Was steht hinter dem „Atomdeal“ mit dem Iran?

28.11.2017, Lesezeit 10 Min.
Gastbeitrag

Nach den jüngsten Ankündigungen des US-Präsidenten, das Atomabkommen nicht länger dulden zu wollen, widersprachen die führenden EU-Mächte der Iran-Politik der Trump-Administration. Doch welche Interessen verfolgen die EU-Länder?

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US-Präsident Donald Trump machte kürzlich die neue Iran-Strategie der USA bekannt. Die Optionen lauten: Die komplette Aufkündigung des Atomabkommens, neue Sanktionen oder neue Drohungen, mit denen der Iran unter Druck gesetzt werden kann.

Diese von Trump vorgestellten Optionen sind im Wesentlichen nichts Neues. Wer die jahrelangen Atomverhandlungen mit dem Iran näher verfolgt hat, weiß auch, dass die EU treibende Kraft der Verhandlungen und des ausgehandelten Abkommens war. Die USA unter der Präsidentschaft Barack Obamas hatten andere Vorstellungen, ließen sich jedoch im Endeffekt auf die Verhandlungen ein. Seit der Gründung der Islamischen Republik Iran und der darauffolgenden Geiselnahme von US-amerikanischen BotschaftsmitarbeiterInnen, brach die USA ihr diplomatisches Verhältnis zum Iran ab. Mit dem Atomabkommen sollten diese Beziehungen wieder auf einen „friedlicheren“ Kurs gebracht werden. „Die Gegner des diplomatischen Abkommens mit Iran sind dieselben, die damals in den Krieg gegen den Irak ziehen wollten“, so Obama, „und wir wissen heute, dass es ein Fehler war.“ Die Drohungen seitens Trump bedeuten in diesem Sinne auch eine Rückkehr zum Diskurs der „Achse des Bösen“.

Zur Erinnerung: Die Bezeichnung „Achse des Bösen“ wurde das erste Mal von George. W. Busch verwendet, als der damalige US-Präsident in einer Rede zur Lage der Nation den Iran, den Irak und Nordkorea diskursiv als die Bösen der Weltpolitik einrahmte, um die Politik der USA gegenüber diesen Ländern nach dem 11.September 2001 rechtfertigen zu können.

Europa hält jedoch weiter am Atomdeal, dessen endgültige Fassung in der Nacht des 14. Juli 2015 in Wien verkündet wurde, fest. Deutschland als führendes Land der Europäischen Union hat sich jahrelang für die Atom-Vereinbarung mit dem Iran eingesetzt. Aus diesem Grund stellt dieser Kurswechsel des US-Präsidenten auch eine neue Herausforderung für Deutschland und andere imperialistische Länder in Europa dar. Der Iran hofft demzufolge auf Widerstand seitens der EU gegen die neue, alte US-Strategie. Irans Präsident Hassan Rouhani hat sich schon gegen die Drohungen geäußert: „Das Abkommen ist solider als dieser Herr denkt.“ „Der Widerstand der Europäer wird zeigen, ob das Atomabkommen weitergeführt werden kann oder nicht“, erklärte Außenminister Mohammed Javad Zarif.

Das alles konnte man in den letzten Wochen in den deutschen Medien lesen. Was weniger thematisiert wird, ist, worum es eigentlich bei den Verhandlungen und dem Atomabkommen geht. Die Iran-Strategie der USA ist seit der Revolution 1979 eine Kombination aus Kriegstreiberei, Sanktionen und Kriegsdrohungen. Europa und Deutschland an der Spitze der Europäischen Union setzten dahingegen auf ein pseudo-schizophrenes Verhältnis zur Islamischen Republik. Dubiose Waffenlieferungen, wirtschaftliche Partnerschaft, politische Auseinandersetzungen in Bezug auf die Sicherheit des israelischen Staates und ökonomische Interessen, die weit über die Ölindustrie im Iran hinauslaufen, sind einige der Faktoren, die man hier nennen muss. Rund 50 deutsche Firmen haben ihre eigenen Niederlassungen und mehr als 12.000 Firmen haben eigene Handelsvertreter im Iran. Mehrere deutsche Groß-Unternehmen sind in umfassenden iranischen Infrastrukturprojekten tätig, vor allem in der Petrochemie, wie zum Beispiel Linde, BASF, Lurgi, Krupp, Siemens, ZF Friedrichshafen, Mercedes, Volkswagen und MAN.

Die Hintergründe des Atomprogramms im Iran und die Rolle der USA

Anders als es die Narrative in den imperialistischen Ländern es vermuten lassen, fingen die Bemühungen des iranischen Staates bezüglich des Atomprogramms nicht erst in den 1990er Jahren an. Der Schah hatte das Atomprogramm Mitte der 1970er Jahre mit folgender Erklärung angekündigt:

„Wir werden so rasch wie möglich die Atomenergie und alternative Energiequellen nutzen, um Öl für die Herstellung chemischer und petrochemischer Produkte zu reservieren. Wir sollten Öl, diese kostbare Substanz, nicht einfach als gewöhnlichen Brennstoff verwenden.“

Die ersten Grundsteine der Atomtechnologie im Iran wurden mit Hilfe der USA Ende der 1950er Jahre gelegt. Der erste Forschungsreaktor aus den USA wurde schon 1959 in den Iran geliefert. Den zweiten erwarb Iran 1967. Die Revolution von 1979 und der erste Golfkrieg setzten diese Entwicklung zunächst für Jahrzehnte zurück. Erst nach 2002 gab es erste Meldungen, dass der Iran sein Atomprogramm heimlich weiterentwickelte. Seither wird vom sogenannten „Atom-Konflikt“ gesprochen, der von den USA an der Spitze der imperialistischen Staaten einerseits und vom Iran als ein Staat, der seit Jahrzehnten versucht, seine Ansprüche als Regionalmacht zu etablieren, andererseits zugespitzt wurde und wird.

