1. Mai in Frankreich: Gelbe und rote Westen in riesiger Zahl gegen Macron

03.05.2019, Lesezeit 8 Min.
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Für die Regierung war der 1. Mai 2019 in Paris ein Test: Die Gelbwesten sollten nicht mehr als kraftvolle soziale Opposition gegen Macron erscheinen. Angriffe der Polizei, einschließlich auf den Gewerkschaftsblock, sollten die Moral der Gelb- und Rotwesten brechen. Doch diese antworteten mit einer besonders großen Mobilisierung.

Foto: LP/Olivier Corsan

Der Krieg der Zahlen hat bereits begonnen, aber dieses Mal scheint eher die soziale Bewegung zu gewinnen. Angesichts der Zahlen in Presse und Medien – „doppelt so viele wie am 1. Mai 2018“ laut BFMTV, „die stärkste Mobilisierung seit sieben Jahren!“ laut Ouest-France – musste der Innenminister mehrfach seine Angaben zu den Teilnehmer*innenzahlen anpassen: Zunächst hatte er 16.000 Teilnehmer*innen in Paris verkündet, am Tagesende schließlich 22.000 Teilnehmer*innen. Die Wahrheit für Paris wird sich wahrscheinlich zwischen den Erhebungen seitens der Medien – 40.000 – und denen des Gewerkschaftsverbandes CGT – 80.000 – befinden. In Frankreich insgesamt hätten laut CGT an die 310.000 Teilnehmer*innen demonstriert. Damit handelt es sich um einen der stärksten Mobilisierungserfolge seit dem 22. März 2018.

Trotz der Polizeirepression

Im Schatten der Ankündigungen der „Großen Debatte“ verärgern diese Zahlen vor allem die Exekutive, die an diesem 1. Mai alles gegeben hat. So wurden zum Stören der Veranstaltung schon bei der Ankunft der Demonstrant*innen an den Pariser Bahnhöfen über 17.700 präventive Kontrollen durchgeführt. Dazu zählen Körperkontrollen, Beschlagnahmung von „Waffen“ wie u.a. Kamerazubehör, Helme oder Gelbe Westen. Ein Dutzend U-Bahnlinien waren außer Betrieb, und eine eindrucksvolle Anzahl Polist*innen wurde als Ausdruck der neuen Strafverfolgungstechnik aufgefahren, schon vor der Aufstellung der Demonstrationsblöcke am Fuße des Turmes Montparnasse, wo die Demonstrant*innen sich mittags zu formieren begannen.

Da es den Polizeistaffeln angesichts der hohen Teilnehmer*innenzahl nicht gelang, die Proteste ganz zu blockieren versuchten sie gezielt, die Gelbwesten von den Rotwesten der CGT zu trennen. Die Blöcke von CGT und Solidaires wurden gegen 14 Uhr Ziel eines Polizeiangriffes – ein außergewöhnlicher Fall –, der so weit ging, den CGT-Chef Martinez mit Pfefferspray zu besprühen. Er musste sich zeitweilig von der Demo entfernen, bevor er später erneut teilnehmen konnte. Dies wird von Médiapart bestätigt: „sowohl der offizielle Block der CGT als auch der Lautsprecherwagen der Gewerkschaft Solidaires wurden direkt von den Sicherheitskräften angegriffen.“ Nach Aussage von Médiapart ist dieses Vorgehen neu.

„Präventive“ Kontrollen, Körperdurchsuchungen, die Absicht, die gesamte Demonstration zu kesseln… Die eigentliche Botschaft am Ende der „Großen Debatte“ war: Jede Opposition gegen Macron wird durch Schlagstöcke und polizeiliche Einschüchterung bekämpft.

Castaner will aus der „Aufrechterhaltung der Ordnung“ Kapital schlagen

Am 1. Mai haben sich Szenen wie der Brandanschlag auf das Nobelrestaurant Fouquet’s vor einigen Wochen nicht wiederholt. Und das auch zum Glück für die Regierung, angesichts der unglaublichen polizeilichen Maßnahmen zum Schutz des Restaurants Rotonde, in dem Emmanuel Macron 2017 seinen Sieg feierte. So fand das chaotische Szenario von Paris als einer „Hauptstadt des Aufstands“, wie es von der Regierung heraufbeschworen wurde, nicht statt.

Aber wenn die Ordnung aufrechterhalten werden konnte, dann nur zum Preis einer Belagerung der Hauptstadt und einer Kesselung der Demonstration. Die Polizeikräfte hörten vor und während der Demonstration nicht auf, die Blöcke zu trennen, und versuchten, eine Spaltung zwischen Gelb- und Rotwesten herbeizuführen. Trotz der Provokationen konnten die Demoblöcke nicht nur starten, sondern die Demonstrant*innen marschierten geschlossen, auf demselben Demonstrationsweg und standen derselben Repression gegenüber.

Castaner beschuldigt Demonstrant*innen, ein Krankenhaus angegriffen zu haben

„Menschen griffen ein Krankenhaus an, Krankenschwestern mussten die Intensivstation stützen, unsere Polizei intervenierte sofort, um die Intensivstation zu retten“, reagierte Innenminister Christophe Castaner an diesem Mittwochabend aus dem Krankenhaus Pitié-Salpêtrière.

