WM der Profite und Toten

22.11.2022, Lesezeit 8 Min.
1
Foto: Ekkasit A Siam / Shutterstock.com

Die WM 2022 in Katar steht unter massiver Kritik. Das Turnier wird überschattet von Menschenrechtsverletzungen, sklavenähnlichen Arbeitsumständen und einem strikten Verbot von politischen Statements für Presse, Publikum und Spieler:innen. Doch die WM in Katar ist nicht das erste Turnier der FIFA, für das man über Leichen geht.

Situation in Katar

Fast 90 Prozent der 2,8 Millionen Menschen in Katar sind sogenannte Arbeitsmigrant:innen ohne katarische Staatsbürgerschaft. Die meisten von ihnen haben lediglich eine Duldung für eine bestimmte Dauer, nach der sie wieder ausreisen und in ihre Herkunftsländer zurückkehren müssen. Trotz Reformen im Arbeiter:innenrecht, um das Kafala-System abzusetzen, hat Katar seine sklavenähnlichen Zustände bis heute nicht vollständig abgelegt. Die katarische Regierung behauptet bereits seit 2014, dass es dieses Gesetz nicht mehr gibt, bis heute besteht es in der Praxis jedoch noch fort. Arbeiter:innen werden gezwungen, Dokumente wie ihren Reisepass an ihre Vorgesetzten abzugeben. Es gibt eine Vielzahl von Berichten ehemaliger Gastarbeiter:innen, denen diese monatelang nicht ausgehändigt wurden, wenn sie den unwürdigen Zuständen entfliehen wollten. Arbeiter:innen werden weiterhin auf dem Bau bis zu 16h am Tag zur Arbeit gezwungen, teilweise bei extremer Hitze, während man ihnen gleichzeitig die freien Arbeitstage verwehrt und Gehälter oft erst Wochen bzw. Monate später auszahlt. Mehrere Fälle von Missbrauch, Nötigung, sexueller Gewalt und Tod, vor allem bei Haushaltsangestellten, sind bereits bekannt – die Dunkelziffer wird deutlich höher geschätzt. Dass das Kafala-System eine Erfindung eines britischen Bürokraten während der Kolonialzeit Großbritanniens war, ist den meisten jedoch nicht bekannt. Das Problem in diesem Punkt ist also nicht die arabische Kultur, wie bürgerliche Medien das gerne darstellen, sondern wieder die kapitalistische Agenda der Kolonialmächte.

Die Weltmeisterschaften in Südafrika, Brasilien und Russland

Katar ist jedoch nicht das erste und einzige Land, in dem die Korruption und Profitgier der FIFA zum Vorschein tritt. Bereits bei der WM 2014 hat sie bewiesen, dass sie wortwörtlich bereit ist, über Leichen zu gehen. Die Entscheidung der FIFA, Brasilien zum WM-Gastgeber 2014 zu machen, ging mit der Entscheidung einher, einige Favelas von der Karte zu löschen. Hierfür wurden Menschen gejagt, geschlagen und getötet. Massenhafte Polizei- und Militärgewalt sorgten dafür, dass zehntausende Menschen ihre Häuser verlassen mussten. Familien wurden auseinandergerissen, Menschen erbarmungslos getötet. Brasiliens Regierung war für diese Taten nicht alleine verantwortlich: Die Wahl des Gastgebers wurde auch von Deutschland bestimmt, das einen großen Einfluss auf die FIFA hat. So zieht der deutsche Imperialismus seine Agenda auch im weltweiten Fußball durch.

Auch Südafrika, der WM-Gastgeber von 2010, ist mit einem enormen Schuldenberg zurückgelassen worden. Für Stadien wurden Arme und Obdachlose aus Orten vertrieben, um neue Stadien bauen zu können, die heute größtenteils ungenutzt bleiben. Die Arbeitsplätze für die WM verschwanden genauso schnell, wie sie geschaffen wurden. Geblieben ist eine weiterhin enorm hohe Arbeitslosigkeitsrate und Armut. Die Entscheidung der WM-Vergabe an Südafrika war zwar für die schwarze Bevölkerung von historischer Bedeutung und eine hoffnungsvolle Chance auf ein besseres Leben dank der eventuell aufblühenden Wirtschaft. Doch alles, was nach der WM zurückblieb, waren noch mehr Armut, Arbeitslosigkeit und Schulden, während sich die FIFA die Taschen mit mehreren Milliarden vollstopfen konnte.

Noch lange bevor Kritiker der WM in Katar begannen, über Menschenrechtsverletzungen und die massive Belastung für die Umwelt zu sprechen, gab es schon Grund zur Aufregung. Als die Vergabe im Jahre 2010 erfolgte, verkündete der damalige FIFA-Präsident Sepp Blatter ein Novum in der Geschichte des Sportverbandes. Erstmalig sollte über den Standort zweier Turniere gleichzeitig entschieden werden. Besonders in der Retrospektive, nachdem im Jahre 2015 nach einer Razzia im FIFA Headquarter in Zürich endgültig die Beweise für die massive Korruption öffentlich wurden, wird klar, dass dies keine zufällige Entscheidung war. Neben der Vergabe an Katar für das Jahr 2022, wurde also über die WM 2018 abgestimmt, durchsetzen konnte sich Russland. Neun FIFA Vorstandsmitglieder wurden infolgedessen wegen Korruption verurteilt. Wie Stefan Stoll von der Initiative “Boycott Qatar” im Interview schon darstellte, mussten auch für den Bau der nötigen Infrastruktur dieses Turniers tausende Menschen umgesiedelt werden. Unvorstellbar, könnte man meinen, wäre es, dass Russland eine internationale Sportveranstaltung zugesprochen bekommen könnte, wenn sie sich heute darauf bewerben würden. Der Krieg, den sie seit Februar dieses Jahres gegen die Ukraine führen, würde dies doch sicher verhindern. Ignoriert wurden jedoch damals diverse andere militärische Offensiven, die von Putins Regime ausgingen. Der Tschetschenienkrieg, die Intervention in Syrien, aber auch die Annexion der Krim.

