Zur Frage der unabhängigen Jugendorganisation

04.01.2023, Lesezeit 6 Min.
Gastbeitrag

Debattenbeitrag anlässlich der Konferenz "15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?" | Von Julius Götz (Solid Nord-Berlin)

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Bild: Revolutionärer Bruch

Die Jugend braucht keine unabhängige Organi­sation. Die revolutionäre Partei selbst muss ein Ort für die Entwicklung und Entfaltung der revo­lutionären Jugend sein. Die Jugend ist ein unter­drückter Sektor der Gesellschaft. Bis zur Volljäh­rigkeit ist sie weitgehend entrechtet, ständig ist sie mit der Bevormundung des Staates, der Leh­rer:innen, der Eltern etc. konfrontiert. Ihre Arbeit gilt nicht als vollwertig und wird nicht wie die der Älteren entlohnt. Sie ist am heftigsten mit der Perspektive der Klimakatastrophe und der schleichenden Vernichtung unseres Planeten konfrontiert. Dieser Zustand ist für viele Jugend­liche unerträglich, sodass viele von ihnen zu po­litischen, immer mehr sogar zu revolutionären Schlussfolgerungen gelangen.

Aber wie ist dieser Zustand zu beenden? Für uns als Marxist:innen ist klar, dass das nur durch den revolutionären Sturz der kapitalisti­schen Ordnung und den Aufbau einer sozialisti­schen Demokratie zu erlangen ist. Diesen Sturz kann, aufgrund ihrer besonderen Stellung im Produktionsprozess des Kapitalismus, nur die Arbeiter:innenklasse vollziehen. Um diesem Ziel näherzukommen, arbeiten wir als Revolutionär:innen an der Herausbildung eines revolutionären Bewusstseins in der Klasse und in allen unterdrückten Schichten, inklusive der Jugend, weil auch deren Befreiung nur mit dem Sturz des Kapitalismus einhergehen kann (wenngleich die Revolution allein dazu nicht hin­reicht). Das bedeutet, die Jugend kann nur im Bündnis mit der gesamten Arbeiter:innenklasse effektiv auf ihre Befreiung hinarbeiten. Das be­deutet auch, dass sie in organisatorischer Ein­heit mit dem Rest der Klasse arbeiten muss. Ei­ne Jugendorganisation darf folglich nicht parallel zur Partei der Klasse, sondern nur als deren Gliederung funktionieren.

So wie andere Unterdrückte begegnet auch die Jugend dabei in den Reihen der Arbeiter:innen und selbst der Revolutionär:innen höchstwahr­scheinlich immer wieder ähnlichen Formen der Unterdrückung wie in anderen Lebensberei­chen. Insbesondere mit erwachsenem Besser­wissertum und einer Unterschätzung ihrer geisti­gen und praktischen Fähigkeiten muss sie dabei rechnen. Das muss aber kein Grund für eine un­abhängige Organisierung sein, so wenig wie wir eine unabhängige Organisierung von FLINTA oder von rassistisch Unterdrückten fordern – stattdessen muss es Anlass sein für einen Kampf gegen diese Formen der Unterdrückung innerhalb unserer Reihen (und freilich auch au­ßerhalb derselben). Die Erwachsenen unter uns müssen lernen, ihre jugendlichen Genoss:innen als ihresgleichen anzusehen und zu behandeln. Dazu gibt es wahrscheinlich gar kein besseres Mittel als ihre gemeinsame Organisierung und politische Arbeit.

Mit dieser gemeinschaftlichen Organisation muss gleichsam auch einhergehen, dass die Ju­gend gleichberechtigt an theoretischen und pro­grammatischen Debatten wie am praktischen Leben der Organisation teilnimmt. Wenn das nicht gelingt, ist das eine Anklage gegen die Er­wachsenen der Organisation – aber kein Argu­ment für eine unabhängige Jugend. Selbstver­ständlich müssen Jugendliche in ihrer Heranbil­dung zu Revolutionär:innen auch eigene Erfah­rungen im Kampf machen dürfen, Fehler einge­schlossen – darin besteht aber keine Besonder­heit, denn es verhält sich mit allen neuen Ge­noss:innen, die politisch unerfahren sind, so, egal ob jugendlich oder erwachsen.

Gleichzeitig sollte klar sein, dass das Miteinan­der mit Genoss:innen mit jahrelanger Kampfer­fahrung nicht unbedingt eine Bevormundung durch diese Älteren bedeuten muss. Vielmehr kann und sollte es eine Bereicherung für alle an­deren sein. „Lernen, lernen, nochmals lernen“ ist eine Anforderung an alle Revolutionär:innen und von wem könnte man besser lernen als von sei­nen eigenen Genoss:innen? Es zeigt auch die Geschichte die Machtlosigkeit der aufgewühlten Jugend, wenn sie nicht gemeinsam mit der Ar­beiter:innenklasse kämpft. So war nach dem Verrat der Sozialdemokratie 1914 der Protest der Jugendinternationale gegen den Krieg machtlos. Nur das Bündnis der Arbeiter:innen al­ler kriegsführenden Länder, die das Gewehr ge­gen ihre Offiziere, Ausbeuter:innen und Regie­rungen gewandt hätten, hätte die Menschheits­katastrophe aufhalten können, die der Erste Weltkrieg war.

Schließlich haben wir in Solid selbst erlebt, wie schlecht eine angeblich unabhängige Jugendor­ganisation (die Solid, die stets von der Linkspar­tei abhängig war, nie wirklich darstellte) funktio­niert: Während der linke Flügel des Verbandes revolutionär-marxistische Phrasen über den So­zialismus und die Arbeiter:innenklasse drosch, hatte er dem allergrößten Teil der Klasse, näm­lich allen außer der Jugend, niemals irgendeine politische Alternative zu bieten. Für Jugendliche hatte man Platz und wer älter als 30 war, sollte sich auch revolutionär organisieren – aber wo, das sollen sie selbst herausfinden. Für Mitglie­der, die selbst irgendwann zu alt für Solid wur­den, gab es folglich auch nur drei Optionen: ent­weder ein Engagement in der Linkspartei, ir­gendeine Kleingruppenarbeit oder der Rückzug aus der Politik. Auch hier konnte es keine revo­lutionäre Alternative geben, weil Solid nicht in ei­ner sozialistischen Organisation eingebettet war, die die ganze Klasse organisieren und für den Sozialismus gewinnen wollte. So ist Solid bis heute strukturell darauf angelegt, den Kampf für den Sozialismus zu einer jugendlichen Phase zu machen und auf keinen Fall zu einem langfristi­gen, lebenslangen Einsatz.

Es wäre also eine große Vergeudung der Ener­gie und der Klugheit der Jugend, wenn sie sich weiter in einer eigenen Organisation vom Rest der Klasse abkapselte. Ihre Aufgabe ist es, die Reihen der Revolutionär:innen zu bereichern und selbst zu Anführer:innen ihrer Klasse zu werden. Das geht nur in einer gemeinsamen Or­ganisation der Arbeiter:innen mit allen unter­drückten Sektoren der Gesellschaft. Dort kön­nen sie ihre eigenen Erfahrungen machen, ihre eigenen Gedanken und Positionen entwickeln und vom Reichtum der Erfahrungen ihrer älteren Genoss:innen lernen.

Debatten über einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid

Zur Vorbereitung der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ am 14./15. Januar 2023 wurden von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen Debattenbeiträge geschrieben. Hier geht es zu allen Beiträgen.

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