„Wir wollen gemeinsam kämpfen, leben und gleiche Rechte haben“ [mit Bilderserie]

08.09.2016, Lesezeit 5 Min.
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Selbstorganisierte Geflüchtete organisierten eine Demo durch München. In zahlreichen Redebeiträgen über die Bedingungen ihrer Flucht und ihre Situation in Deutschland fordern sie ihr Bleiberecht. Am Abend eröffneten sie ein Protestzelt.

Unter dem Motto „Right to stay – Bleiberecht für alle“ zogen am Mittwoch 200 Non-Citizens durch die Straßen Münchens. Die Geflüchteten – unter anderem aus Senegal, Afghanistan, Pakistan und Iran –hatten sich am Vorabend zu einem Plenum versammelt. Sie betonten darin ihre Einheit über Nationen, Ethnien, Geschlechter, Sprachen und Religionen hinweg, um gleiche Rechte in Deutschland zu erkämpfen.

Der Auftaktredner prangerte an, dass es zwar „Menschenrechte“ heißt, diese Rechte aber in der Realität nur für Deutsche gelten. Refugees hätten kein Recht zu arbeiten, sich frei zu bewegen und normal zu wohnen, nicht einmal hier zu leben. „Sind wir also keine Menschen? Wenn ihr meint, dass wir Menschen sind, kämpft mit uns!“, richtete er seine Stimme an die zahlreichen Zuhörer*innen am belebten Stachus:

Wollt ihr nicht wissen, was in der Welt passiert? Mehr als 60 Millionen Menschen sind jetzt Geflüchtete, in dieser Welt. (…) Seht ihr nicht, warum Deutsche keine Geflüchteten werden? Warum nicht? Ihr müsst euch selber fragen, warum nicht. (…) Bewegungsfreiheit ist unser Recht. Wir verlangen einfache Menschenrechte. Keine Geflüchteten mehr in Containern!

Viele Teilnehmer*innen streckten Schilder hoch mit Aufschriften wie „Ihr wollt Fachkräfte? Hier sind welche!“, „Ich habe über ein Jahr gearbeitet – jetzt schlafen, essen, fertig“ oder „Ich bin über drei Jahre hier, ich darf nicht in die Schule, nichts lernen, nicht arbeiten.“ Die Forderung nach dem Recht auf reguläre Arbeit war auch immer wieder auf der Demo zu hören. Eine Forderung, die geradezu danach schreit, dass die Gewerkschaften endlich die gemeinsame Organisierung von Non-Citizens und Citizens aufnehmen, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und das Ende der Illegalisierung erkämpfen.

Bei einer Zwischenkundgebung sprach Narges aus dem Iran über den Kampf der geflüchteten Frauen:

Wir fliehen, weil wir tagtäglich rassistische und sexistische Diskriminierung erleben, politische Verfolgung erfahren. Krieg, finanzielle Abhängigkeit, Vergewaltigung, Beschneidung, Zwangsverheiratung, keine Entscheidungsfreiheit über die geschlechtliche Identität, über die eigene sexuelle Orientierung, über Religionen und Kleidungen. Die Entscheidung zu fliegen war für uns nicht einfach, da wir wussten, dass wir auf der Flucht noch mehr von Gewalt bedroht waren. (…)

Doch unsere Lebensbedingungen wurden nicht besser und die rassistische und sexistische Unterdrückung gehen bis heute weiter, in Deutschland werden wir in Lager gesperrt, weil uns das Recht auf Wohnen verboten wird. Wir können nicht arbeiten, weil uns das Recht auf Arbeit verboten wird. Wir können aus dem Lager nicht rausgehen, weil uns mit Residenzpflicht das Recht auf Bewegungsfreiheit verboten wird. Die Angst, sexualisierte Gewalt zu erfahren, wird zu Realität und Alltag. Und selbst wenn wir aus dem Lager rausgehen, hören Rassismus und Sexismus nicht auf. (…)

Viele Frauen trauen sich nicht, über ihre Gewalterfahrungen und Sorgen zu sprechen. Sie haben Angst, dass dies negativen Einfluss auf ihre Asylverfahren nehmen wird. Die Frauen, die sich trauen, das auszusprechen und dagegen zu protestieren, werden bedroht. Deshalb bleibt unsere Stimme ungehört. Ich stehe hier und spreche im Namen der unterdrückten geflüchteten Frauen!

Sie beendete ihre Rede mit einem Aufruf, die vom deutschen Staat aufgezwungene Spaltung zu überwinden:

Der deutsche Staat spaltet uns in einheimische und ausländische, in legale und illegale, in „Wirtschaftsflüchtlinge“ und politische. Wir protestieren dagegen, denn wir wollen gemeinsam kämpfen, leben und gleiche Rechte haben. Wir sind keine Opfer, die Mitleid brauchen. Sondern wir sind aktive Kämpfer*innen für eine Welt ohne Rassismus, Sexismus und Ausbeutung.

Während der Demonstration schlossen sich immer wieder Migrant*innen dem Zug an und filmten die Redebeiträge. Auch deutsche Passant*innen fragten interessiert nach und erklärten spontan ihre Solidarität.

Bei der Abschlusskundgebung am Odeonsplatz sprach eine geflüchtete Frau aus Afghanistan:

Natürlich wollten wir unser Land nicht verlassen. Niemand will sein Land verlassen. Wir wurden dazu gezwungen, weil in unserem Land Krieg herrscht. Und unsere Regierung hat gute Beziehungen mit der deutschen Regierung. Deswegen wird Afghanistan als sicheres Land eingestuft. Wir konnten nicht mehr dort leben, deshalb sind wir geflüchtet. Wir wollen einfach überleben und ein besseres Leben haben. Das ist keine große Forderung, das ist Menschenrecht.

Am Abend schlugen 60 Non-Citizens Protestzelte am Sendlinger-Tor-Platz auf. Sie bleiben dort und rufen zur Unterstützung ihres Protests gegen Abschiebung und für gleiche Rechte auf. Auch die deutsche Linke, die bis auf wenige Ausnahmen auf der Demo mit Abwesenheit glänzte, sollte dort ihre Solidarität zeigen. Es werden solidarische Menschen für Schichten am Infostand gesucht – und natürlich politische Unterstützung, um die Isolation zu durchbrechen.

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