Die Wohnungsfrage

12.09.2018, Lesezeit 5 Min.
1

Mietpreisbremse abschaffen, den sozialen Wohnungsbau reduzieren und die „Kräfte des Marktes entfesseln“: Die neuesten Forderungen aus Berlin und der wachsende Widerstand gegen die neoliberale Stadtentwicklung.

Ende August veröffentlichte der Beirat des Wirtschaftsministeriums ein Gutachten, welches die Mietpreisbremse und den sozialen Wohnungsbau für ungeeignet im Kampf gegen steigende Mieten bezeichnet. Bei der Vorstellung des Papiers in Berlin erklärt der Konstanzer Ökonom Friedrich Breyer, Mieter könnten froh sein, dass die Mietpreisbremse immer noch nicht funktioniert. „Würde die Mietpreisbremse wirken, wäre die Wirkung verheerend“, so Breyer. Demnach würde durch gebremste Mieten die Nachfrage nach jeder einzelnen Wohnung steigen. Zudem würde der Anreiz zum Bau neuer Wohnungen sinken, weil weniger Profit erwirtschaftet werden könne. Auch den sozialen Wohnungsbau würden die 36 Ökonom*innen am liebsten komplett einstampfen. Die Marktradikalen warnen vor „sozialen Gettos“, welche an Stadträndern im großen Stil entstünden

Nach dem Motto „Der Markt regelt das schon“ schlägt der Beirat gelockerte Bauvorschriften, eine Senkung der Grundgewerbesteuer, mehr Anreize Bauland auszuweisen und zu privatisieren sowie die Umwandlung von Acker- in Bauland vor. Zudem solle das Wohngeld erhört werden, um besonders bedürftige Menschen vor der Wohnungslosigkeit zu bewahren. Dabei bleibt jedoch offen, wie erhöhtes Wohngeld zu mehr bezahlbaren Wohnungen führen soll.

Die Forderungen des Beirates sind ein Schlag ins Gesicht jener, die sich das Wohnen in ihrem Viertel nicht mehr leisten können, die von Verdrängung bedroht und von sozialer Segregation und Ausgrenzung betroffen sind. Die Forderungen stammen aus den Tiefen der neoliberalen Mottenkiste.
So ist es kaum verwunderlich, dass FDP-Chef Christian Lindner das Gutachten begrüßt und sich über kritische Stimmen empört. Bundesjustizministerin Katarina Barley von der SPD hält die Forderungen des Beirats für unverantwortlich. „Investoren sind in erster Linie am Profit orientiert und nicht am wirklichen Bedarf etwa für junge Familien und Rentner.“ Auch der Deutsche Mieterbund und der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisieren das Gutachten. “Wir sehen ja gerade, was die Kräfte des Marktes anrichten“, sagte der Direktor des Mieterbundes Lukas Siebenkotten. „Gerade deshalb ist eine Mietpreisbremse so wichtig.“ Sie lasse sich bislang bloß zu leicht umgehen. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell warnte, durch die Ratschläge des Beraterkreises sei eine weitere Spaltung der Gesellschaft vorprogrammiert.

Ausverkauf der Städte

In der Vergangenheit griff der Staat immer wieder ein, um die Ungleichheit in der Wohnungsfrage auszugleichen und den „sozialen Frieden“ zu gewährleisten. Seit den 1980er Jahren ist jedoch eine Wende zu erkennen. Der Staat zog sich aus der Wohnraumversorgung zurück und der Neoliberalismus hielt Einzug in die deutsche Wohnungspolitik. 1987 gab es in Westdeutschland noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen, 2001 waren es nur noch halb so viele. In den letzten zehn Jahren reduzierte sich die Anzahl der Sozialwohnungen bundesweit jährlich um 100.000.

Die Stadt wurde zu einem Spielplatz der Investoren und Immobilienhaie. Bei Neuvermietungen stiegen die Preise in den vergangenen zehn Jahren in München um 40 Prozent und in Berlin um fast 70 Prozent. Die Einstellung „Der Markt regelt das schon“ führt offensichtlich nicht zu steigenden Gehältern und bezahlbarem Wohnraum.

Die Ursache dafür liegt in der Funktionsweise des Wohnungsmarkts. Wohnungen sind für Investoren vielversprechende Kapitalanlagen. Ziel ist es dabei, eine möglichst hohe Rendite zu erlangen. Dadurch entsteht der Druck, den Profit durch Mietsteigerung und Luxussanierung zu erhöhen. Die daraus resultierende Gentrifizierung ist ein Aufwertungsprozess, welcher den Austausch der Bevölkerung für seinen Erfolg voraussetzt. Das bedeutet, dass die Verdrängung der einkommensschwachen Bevölkerungsschichten bewusst vorangetrieben wird, um die Grundstückspreise in die Höhe zu treiben und teurere Mieten einzustreichen.
Ehemalige Arbeiter*innenviertel verwandeln sich in schicke Stadtteile für die Mittel- und Oberschicht. Als Folge dieser Marktlogik ergibt sich, dass die Nachfrage nach günstigen Wohnungen nicht erfüllt wird. Geringverdienende werden an den Stadtrand verdrängt.
Das Gutachten des Beirats des Wirtschaftsministeriums offenbart die feuchten Träume der Investoren. Auch wenn die Forderungen heute vom Koalitionspartner SPD kritisiert werden, wären sie eine Fortführung der aktuellen politischen Ausrichtung.

Die Stadt als Fabrik und Ort des Widerstandes

Die neoliberale Stadtentwicklung trifft auf Widerstand. Die letzten Jahre waren geprägt von urbanen Bewegungen wie der Mieteninitiative Kotti&Co in Berlin oder den Protesten gegen die Bebauung des Gezi-Parks mit einem Einkaufszentrum in Istanbul. Aus urbanem Widerspruch wurden antiautoritäre und antikapitalistische Kämpfe. Diese richten sich gegen das nächste Luxushotel im öffentlichen Raum, gegen Mietsteigerung, Verdrängung und den Verlust gewachsener städtischer Kultur. Sie richten sich auch gegen rassistische Polizeikontrollen, Abschiebungen und Bettelverbote.

Der Soziologe und Marxist Henri Lefebvre analysierte bereits in den 1960er Jahren, dass die Auseinandersetzungen um das »Recht auf Stadt« eine zentrale Rolle in zukünftigen Klassenauseinandersetzungen spielen wird. Es ist der Kampf um die Stadt selbst. Es ist der Kampf all derer, die sie bauen und zu einem lebendigen Organismus machen – also aller Menschen die urbanes Leben produzieren und reproduzieren. Arbeiter*innen sind heute Teil einer breiteren Klassenkonfiguration, im Kampf um die Metropolen.

Wenn die Stadt unsere Fabrik ist, sind Güter, Infrastruktur und Wohnungen die Produktionsmittel. Wir brauchen eine kollektive Aneignung der in privater Hand liegenden und unter dem Zwang der Kapitalverwertung stehenden Mittel.

Wir brauchen keinen entfesselten Markt! Wir brauchen eine radikale Vergesellschaftung unserer Städte!

Mehr zum Thema