Ein halbes Jahr im Streik: Solidarität mit dem harten Kampf bei Neupack!

01.05.2013, Lesezeit 8 Min.
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// Flyer des Neupack-Solikreises Berlin für den 1. Mai 2013 //

Der 1. Mai ist dieses Jahr in Deutschland nicht nur ein Tag der unbedingten Solidarität mit unseren Klassengeschwistern in Südeuropa. Er ist auch ein Symbol, dass die Lohnabhängigen im „Herzen der Bestie“ gegen die Auswirkungen von Krise und Prekarisierung aufzubegehren beginnen: Am internationalen Kampftag der ArbeiterInnen befinden sich die Beschäftigten des Hamburger Verpackungsmittelherstellers Neupack seit sechs Monaten im Streik. Ihr Kampf vereint aufgrund ihrer Ausdauer, der Schärfe der Konfrontation mit dem Unternehmen und der Rolle der Gewerkschaftsbürokratie alle drängenden Fragen des aktuellen Klassenkampfs in Deutschland und bedarf daher unserer allergrößten Solidarität!

Neupack: Musterbeispiel sozialer Angriffe auf die Lohnabhängigen

Alltag bei Neupack: Unterschiedliche Löhne für gleiche Arbeit, Abwesenheit eines Tarifvertrags, Beliebigkeit bei der Urlaubsregelung, seit vielen Jahren keine Lohnerhöhung. Löhne deutlich unter dem branchenüblichen Niveau. Außerdem lehnt die Eigentümer-Familie Krüger die zuständige Branchengewerkschaft (IG BCE) als Tarifpartner ab (wie auch ca. 50 % der deutschen Unternehmen) Diese Situation ist nur aufgrund einer politisch gewollten neoliberalen Umgestaltung der Arbeit/Kapital-Beziehungen möglich geworden: Mit ihrer „Agenda 2010“ hat die deutsche Sozialdemokratie den Arbeitsmarkt zu Lasten der Lohnabhängigen dereguliert und damit auch zielgerichtet gegen die Gewerkschaften agiert. Die Gewerkschaftsführungen wiederum haben jeglichen Widerstand dagegen vermissen lassen und sind somit ebenfalls schuldig an der aktuellen Situation.

Doch bei Neupack, wo Verpackungen für Lebensmittel wie Joghurt- und Frischkäsebecher hergestellt werden, wollen die Beschäftigten mit ihren miesen Arbeits- und Lebensbedingungen jetzt Schluss machen. Seit dem 1. November 2012 befinden sich die Beschäftigten im Streik. Die KollegInnen fordern einen Haustarifvertrag und antworten damit auf die ständigen Schikanen der Unternehmensleitung und streiten für höhere Löhne.

Seit Monaten führen die EigentümerInnen, die Familie Krüger, einen Kleinkrieg gegen aktive GewerkschafterInnen und BetriebsrätInnen. Sie sprachen unter fadenscheinigen Gründen fristlose Kündigungen gegen den Betriebsratsvorsitzenden aus, andere erhielten Abmahnungen. Bereits am 6. November, also nur wenige Tage nach Streikbeginn, setzte die Geschäftsführung Streikbrecher der polnischen Leiharbeitsfirma „work express“ ein. Einen Tag später erwirkten die EigentümerInnen eine einstweilige Verfügung vor dem Arbeitsgericht Hamburg, die das Streikrecht einschränkt, indem sie den Beschäftigten verbietet, die StreikbrecherInnen zu blockieren. So nimmt das Arbeitsgericht Hamburg billigend den Streikbruch in Kauf und spielt so den Interessen der Geschäftsführung in die Hände.

Streik oder „Flexi-Verarsche“: Wem gehört der Streik?

Doch bisher konnte die Gewerkschaftsführung der IG BCE sich aufgrund ihres sozialpartnerschaftlichen Selbstverständnisses, mit welchem sie den „Betriebsfrieden“ wahren wollen, gegenüber der Unternehmensleitung der Krügers nicht durchsetzen.

Angesichts dessen entschied sie, die Taktik zu ändern: Seit Mitte Januar befinden sich die Beschäftigten auf Anweisung der IG BCE im „Flexi-Streik“. Damit ist eine Streikform gemeint, bei der jeweils kurzfristig entschieden werden soll, wann und mit wie vielen KollegInnen jeweils gestreikt wird (und wann wieder gearbeitet wird). Die FunktionärInnen der IG BCE meinen, damit könnten sie die Geschäftsführung verunsichern, da Krügers potentiell nicht wüssten, wann sie LeiharbeiterInnen zum Ersatz der Streikenden bräuchten oder nicht.

Dieser Flexi-Streik wird aber von vielen Streikenden als „Flexi-Verarsche“ kritisiert. Dies hat mehrere Gründe: Erstens gab es zum Beispiel während des gesamten Monats März nur drei Streiktage. Damit wollte die IG BCE „Gesprächsbereitschaft“ signalisieren, nahm den Streikenden aber jeglichen ökonomischen Druck aus den Segeln. Und zweitens: Selbst wenn die Taktik des Flexi-Streiks in bestimmten, begrenzten Situationen eine Wirkung entfalten kann, gilt dies nur dann, wenn die Streikenden, die den Betrieb und die einzelnen Abläufe selbst am besten kennen, selbst darüber entscheiden, wann und wie gestreikt wird. Die Flexi-Streik-Taktik bei Neupack ist aber genau das Gegenteil und zeigt in besonders zugespitzter Form die bürokratische Funktionsweise der IG BCE: Nicht nur die allgemeine Streiklinie, sondern selbst jede kleinste taktische Entscheidung wird aus der Gewerkschaftszentrale in Hannover getroffen und danach nur noch an die KollegInnen kommuniziert. So wissen also selbst die Streikenden immer erst kurz vorher, ob sie am nächsten Tag arbeiten oder streiken sollen – gleichzeitig zur Geschäftsführung. Im Endeffekt verunsichert die IG BCE so nicht die Krüger-Familie, sondern zuallererst die Streikenden und schädigt ihre Kampfmoral.

