte. Es wird sich hierbei auf die sogenannte Asena-Mythologie bezogen, ein Ursprungsmythos der Türken, bei dem der Wolf eine zentrale Rolle spielte. Die recht offensichtlichen Bezüge zu den Bozkurts und dadurch zu national-chauvinistischen Angriffen werden bewusst verkannt.
Heute wird das Zeichen jedoch auch weit über den extrem rechten Teil der nationalistischen Bewegung hinaus benutzt. Teile der AKP-Regierung selbst und viele Oppositionsparteien, sowohl linkere als auch rechtere, benutzen das Zeichen als Ausdruck ihrer türkischen Herkunft. Viele sind sehr stolz auf ihre Nationalität und auf ihre Geschichte. Das beweist die Leugnung jeglicher Genozide und Massaker in der türkischen Geschichte wie die Massaker an Pontic-Griech:innen oder dem Genozid an den Armenier:innen. Sie haben diese Völkermorde und Massaker nie aufgearbeitet – ganz im Gegenteil sind sie in großen Teilen sogar stolz darauf.
Madımak-Massaker in Sivas
Ein gutes Beispiel dafür ist das vom Staat ignorierte und in Teilen geleugnete Sivas-Massaker. Es ereignete sich am 2. Juli 1993 in der türkischen Stadt Sivas und jährte sich somit kürzlich zum 31. Mal. Nachdem der türkische Schriftsteller Aziz Nesin auf einem alevitischen Kulturfestival die Übersetzung eines Romans veröffentlichte, der für einige konservative Muslime als ketzerisch und provozierend aufgenommen wurde, versammelte sich ein Mob von Tausenden wütenden Bürger:innen vor dem Madımak-Hotel, in dem sich Nesin aufhielt. Nach einiger Zeit wurden Brandsätze auf das Gebäude geworfen, was einen sich schnell ausbreitenden Brand nach sich zog. 35 Menschen, überwiegend alevitischen Glaubens, wurden getötet. Bei der Rettung soll die Feuerwehr massiv behindert worden sein, sogar Polizist:innen sollen der Menge geholfen und sich dadurch mitschuldig gemacht haben. Bis heute wurden nicht alle Verurteilten festgenommen und befinden sich weiterhin auf der Flucht. Auch von diesem Ereignis gibt es Bilder, auf denen Menschen vor dem brennenden Hotel den Wolfsgruß zeigen.
Dadurch, dass nahezu alle historischen und ob heutigen Parteien diese Massaker nicht nur leugnen, sondern im selben Atemzug befürworten oder gar erneut verüben wollen, ist natürlich auch in breiten Teilen der Bevölkerung ein ähnliches Verständnis verbreitet. Teilweise leugnen auch Menschen, die sich in der Türkei als links verstehen, dieselben Genozide, die alle bisherigen Regierungen und auch extrem rechte Parteien bereits leugnen. Auch ein ausgeprägter Nationalismus und Chauvinismus, also eine Politik, bei der in erster Linie die eigene Nationalität im Vordergrund steht und profitieren soll, ist in vielen linken Parteien wie der stalinistischen TKP vertreten.
Merih Demiral hat mit dem Wolfsgruß am Jahrestag des Sivas-Massakers also mehr als genug über seine Ansichten ausgesagt. Sich danach auch noch stolz vor die Kamera zu stellen und versuchen, die Aktion zu rechtfertigen, ist das perfekte Beispiel dafür, wie die Leugnung der faschistischen Bedeutung des Wolfsgrußes funktioniert. Erdoğan flog sogar extra aus der Türkei ein, um das türkische Nationalteam bei ihrem Viertelfinalspiel zu „unterstützen“, nachdem Demiral in seinen Augen „medialer rassistischer Hetze“ ausgesetzt war.
Von klein auf eingetrichtert: Nationalismus und Kriegsmentalität
Nationalismus ist auch türkischen Menschen nicht angeboren, sondern von klein auf in der Schule, an der Uni, im Beruf und im alltäglichen Leben indoktriniert. Man soll stolz auf sein Land und auf seine Herkunft sein. Ein massiver Polizeiapparat und eine bereits fest in alle Bildungseinrichtungen integrierte Militärpolitik begünstigen dieses Verständnis zunehmend. Es ist also kein Wunder, dass Nationalismus und rechtes Gedankengut in der Türkei sich viel deutlicher, klarer und offener ausdrücken, als beispielsweise der deutsche Nationalismus, der sich immer noch vergleichsweise vorsichtig zeigt, wenn auch von Zeit zu Zeit immer offener.
In den türkischen Großstädten ist es kaum möglich, 500 Meter zu gehen, ohne der Polizei zu begegnen. Die Türkei ist ein waschechter Polizeistaat unter Dauerkontrolle, stets bereit, jeden Protest im Keim zu ersticken. Dieser Zustand hat sich seit den Gezi-Protesten 2013 nie verändert. Auch das Militär ist allgegenwärtig repräsentiert: Ob mit Kriegsmuseen in jeder zweiten Stadt, mit stationierten Panzern mitten in Istanbul, etliche Serien im TV, die vom Militär handeln und die Soldat:innen als Held:innen darstellen. All das führt zu einer Festigung der Überzeugung, dass das Militär notwendig sei und gebraucht wird, um sich „vor Feinden schützen zu können“. Dabei sind die einzigen Feinde der Türkei diejenigen, die sie sich mit ihrer Kriegspolitik selbst macht.
Aber was können wir dagegen tun?
Im Falle der Türkei denken viele, dort könne nichts mehr verändert und nichts mehr erreicht werden. Dabei ist genau die jetzige Situation der Türkei ein Ausgangspunkt, der von einem Tag auf den anderen Massenproteste auslösen könnte. Um gegen die Politik der AKP-Regierung, aber auch der aller anderen bürgerlichen Parteien, muss eine radikale Lösung her: Massenstreiks. Nicht nur, um dem wirtschaftlichen Sumpf zu entkommen, den das AKP-Regime ausgelöst hat, sondern auch, um zu verstehen, wie stark die Einheit der Arbeiter:innen wirklich ist. Denn mit ein paar Hunderten auf autonomen Protesten wird sich die Politik nicht ändern – aber mit Hunderttausenden, die systemrelevante Orte wie Krankenhäuser, Schulen, Großkonzerne, etc. bestreiken, kann eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erzwungen werden. Mit Streiks kann die Regierung besiegt werden.
Ein Verbot der Grauen Wölfe in Deutschland wird keine Verbesserung der Zustände und Minderung der Taten mit sich bringen. Denn um Rassismus, Nationalismus und jegliche andere Formen der Unterdrückung abzuschaffen, muss der Auslöser dieser Probleme abgeschafft werden: Die chauvinistische, nationalistische, rassistische, rechte Regierung.
Tags: Graue Wölfe, Türkei, Bozkurt