Selbstbestimmungsgesetz: Heute Geschlechtseintrag geändert, morgen Daten beim NSU 2.0?

23.08.2023, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Alexandros Michalidis // shutterstock

Die Ampelkoalition hat in ihrer heutigen Kabinettssitzung das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet. Während sich die Regierung als progressiv und feministisch feiert, schürt der Gesetzentwurf transfeindliche Ressentiments und schreibt ein Denunziantentum gegenüber den Sicherheitsbehörden fest.

So ein Kunststück musste die Ampelregierung erstmal hinkriegen: Wer sonst außer die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ könnte ein Gesetz verabschieden, welches „Selbstbestimmung“ verspricht, während zugleich all diejenigen, die dieses Selbstbestimmungsrecht nutzen wollen, anschließend automatisch vor einer Reihe von Sicherheitsbehörden genau dafür denunziert werden?

Worum geht es? In ihrer heutigen Kabinettssitzung haben die Spitzen von SPD, Grünen und FDP den Entwurf für das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz (Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag – SBGG) verabschiedet. Dieser muss nun noch im Bundestag und Bundesrat abgestimmt werden. Im Grundsatz sollen fortan transgeschlechtliche, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen mittels Selbsterklärung beim Standesamt ändern lassen können. Bei Minderjährigen unter 14 Jahren müsste die Änderungserklärung durch die Sorgeberechtigten erfolgen, Jugendliche über 14 Jahre wiederum könnten die Erklärung ebenfalls selbst abgeben, wenn eine Zustimmung der Sorgeberechtigten vorliegt.

Diese Änderung ist selbstverständlich begrüßenswert, da die vorherige verpflichtende Praxis medizinischer Gutachten und Gerichtsverfahren um den Geschlechtseintrag zu ändern, für die Betroffenen aufwändig, teuer und erniedrigend war. Selbst das Bundesverfassungsgericht hatte diese Praxis mehrfach als verfassungswidrig eingestuft. Aber vor allem haben Betroffene, feministische Organisationen, familien- und sozialpolitische Verbände seit Jahren für eine Änderung gekämpft. Skandalöserweise bleibt die für Betroffene aufreibende und finanziell kostspielige Gutachtenpraxis im Falle der medizinischen Transition weiterhin bestehen.

Das Familienministerium feiert sich für den Kabinettsbeschluss: „Die freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Achtung der Privatsphäre und die Nichtdiskriminierung gehören zu den durch das Grundgesetz garantierten Rechten. Das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (Selbstbestimmungsgesetz, SBGG) möchte diese Rechte für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen sicherstellen.“

Doch wie heißt das Sprichwort? „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.“ Zumindest möchte das die Ampelkoalition gern. Denn in ihrem angeblich progressiven Wahlkampfgeschenk verbergen sich krasse Details. Nicht nur schürt der Gesetzentwurf weiterhin Misstrauen gegenüber trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen durch unnötige Wartezeiten und Sperrfristen oder die Regelung, dass die Änderung männlicher Geschlechtseinträge im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ ausgesetzt werden kann – als wenn Menschen ihren Geschlechtseintrag nur deshalb ändern wollten, um sich der Wehrpflicht zu entziehen. Das allein wäre schon diskriminierend genug.  Zusätzlich dazu wird im Gesetzesentwurf explizit sichergestellt, dass bspw. Betreiber:innen von Frauensaunen ein Recht darauf haben, trans Personen aufgrund ihres Geschlechts aus ihrem Betrieb zu verweisen. Außerdem sollen Asylbewerber:innen, deren Aufenthaltsgenehmigung bald endet, keine Änderung vornehmen dürfen – eine rassistische Ausnahme, die ebenfalls wiederum von der These ausgeht, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen, um sich einer Abschiebung zu entziehen.

Aber der Gesetzentwurf, wie er heute vom Kabinett beschlossen wurde, geht zusätzlich zu diesen diskriminierenden Regelungen noch einen qualitativen Schritt weiter: Völlig unabhängig davon, ob Betroffene bisher in Kontakt mit Sicherheitsbehörden wie dem Bundeskriminalamt (BKA), den Landeskriminalämtern, der Bundespolizei, dem Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst und anderen gekommen sindist, sollen nach einer Änderung des Geschlechtseintrags automatisch Nachname, bisherige und geänderte Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeiten, bisheriger und geänderter Geschlechtseintrag, Anschrift und Datum der Änderung an diese Behörden übermittelt werden. Mit anderen Worten: Diese Behörden erhalten eine Liste aller Menschen, die sich zu einer Änderung ihres Geschlechtseintrags entschlossen haben. Maßgeblich hieran beteiligt war auch das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser, das die Einwände des BKA aufgriff und im Vorfeld ebenfalls Bedenken äußerte, Kriminelle könnten das Gesetz missbrauchen.