An dieser Auseinandersetzung spitzt sich die Frage zu, wem der Streik gehört. Ist es die Aufgabe der Bürokratie der IG BCE als „streikführender Gewerkschaft“, jede einzelne Bewegung der Streikenden zu steuern, oder sollten nicht vielmehr die Streikenden selbst die Führung des Streiks übernehmen? Sollten sie nicht selbst entscheiden, wann, wie und wofür sie streiken?

Die Streikenden selbst sowie solidarische UnterstützerInnen haben diese Frage längst aufgeworfen. Doch die IG BCE-Bürokratie hat bisher jede unabhängige Regung blockiert und weigert sich beharrlich, auch nur die geringste Kontrolle des Streiks abzugeben.

Perspektiven des Streiks und Aufgaben der Linken

Die Kolleginnen und Kollegen der Firma Neupack stehen stellvertretend für viele andere, die von Unternehmen ausgenutzt, gegeneinander ausgespielt und zu niedrigen Löhnen beschäftigt werden. Seit dem ersten Streiktag wird der Streik daher von vielen Menschen aus Gewerkschaften und politischen Gruppen unterstützt. Doch das reicht noch nicht: Über Hamburg hinaus interessiert sich die deutsche Linke bisher noch viel zu wenig für den Streik, der inzwischen in seine entscheidende Phase getreten ist. Die kämpfenden Kolleginnen und Kollegen brauchen gerade jetzt dringend unsere Solidarität, um ihre Interessen gegen die Krüger-Familie und im Notfall auch gegen die IG BCE durchzusetzen.

Das insbesondere letzteres immer wichtiger wird, zeigt nicht nur die fatale Flexi-Streik-Taktik der IG BCE-FunktionärInnen, sondern auch ihre Verhandlungsführung: Die Forderung eines kollektiven Tarifvertrags haben sie längst fallen gelassen. Die aktuellen Verhandlungen beziehen sich auf eine sogenannte „Regelungsabsprache“, die zwar gewisse (marginale) Lohnerhöhungen beinhaltet, aber von den Streikenden nur individuell einklagbar wäre, und eine Maßregelungsklausel, mit der Repressionen gegen Streikende verhindert werden sollen. Deren wichtigste Fälle, wie verschiedene Klagen gegen den Betriebsratsvorsitzenden und einzelne Streikende, sind aber explizit davon ausgenommen. Stattdessen muss eine wasserdichte Maßregelungsklausel gefunden werden, die jegliche Repressionen gegenüber den Streikenden ausschließt und nicht die wichtigsten, kämpferischsten Beschäftigten der Willkür der Geschäftsführung opfert.
In dieser Auseinandersetzung zeigt sich, dass die IG BCE-Bürokratie mehr daran interessiert ist, sich als unverzichtbarer „Sozialpartner“ des Kapitals zu profilieren.

Gleichzeitig ist klar, dass die kollektive Gegenwehr aller Beschäftigten gegen die Willkür des Unternehmens, ohne eine gewerkschaftliche Organisierung nicht zu haben ist. Dementsprechend steht die ArbeiterInnenbewegung heute vor der Aufgabe, die Gewerkschaften von innen heraus zu erneuern und die bürokratische Führung der Gewerkschaften zu entmachten. Kern einer solchen Erneuerung muss die Förderung der Selbstorganisierung und Selbstbestimmung von unten sein. Streiks sollen in allen Belangen von den Streikenden bestimmt werden.

Daher ist der Kampf bei Neupack so bedeutend: Aufgrund der Aussichtslosigkeit der bisherigen Kampfstrategie der Gewerkschaftsführung haben sich Tendenzen der Infragestellung der Streikführung entwickelt, welche in der Konsequenz die Notwendigkeit der Überwindung der bürokratischen Gewerkschaftsführung auf die Tagesordnung setzen. Streiks dieser Art, in denen die Belegschaft so stark in Konflikt mit ihrer eigenen Führung geraten ist, sind in Deutschland rar, und gerade deswegen ist es notwendig, dass die deutsche Linke die kämpferischen Beschäftigten stärker unterstützt. Das kann ein erster Ansatzpunkt für die Entwicklung einer kämpferischen, antibürokratischen Strömung in den Gewerkschaften sein.

Das zentrale Element dieses Kampfes ist die Kontrolle des Streiks durch die Streikenden selbst. Wir sehen es als oberste Aufgabe der Solidarität, die Forderungen der Streikenden zu unterstützen, selbst entscheiden zu können, wie es weitergehen soll. Wir stehen auf der Seite der Streikenden, nicht der IG BCE-Bürokratie. Lasst uns dafür mehr Solidarität mittels öffentlicher Aktionen, Solidaritätsdelegationen, politischen Kampagnen und konkreter Unterstützung vor Ort organisieren!

Neupack-Solikreis Berlin, 30. April 2013

Nächstes Treffen: Dienstag, 7. Mai, 19 Uhr, WerkStadt, Emser Straße 124 (S+U Hermannstraße / S+U Neukölln)

Mail: neupacksoliberlin@riseup.net
Web: http://solikreis.blogsport.de
Treffen: jeden Dienstag um 19 Uhr

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