Diese von den Mainstream-Medien vermittelte Version unterscheidet sich jedoch stark von derjenigen, die in den vielen Videos und einigen Zeugnissen von Demonstrant*innen präsentiert wird, wie sie insbesondere in diesem von David Dufresnes vermittelten Video zum Ausdruck kommt. Ein Zeuge erklärt ihm per E-Mail:

Ich sah diese Demonstrant*innen am Eingang des Spitals von Pitié-Salpêtrière, die Zuflucht suchen wollten, weil eine Reihe von CRS von der Spitze des Boulevards kam, und dann entdeckte die Kommissarin diese Menschen am Eingang, sie befahl ihren Polizisten, hereinzukommen und diese herauszutreiben, und genau da beginnt das Video.

Wenn sich also für das Innenministerium daraus der „Angriff“ auf das „Krankenhaus“ ergibt, unterscheidet sich diese Version deutlich von den vielen Videos der Szene.

Das As im Ärmel „Krankenhausangriff“ wäre auch nicht neu für eine Regierung. Tatsächlich reicht es aus, auf 2016 mit der berühmten „Zerstörung“ des Necker-Krankenhauses im Jahr 2016 zurückzugehen, die nur eine Geschichte der politischen Manipulation war. Auf jeden Fall ist eine solche Geschichte sehr nützlich, um ein Strohfeuer zu errichten und die Aufmerksamkeit auf die berühmten „Randalierer“ und nicht auf die Anzahl der Demonstrant*innen zu lenken.

Gewerkschaften von der Polizei angegriffen

Während der gesamten Demonstration waren die Provokationen der Polizei durchgängig. Mehrere Polizeiangriffe richteten sich speziell gegen Gewerkschaftsorganisationen, darunter sowohl die CGT als auch Solidaires. „Die Polizei hat die CGT angegriffen, Granatenschüsse haben sogar unseren Lautsprecherwagen getroffen!“, sagte Philippe Martinez, Chef der CGT. „Wir wurden durchgängig von der Polizei schikaniert“, sagte Eric Beynel, Sprecher von Solidaires. Sud-Rail-Aktivist*innen und ihr Lautsprecherwagen wurden mit Tränengas angegriffen. Es sind daher offensichtlich nicht die „Randalierer“, die „den Gewerkschaftsorganisationen ihre Feier vermiest haben“, wie Castaner behauptet.

Die Zeitung L’Opinion rechtfertigt diese Repression mit der Feststellung, dass es zu einer „Infiltration von Gewalttätern in die Demonstrationsblöcke, insbesondere der CGT, kommt“. Die Polizeigewerkschaft Alliance sagt es noch deutlicher: „Philippe Martinez ist Teil des Kollateralschadens“. Die Regierung versucht, eine klare Botschaft zu vermitteln: Es handelte sich um polizeiliche Provokationen, um den Zusammenschluss von gelben und roten Westen zu sprengen. Ziel war es, das Szenario vom 1. Mai 2018 zu wiederholen, als die Führung der CGT die Demonstration aus eigenem Antrieb in zwei Teile geteilt hatte.

Eine zweite Interpretation könnte sein, dass die Regierung bestrebt ist, die CGT zu demütigen, der den „sozialen Dialog“ liebt, aber nicht Teil von Macrons Plänen ist. „Auf die Frage nach einer möglichen Einladung in den Präsidentenpalast sagte der Generalsekretär der CGT jedoch, dass er keine Anrufe erhalten habe…“, sagt die Zeitung Marianne. Tatsächlich hat die Regierung heute angekündigt, dass Laurent Berger vom Gewerkschaftsverband CFDT am 6. Mai im Präsidentenpalast empfangen wird. Laurent Berger sagte heute in seiner Rede, dass „die praktischen Details noch nicht festgelegt sind, aber wir werden fast alle Themen, die wir mit 19 Organisationen aufgelistet haben, diskutieren. Schließlich öffnet sich die Tür der Exekutive, es liegt an uns, den Fuß hineinzuschieben.“ Die CFDT-Führung zeigt einmal mehr, dass sie bereit ist, alles zu tun, um über das Gewicht ihrer Ketten zu verhandeln und sogar die Gewalt zu „verurteilen“, die am 1. Mai noch nicht einmal stattgefunden hat.

Vorbereitung des „Akt 25“, dann des 9. Mai, mit dem Streik im öffentlichen Dienst

Die Chancen zum Zusammenschluss und zur Erneuerung der sozialen Bewegung im Mai stehen gut. Die Demonstration am 1. Mai war nicht die Enttäuschung, die sich die Regierung erhofft hatte – im Gegenteil, die Mobilisierung war sehr wichtig, vor allem im Hinblick auf das letzte Jahr.

Sie wurden weder geteilt noch blockiert: Den Gelb- und Rotwesten gelang es trotz des extremen Polizeiaufgebots und der zunehmenden Polizeigewalt gegen Aktivist*innen, massiv zu marschieren. Der 9. Mai, der Tag des Streiks im öffentlichen Dienst, könnte der nächste Meilenstein sein, um die Methode des Streiks zu etablieren, die Teilnehmer*innenzahlen zu erhöhen und eine gemeinsame Mobilisierung aller Sektoren – das „Tous ensemble“ – aufzubauen, mit dem wir Macron zurückschlagen können.

Dieser Artikel bei Révolution Permanente.

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