Keine politischen Statements?

FIFA und Katar haben deutlich gemacht, dass sie “keine politischen Statements” bei der WM in Katar erlauben. Jüngst drohte die FIFA sieben europäischen Nationalmannschaften (u. A. England, Niederlande und auch Deutschland), die ankündigten, mit einer Kapitänsbinde in Regenbogenfarben und dem Motto “One Love” auflaufen zu wollen, mit Konsequenzen. Geldstrafen, Sperren und sogar von gelben Karten während des Spiels war die Rede, für letzteres müsste die FIFA ihr eigenes, für den Sport weltweit geltendes Regelwerk ignorieren. Bei allen zuständigen Verbänden zeigte diese Drohung Wirkung, denn sie alle gaben bekannt, auf die “One Love”-Armbinde verzichten zu wollen. Für diese Rückgratlosigkeit fällt es schwer, Worte zu finden, wenn man sich vor Augen hält, dass die Spieler der iranischen Nationalmannschaft bei ihrem Auftaktspiel während der Nationalhymne schwiegen. Es wird darüber spekuliert, dass ihnen nun lebenslange Sperren drohen.

Gleichzeitig ist es jedoch gestattet und gern gesehen, wenn ein Uli Hoeneß davon redet, dass es den Arbeiter:innen in Katar durch die WM ja besser ginge und nicht schlechter. Franz Beckenbauer meint, er habe in Katar ja keine Sklaven gesehen und bekanntlich können Dinge, die man nicht sehen kann, ja auch nicht existieren. Zufälligerweise waren es genau die Beiden in ihrer Zeit als Funktionäre beim FC Bayern München, die einen jahrelangen und sehr lukrativen Sponsoringdeal mit dem Staatsunternehmen Qatar Airways auf den Weg brachten. Nahezu denselben Wortlaut wie bei Beckenbauer kannte man bereits von Berti Vogt bei der WM 1978 in Argentinien, als dieser meinte, dass er keine Folter gesehen habe, während wenige Kilometer entfernt hunderte Menschen in Geheimgefängnisse zu Tode gefoltert wurden. Es werden also keine “politischen” Statements verboten, sondern einzig und alleine kritische, antikapitalistische und linke Meinungen gegen ihre kapitalistischen und menschenverachtenden Werte. Gleichzeitig führte die Ampelregierung trotz all der offensichtlichen Probleme und Menschenrechtsverletzungen Verhandlungen mit Katar zu Öl und Gas. Habeck und Scholz posieren stolz mit katarischen Staatsoberhäuptern und zeigen damit nochmal bestmöglich auf, wie viel Verlass auf ihre Koalitionsversprechen ist. Die Bundesregierung würde davon profitieren, wenn sich die deutsche Bevölkerung von der FIFA und Katar blenden ließe. Beide hielten große Reden von fossilem Energie- und Kohleausstieg, nur um wieder unter Beweis zu stellen, dass alles, was eine Regierung verspricht, nichts als Lug und Trug ist.

Boykott allein reicht nicht – die Proteste müssen auf die Straßen!

Die Initiative #boycott_qatar_2022 hat eine Bewegung auf die Beine gestellt, die gerade in Deutschland sehr viel Aufmerksamkeit und Zuspruch bekommt. So hielten Fans in deutschen Stadien Banner mit Slogans hoch, die sich klar gegen die Menschenrechtsverletzungen, aber auch die Korruption der FIFA positionierten. Auch die dänische Nationalmannschaft wollte mit einer “Human Rights”-Aufschrift bei der WM antreten, was jedoch mittlerweile von Katar und der FIFA verboten wurde. Viele Fußballspieler:innen wie beispielsweise Leon Goretzka hielten sich nicht mit Kritik an Katar und den Aussagen des WM-Botschafters über homosexuelle Menschen zurück. Der Kampagne fehlt gänzlich die Relevanz außerhalb europäischer Länder wie Deutschland, Frankreich oder Dänemark. Damit verankert sich eher ein anti-arabisches Bild und weniger ein internationalistisches Verständnis gegen kapitalistische Strukturen. Denn die Idee zum Boykott ist an sich gut, um die Massen zu bewegen und das Image der FIFA anzugreifen.

Doch um wirklich Veränderung zu bewirken, muss mit der Kampfkraft, die sich in dieser Bewegung auftut, der Protest international auf die Straßen getragen werden. Wir müssen gemeinsam gegen die kapitalistischen Interessen der FIFA, gegen die Menschen- und Arbeiter:innenrechtsverletzungen in Katar und überall auf der Welt kämpfen. Wir müssen auch gleichzeitig gegen jede Form von Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit protestieren!

Mehr zum Thema