Zum Ende des Neupack-Streiks

20.07.2013, Lesezeit 7 Min.
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// Wir dokumentieren hier eine Erklärung des Berliner Neupack-Solikreises zum Ende des Arbeitskampfes beim Hamburger Verpackungsmittelhersteller Neupack //

Beinahe sang- und klanglos erklärte die IG BCE Ende Juni nach acht Monaten einen der längsten Arbeitskämpfe der jüngeren deutschen Geschichte für beendet. Der Streik bei Neupack war der längste in Hamburg seit dem Zweiten Weltkrieg. (Selbst dann, wenn man nur die ersten zweieinhalb Monate Vollstreik zählt.) Die Entscheidung fiel seitens der Führung der IG BCE, ohne dass es eine Urabstimmung der Beschäftigten über das Ergebnis gab. Die KollegInnen wurden lediglich in einer Mitgliederversammlung darüber „informiert“. Das Ergebnis liegt dabei weit unter dem, wofür über 100 Beschäftigte seit November gestreikt haben. Lautete die ursprüngliche Forderung noch nach einem Tarifvertrag, hatte die IG BCE diesen Anspruch bald aufgegeben und begnügt sich nun mit einer Betriebsvereinbarung und individuell zu unterzeichnenden Arbeitsverträgen. Auch wenn diese gewisse (geringfügige) materielle Verbesserungen beinhalten – wobei diese durch die hohen Kosten des Streiks für die Beschäftigten selbst häufig schon wieder aufgefressen sind –, bleiben mit dieser Regelung individuelle Willkür und fehlende kollektive Durchsetzbarkeit der vertraglichen Vereinbarungen erhalten. Auf diesen zentralen Ebenen war der Streik nicht erfolgreich.

Einige Beschäftigte, insbesondere die aktivsten Streikenden um Betriebsratsvorsitzenden Murat Günes, stehen nun nach dem Streik sogar schlechter da: Aufgrund der massiven Repression, mit der sie vom Unternehmen in Form von Mobbing, Abmahnungen, Kündigungen, Polizeieinsätzen und Gerichtsprozessen überzogen wurden, sind sie auf den Abschluss einer Maßregelungsklausel angewiesen, die die nachteilige Behandlung von Beschäftigten aufgrund ihrer Streiktätigkeit verhindert. Diese zentrale Forderung hat die IG BCE, nachdem sie wochenlang davon gesprochen hatte, ohne eine solche Klausel den Streik nicht beenden zu wollen, nun auch fallen gelassen. In der letzten Erklärung der IG BCE findet sich keine Formulierung zu Maßregelungen.

Die Führung der IG BCE jubiliert dennoch: „Dieser Kampf hat sich gelohnt – eine neue Zeit beginnt!“ (Streikinfo Nr. 62) Wie bereits in den vergangenen Monaten, versucht die Gewerkschaftsführung, den Streik und ihre eigene Rolle in ein möglichst positives Licht zurücken, ohne dass dies viel mit der realen Situation der Streikenden zu tun hätte. Nicht wenige sind sogar wieder aus der Gewerkschaft ausgetreten, weil sie kein anderes Mittel mehr gesehen haben, ihrem Ärger über die offizielle Streikleitung Luft zu machen. Dazu kommt, dass selbst das verlautbarte Ergebnis noch nicht rechtswirksam vorliegt. Falls es doch noch Ungereimtheiten gibt, könnte der Betriebsrat das Angebot ablehnen und weitere Verhandlungen fordern. Eine neue Dynamik des Streiks ist davon aufgrund der aktuellen Erschöpfung und Demoralisierung der meisten KollegInnen aber nicht mehr zu erwarten.

Der Hamburger Neupack-Solikreis, der in den vergangenen Monaten zahlreiche Aktivitäten der Solidarität für den Streik organisiert hat, resümiert, dass der Kampf trotz Abschluss verloren wurde – ein „Sieg, der stark nach Niederlage riecht“. Dem schließen wir uns an. „Neu“ ist an der kommenden Zeit bei Neupack allenfalls, dass die Geschäftsführung jetzt noch mehr Leute loswerden muss, da sie während des Streiks massenhaft StreikbrecherInnen angestellt hat, die inzwischen Teil der Belegschaft sind.

