„Wir waren eine fest eingeplante Arbeitskraft“

07.04.2016, Lesezeit 4 Min.
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Berliner Krankenhäuser sind auf unbezahlte Arbeitskräfte – Praktikant*innen, Azubis, und FSJler*innen – angewiesen. Das geht auf Kosten der Patient*innen. Ein Interview mit Louise Pithan (Name geändert), die ein Praktikum am Berliner Urban-Krankenhaus machte.

Wie sieht der Alltag als Praktikant*in in einem Klinikum des landeseigenen Vivantes-Konzerns aus?

Als Praktikant*in hat man eine reguläre Vierzig-Stunden-Woche, muss aber nicht im Spätdienst und an Wochenenden und Feiertagen arbeiten, wie die „Schüler*innen“ (so wurden die Azubis im Krankenhaus bezeichnet) in der Krankenpflegeausbildung.

Ich habe gehört, dass ich als Praktikant*in offiziell nur zuschauen darf. Das war aber graue Theorie auf den drei Stationen, auf denen ich war. Nachdem ich die Abläufe verstanden hatte, war ich immer beschäftigt: für Essen und Getränke, für die Küche, die Schränke, die Betten musste gesorgt werden, auch für die Pflege und Hygiene der Patient*innen war ich mit zuständig.

Lernt man etwas dabei? Oder stopft man nur Personallöcher?

Wenn die Krankenpfleger*innen, mit denen ich zusammengearbeitet habe, etwas Zeit hatten, haben sich viele bemüht, mir etwas beizubringen. Das meiste habe ich dennoch von den Schüler*innen gelernt, denn Zeit war beim Pflegepersonal selten vorhanden. Tatsächlich waren wir eine fest eingeplante Arbeitskraft. Mit „wir“ meine ich alle unbezahlten Arbeitskräfte. Jede Station hatte eine*n FSJler*in, Schüler*in und Praktikant*in.

Die Krankenpflegekräfte sind mit ihrer Arbeit ausgelastet, sie brauchen Unterstützung. Eine Schülerin, die ihren nächsten Einsatz im Klinikum Friedrichshain haben sollte, hatte dort aufgrund von Personalmangel kein Wochenende im ganzen Monat frei. Das verstößt gegen den Tarifvertrag.

Da wir keine (abgeschlossene) Berufsausbildung haben, gibt es natürlich keine Garantie, dass wir alles richtig machen. Ein Schüler hat zwei Tage lang eine isolierte Patientin gewaschen, erst bei ihrer Verlegung sind die Geschwüre an ihren Füßen entdeckt worden. Von einem anderen Praktikant habe ich gehört, dass er Infusionen angelegt hat. Macht man dabei Fehler, kann es zu einem Herzinfarkt führen.

Welchen Eindruck hast du von der Arbeitsbelastung für die Pfleger*innen?

Ich habe großen Respekt für die Arbeit, die die Krankenpflegekräfte leisten. An den meisten Tagen kommen sie nur schwer mit der Arbeit hinterher. Deswegen leisten sie Überstunden. Und die Arbeit ist körperlich anstrengend. Zeit für die einzelnen Patient*innen bleibt am Ende kaum.

Ich war auch auf einer Großstation. Dort sind, verglichen mit der Anzahl der Patient*innen, nochmal deutlich weniger Pflegekräfte. Hier mussten vor allem die Schüler*innen die Arbeit leisten, die auf den anderen Stationen ausgebildetes Personal übernommen hat. Das galt besonders für die Körperpflege.

Was sagt das über das Gesundheitssystem insgesamt aus?

Die Krankenhäuser sind, um ihre Kosten zu decken, auf Gelder der Krankenkassen angewiesen. Für bestimmte Operationen, zum Beispiel für Prothesen, wird viel Geld gezahlt. Man kann sich also nicht sicher sein, ob bei Entscheidungen der Ärzt*innen nur die medizinisch beste Versorgung das Kriterium ist. Im Personalmanagement und bei den Ausgliederung bestimmter Bereiche hingegen ist offensichtlich, dass nicht medizinische, sondern wirtschaftliche Argumente entscheiden.

Was hast du für dich als Schlussfolgerung daraus gezogen?

Früher gab es deutlich mehr Personal, auch waren mehr besser qualifiziert. Dass die Situation immer prekärer wird, liegt an politischen Entscheidungen. Das Urban-Krankenhaus gehört zu Vivantes. Früher war Vivantes ein Unternehmen der Stadt Berlin, nun ist es eine landeseigene GmbH.

Die tatsächlichen Kosten werden nicht gedeckt. Stattdessen wird ein bestimmtes Budget bereitgestellt, mit dem die Krankenhäuser dann besser oder schlechter auskommen müssen. Auch Gebäudekosten – Neubauten sowie Instandhaltungskosten – werden oft nicht von der Stadt im notwendigen Ausmaß übernommen.

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir in Deutschland, verglichen mit anderen Ländern, ein vernünftiges Gesundheitssystem haben. Noch – aber es wird immer mehr eingespart. Ein funktionierendes Gesundheitssystem kann nicht wirtschaftlich sein. Genau wie Bildung und Verkehr; die Daseinsvorsorge muss kollektiv von der Gesellschaft übernommen werden.

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