Zweiter Offener Brief an die PSG

28.11.2012, Lesezeit 6 Min.
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// Mit Hilfe des Urheberrechts zur Revolution? //

Liebe GenossInnen der Partei für Soziale Gleichheit,

nachdem wir am 7. November einen offenen Brief an euch gerichtet hatten, sind nun zwei Mitglieder der PSG am 15. November zu unserer Veranstaltung gekommen. Die beiden GenossInnen haben nicht an der Diskussion über die Oktoberrevolution teilgenommen, sondern sind gleich nach einer kurzen Stellungnahme bezüglich ihres Beharrens auf dem Urheberrecht und ihrem Vorgehen gegenüber uns gegangen. Wir schreiben erneut einen offenen Brief, da wir weiterhin ArbeiterInnen und Jugendlichen die Möglichkeit geben wollen, sich ein besseres Bild von der PSG und RIO zu machen. Wir laden euch ein, dies ebenfalls zu tun.

Wir begrüßen es, dass die GenossInnen der PSG sich grundsätzlich bereit gezeigt haben, gemeinsam eine große Vorführung des Filmes „From Tsar to Lenin“ zu zeigen. Wir würden vorschlagen, dass wir das im kommenden Monat in einem großen Hörsaal an einer Berliner Universität organisieren. Dieses Projekt muss nicht auf unsere beiden Gruppen beschränkt bleiben, sondern kann weitere Gruppen und Einzelpersonen einbeziehen, die sich positiv auf den Film beziehen. Um die Gefahr zu vermeiden, dass politische Differenzen verwischt werden könnten, sollte jede beteiligte Gruppe ein kurzes Eingangsreferat halten.

Die GenossInnen forderten allerdings eine finanzielle Beteiligung an den Kosten des Filmes. Das machen wir gern. Der Film ist im Jahr 1937 (vor 75 Jahren) produziert worden – die Workers‘ League kaufte die Rechte an dem Film im Jahr 1973 (vor 39 Jahren). Bitte erklärt uns, welche Kosten noch offen sind. Wir hätten gedacht, dass diese Kosten längst abbezahlt wären (zudem wir einiges über die Finanzquellen der ICFI in diesem Jahrzehnt gelesen haben, wobei wir keinen vollständigen Überblick haben). Wieviel muss noch gesammelt werden, damit dieser Film allen im Internet zugänglich gemacht werden kann? Auch diese Anstrengung muss sich nicht auf unsere zwei Gruppen beschränken, sondern da würden wir eine große gemeinsame Spendenkampagne organisieren.

Leider sind die GenossInnen in ihrer Stellungnahme nicht auf die Frage eingegangen, ob die PSG das Urheberrecht verteidigt. Auf eurer Website steht die Position: „Das Wissen der Menschheit muss allen Menschen im Internet frei zugänglich gemacht werden.“ ( gleichheit.de). Dennoch haben die GenossInnen auf der Veranstaltung erneut betont, dass die PSG mit juristischen Mitteln verhindern würde, dass dieses Wissen frei zugänglich gemacht wird. Macht ihr also nur für diesen einen Film eine Ausnahme? Oder ist diese Position nicht mehr aktuell?

Noch problematischer erschien uns, dass der Genosse Christoph Dreier meinte, dass er den bürgerlichen Staat mit seinen Gerichten und seiner Polizei einschalten würde. Dazu sagte er: „Wenn ich eure Zeitungen einfach mitnehmen würde, würdet ihr auch die Polizei rufen.“

Wir möchten klarstellen, dass wir das auf keinen Fall machen würden. Wir würden erklären, wie wir es jetzt schon machen, warum wir für unsere Druckerzeugnisse um Spenden bitten, und welche Kosten wir konkret decken müssen. So machen wir das bei den möglichst preiswerten Broschüren des Trotzki-Archivs. Würde der Genosse Christoph trotzdem noch versuchen unsere Zeitungen mitzunehmen, würden wir mit möglichst vielen ArbeiterInnen und Jugendlichen, die die demokratischen Rechte der ArbeiterInnenbewegung verteidigen, ihn daran hindern. Wir denken, dass die ArbeiterInnenbewegung und besonders ihre revolutionären Teile sich auf keinen Fall auf die bürgerliche Polizei verlassen können, und stattdessen den Selbstschutz selbst organisieren müssen.

Abschließend möchten wir anmerken, dass wir euren Umgang mit dem bürgerlichen Staatsapparat äußerst kritisch finden. Eurem wahrscheinlichen Gegen-Argument, dass eine taktisch-kurzfristige Benutzung des bürgerlichen Staates in keinem Widerspruch zum revolutionären Ziel der politischen Herrschaft der ArbeiterInnenklasse via Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates stehen würde, wollen wir folgendes entgegenstellen:
Erstens bedeutet das Einbeziehen des bürgerlichen Staates in innerlinke Auseinandersetzungen unvermeidlich dessen Stärkung gegenüber der revolutionären Linken, da er so zu Informationen über und Strukturen in revolutionären Kreisen kommt.
Zweitens gründet sich das „Uhrheberrecht“ genauso wie der Rest der bürgerlichen Gesellschaftsordnung auf einem permanenten Betrug an der unterdrückten Bevölkerung, allen voran der lohnabhängigen Klasse. In diesem Fall wird ein gesamtgesellschaftlicher Schaffungsprozess durch bürgerlich-individualistische Ideologie verklärt und aller Gewinn und Nutzen daraus einzelnen „Uhrhebern“ auf Kosten der restlichen Gesellschaft zugeschrieben. Auch der Film „From Tzar to Lenin“ macht hier keinen Unterschied. Der Bezug auf das Uhrheberrecht durch eine sich als trotzkistisch profilierende Organisation stärkt die Illusionen in die bürgerliche Rechtsordnung, erst Recht im Schatten eurer dürftigen und verzweifelt unpolitischen Begründungen für eure Handlung.
Drittens verklärt ihr die politischen Fronten innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, indem ihr versucht, den Staat als „neutrale Instanz“ im Kampf gegen andere politische Gruppen einzusetzen. (Obendrein im Kampf gegen andere Gruppen der revolutionären Linken, wo stattdessen solidarische Kritik geboten sein sollte.) Damit gebt ihr dem Herrschaftsapparat der KapitalistInnen den Deckmantel der „höheren Vernunft“. Da ihr euch als trotzkistisch bezeichnet, solltet ihr die ablehnende Haltung Leo Trotzkis gegenüber solchem Vorgehen kennen. Diese wird vor allem in seinen Schriften über die faschistische Gefahr in den 1920er und ’30er Jahren deutlich, in denen er die SPD dafür kritisiert, dass sie den anti-faschistischen Kampf dem bürgerlichen Staat und seiner Polizei übergibt. Diese Schriften sind sogar in eurem Mehring-Verlag erschienen. Denkt ihr, dass Trotzkis Haltung damals falsch war? Oder denkt ihr, dass die deutsche Polizei in der Zwischenzeit ihren Klassencharakter geändert hat? Überhaupt fragt man sich, ob ihr dafür seid, dass die Polizei Privateigentum schützt? Und zwar nur euer Eigentum oder auch das der Bourgeoisie?

Wir laden euch erneut zu einer Diskussion ein – gern auch in Verbindung mit einer gemeinsamen Filmvorführung.

mit sozialistischen Grüßen,
RIO

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