Eine solche Niederlage hat jedoch noch negativere Konsequenzen, wenn ihre Ursachen nicht diskutiert und ausgewertet werden. Wenn die Beschäftigten und die solidarischen AktivistInnen die notwendigen Lehren aus diesem Kampf ziehen, können sie trotz allem gestärkt aus ihm hervorgehen, um bei der nächsten Auseinandersetzung besser vorbereitet zu sein. An einer solchen Bilanz wollen wir vom Berliner Neupack-Solikreis uns gemeinsam mit den Beschäftigten und dem Hamburger Solikreis beteiligen. In den Tagen seit der Erklärung der IG BCE sind bereits einige Artikel und Stellungnahmen von verschiedenen Seiten erschienen, die zum Teil äußerst unterschiedliche Bewertungen vornehmen. Dem Solikreis Hamburg, der bereits für die Unterstützung des Streiks eine ungemein wichtige Rolle gespielt hat, kommt auch jetzt eine besondere Verantwortung zu, wenn es darum geht die Auswertung des Streiks aus Sicht kritischer UnterstützerInnen und vor allem auch seitens der Belegschaft vorzunehmen. Wir wollen den Hamburger Solikreis dazu ermutigen, diese – teils schon begonnene – Aufgabe gewissenhaft wahrzunehmen und wollen mit unseren Kräften ebenfalls an einer solchen Bilanz mitarbeiten. Ziel sollte unserer Meinung sein, dies mit möglichst vielen Beteiligten gemeinsam zu erarbeiten und zu diskutieren, beispielsweise in Form einer öffentlichen Veranstaltung. Wir fänden es sehr gut, wenn wir in Hamburg, Berlin und anderen Städten gemeinsam solche Veranstaltungen organisieren könnten.

Von unserer Seite wollen wir hiermit bereits einige Punkte hervorheben, die uns zentral für die weitere Diskussion zu sein scheinen:

1. Der am 24. Januar begonnene „Flexi-Streik“ war fatal und zur recht einer der größten Kritikpunkte an der Streiktaktik der IG BCE. Allerdings nicht, weil eine flexible Streiktaktik per se problematisch ist, sondern weil er bürokratisch und bevormundend geführt wurde. Dies war auch die grundlegendste und vermutlich entscheidende Schwäche dieses Arbeitskampfes: Das Fehlen echter Streikdemokratie, bei der die Beschäftigten selbst die Kontrolle über Taktik und Ausführung ihres Kampfes in der Hand haben. Die IG BCE hat dagegen systematisch jeden Versuch der Selbstorganisierung und der demokratischen Selbstbestimmung blockiert – obwohl die Streikenden mehrfach gefordert haben, dass die Streikführung in ihre Hände übergehen müsse, und dementsprechend viele Vorschläge zur Weiterführung des Arbeitskampfes auf den Tisch gelegt hatten.

2. Demgegenüber hätten die Streikenden der IG BCE ihre Selbstorganisierung aufzwingen müssen: eine demokratisch gewählte und jederzeit abwählbare Streikleitung, möglichst vom ersten Tag an. Vollversammlungen aller Streikenden und UnterstützerInnen – seien sie gewerkschaftlich organisiert oder nicht – als oberste Entscheidungsorgane, und ähnliche Methoden hätten der Schlüssel für einen anderen Ausgang des Streiks sein können.

3. Der Streik wurde nicht aufgrund der wirtschaftlichen Übermacht der Geschäftsführung verloren. Die Berichte von sich leerenden Lagern und dem hohen Ausschuss, den die neu eingestellten StreikbrecherInnen produzierten, zeigen: Die Krüger-Familie hätte niedergestreikt werden können, wenn der Streik durch die Beschäftigten selbst geführt worden wäre.

4. Der sozialpartnerschaftliche Kurs der IG BCE war nicht im Ansatz in der Lage, den reaktionären und radikalen Anti-ArbeiterInnen- und Anti-Gewerkschafts-Methoden der Neupack-Geschäftsführung etwas Substantielles entgegenzusetzen. In jedem Moment des Arbeitskampfes war der IG BCE ihre Anbiederung an und ihr vorauseilender Gehorsam gegenüber der Unternehmensführung wichtiger als der Kampf für die Interessen der Beschäftigten.

5. Die Streikenden allein haben es nicht vermocht, die notwendige Perspektive eines demokratisch geführten Streiks gegen den Widerstand der IG BCE-Führung durchzusetzen. In dieser Situation hätten die solidarischen AktivistInnen eine stärkere Rolle spielen müssen – seien sie aus Hamburg, Berlin oder anderen Städten. Die gewerkschaftliche und radikale Linke hat diesem Streik jedoch systematisch zu wenig Aufmerksamkeit und zu wenig praktische Solidarität geschenkt. Diese Niederlage ist daher auch unsere Niederlage. Eine konsequente Bilanz der Solidaritätsarbeit ist somit unabdingbar.

Zum sechsmonatigen Jubiläum des Streikbeginns am 1. Mai haben wir geschrieben, dass der Kampf der Neupack-Beschäftigten „aufgrund ihrer Ausdauer, der Schärfe der Konfrontation mit dem Unternehmen und der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie alle drängenden Fragen des aktuellen Klassenkampfs in Deutschland“ vereint. Nun, da dieser Kampf vorerst zu Ende ist, müssen wir reflektieren, wie diese Fragen anders hätten beantwortet werden können. Lasst uns gemeinsam darüber diskutieren!

Berliner Neupack-Solikreis, 20. Juli 2013

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