Das ist reines Denunziantentum. Der Entwurf sieht zwar vor, dass diejenigen Behörden, die zuvor keine Daten über die betroffenen Personen gespeichert hatten, diese Daten sofort wieder löschen müssen. Aber erstens ist die Einhaltung dieser Regel angesichts der bekannten Speicherpraxis der Behörden fragwürdig, und zweitens bestehen reichlich Möglichkeiten, die übermittelten Listen weiterzuleiten, abzuspeichern oder anderswie abzuzweigen. Gerade angesichts weit verbreiteter rechter und faschistischer Netzwerke in den Sicherheitsbehörden – darunter bewaffnete Faschist:innen, die sich über eine einfache Liste von sexuellen „Abweichlern“ als neue Opfer sicher freuen werden – ist es kein kleines Detail, dass die Ampelkoalition solche Listen erstellen will. Auch rechte Regierungen, die möglicherweise zustande kommen, können die Daten für ihre Zwecke missbrauchen. Die Geschichte des deutschen Faschismus zeigt, dass dem kapitalistischen Staat keine solchen sensiblen Daten zentral gegeben werden dürfen. In der jetzigen Form kann das Gesetz daher nicht unterstützt werden, sondern LGBTIQ+, Linke und Gewerkschaften müssen für ein Gleichstellungagesetz ohne Meldung an Sicherheitsbehörden oder Ausnahmen für die Armee kämpfen.

Zusätzlich liefert die zwangsläufige polizeiliche und geheimdienstliche Überwachung von trans Personen nicht nur unmittelbare Gefahr für Leib und Leben durch rechte Netzwerke, sondern auch ideologische Grundlage für weitere Diskriminierung und Unterdrückung. Die Ampel versendet die klare Botschaft: „Wer seinen Geschlechtseintrag ändert, ist ein Fall für die Sicherheitsbehörden“ – und feuert somit alle Queerfeinde an, unabhängig davon, ob ihnen durch einen Job bei der Polizei die persönlichen Daten von trans Personen schon vorliegen oder nicht.

Ein:e Twitter-Nutzer:in brachte es auf den Punkt: „Das #SBGG ist kein #Selbstbestimmungsgesetz, es ist ein „Geh zurück in den Schrank oder wir geben Nazis deine Adresse“-Gesetz.“

Auch eine Reihe von feministischen, sozial- und familienpolitischen Verbänden sowie bekannte Persönlichkeiten wie Teresa Bücker, Raúl Krauthausen, Tarik Tesfu oder Natasha Kelly finden Teile des Entwurfs „schockierend“. Die von ihnen unmittelbar nach dem Kabinettsbeschluss gestartete Petition prangert unter anderem die oben erwähnten „Misstrauensparagrafen“ im Gesetzentwurf an.

So zeigt sich: Die Regierungsparteien sind vor der seit Monaten laufenden rechten Hetze gegen das Selbstbestimmungsgesetz eingeknickt. Jede einzelne der diskriminierenden Regelungen ist ein Zugeständnis an die AfD, sogenannte „Männerrechtler“ und transfeindliche Möchtegern-Feminist:innen. Auch CDU/CSU und Teile der Ampelparteien selbst schlossen sich dem reaktionären Chor an und schürten die perfide Vorstellung, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag wie eine neue Kleidung wechseln würden, um der Verfolgung durch die Behörden zu entgehen. Wie absurd das ist, zeigt sich schon allein daran, dass bei einer Namensänderung durch die Ehe keine solchen Sperrfristen oder Denunziantenmethoden Anwendung finden.

Kurzum: Das angebliche „Selbstbestimmungsgesetz“ ist keins. Selbstverständlich ist es längst überfällig, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag frei ändern können, damit er ihrer eigenen Persönlichkeit entspricht. Wenn dies jedoch zum Anlegen eines Registers und zur Denunziation bei den Sicherheitsbehörden führt, kann sich dies in eine reale Gefahr für Betroffene verwandeln – sei es durch die Sicherheitsbehörden selbst oder durch rechtsextreme und transfeindliche Strukturen in diesen Institutionen.

Um ein tatsächliches Selbstbestimmungsgesetz durchzusetzen, können wir nicht auf die Ampelparteien vertrauen.  Stattdessen braucht es Versammlungen und Diskussionen in allen Betrieben und Universitäten, um uns für unsere Rechte selbst organisieren zu können.. Darüber hinaus benötigt es Mobilisierungen von allen Gewerkschaften, feministischen und linken Organisationen für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz ohne Denunziantentum, rassistische Einschränkungen und autoritäre Gängelung!

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