Während die USA und andere imperialistische Staaten die Anfänge der Atomkraftentwicklung im Iran vor der Revolution völlig verschweigen, gibt es auch in Europa keine öffentlichen Debatten über die historischen Widersprüche der Atomvereinbarung mit dem Iran. Die Frage ist jedoch, weshalb Irans Atomprogramm vor der Revolution keine Konflikte mit den Industriestaaten auslöste. 1959 hatte doch der damalige US-Präsident Dwight Eisenhower der Universität Teheran im Rahmen des Atoms for Peace Programms einen Forschungsreaktor geschenkt und die Atom-Technologie in den darauffolgenden Jahren noch weiter ausgebaut. Es ist essentiell, die Geschichte dieser Beziehungen zur Revolution zu kennen, als das diktatorische Schah-Regime noch ein enger Verbündeter Deutschlands und der USA war. Dementsprechend groß waren auch die Zuwendungen, die der Schah vom Imperialismus erhielt. Dies änderte sich allerdings nach der Revolution.

Die Revolution 1979: Trennung von den USA und die heiße Affäre mit anderen imperialistischen Mächten

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass das Schah-Regime nicht zufällig zu einem der besten Verbündeten des Imperialismus geworden war. Die herausragenden Beziehungen wurden stärker, als der Premierminister des Irans, Mohammad Mossadegh, die Ölindustrie verstaatlichte. Er wurde mit Hilfe der CIA durch die sogenannte Operation Ajax, mit der Genehmigung Eisenhowers aus dem Amt geputscht. Der Iran verfügte in der Schah-Zeit über die fünftgrößte Armee der Welt und gleichzeitig war die USA sein größter Wirtschafts- und Militärpartner. Wie oben kurz angerissen, brachen diese Beziehungen nach der Revolution 1980, also nach der Geiselnahme der US-amerikanischen Botschafter*innen, ab. Der Hintergrund dieser Geiselnahme war, dass der damalige US-Präsident, Jimmy Carter, die Einreise des Schahs in die USA – während der Revolution – gestattet hatte und sich gleichzeitig die Islamist*innen den anti-imperialistischen Diskurs aneignen wollten, der zuvor eines der Hauptbestandteile der Inhalte von linken und kommunistischen Gruppen und Organisationen war.

Wichtig zu betonen ist, dass angesichts dieser engen Partnerschaft und der Operation Ajax die Revolution 1979 auch einen starken anti-amerikanischen Kurs beinhaltete. Nach dem Zusammenbruch der Beziehung zu den USA und während des Iran-Irak-Kriegs, unterstütze die USA den Irak. Klar war, dass es den USA um die Ölquellen ging. Deutschland verfolgte jedoch weiterhin seine wirtschaftlichen Interessen und versuchte seine Beziehungen zum Iran aufrechtzuerhalten, während es gleichzeitig die irakische Seite mit Rüstungsmitteln belieferte.

80 Unternehmen profitierten hierbei. Unter ihnen: MBB, Daimler-Benz, Preussag, MAN, Degussa, Hochtief, Siemens, Gildemeister – weiterhin viele kleine und mittlere Firmen, wie Fritz Werner, Karl Kolb, H&H Metallform, Rhein-Bayer und andere. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran litten zwar an dieser zweigleisigen Politik, dies hielt Deutschland jedoch nicht davon ab, auch den Iran mit Waffen zu beliefern.

Heute ist Deutschland einer der wichtigsten Europäischen Handelspartner des Iran und der Iran ist wiederum einer der wichtigsten Handelspartner für Deutschland im Mittleren Osten. Im Jahr 2005 hatte Deutschland mit 1,67 Milliarden US-Dollar (das entspricht 14,4 Prozent) den größten Anteil am iranischen Exportmarkt. Im Jahr 2008 stiegen die deutschen Exporte in den Iran um 8,9 Prozent und beliefen sich auf 84,7 Prozent des gesamten deutsch-iranischen Handelsvolumens. Laut Angaben des Auswärtigen Amtes stammen 30 Prozent der industriellen Infrastruktur im Iran aus deutscher Produktion. Trotz guter Beziehungen Khomeinis und Jim Carters zu Beginn der Revolution, die vor allem seit der Offenlegung von CIA-Akten bekannt wurde, hat der Iran in den heikelsten Momenten der Revolution auf diplomatische Beziehungen zu den USA verzichtet und die Eskalation mit den USA weiter verschärft. Diese Eskalationspolitik führte dazu, dass der Iran mit Hilfe der USA kurz nach der Revolution vom Irak angegriffen wurde. Die Eskalationspolitik wurde also auch seitens der USA weiter intensiviert. Das hatte natürlich für ein Land wie dem Iran an erster Stelle auch verheerende wirtschaftliche und politische Folgen. Das Land verfügte aber noch über seine Öl- und Gasquellen und über ein nicht weiterentwickelndes Atomprogramm. So hat der iranische Staat all diese Jahre bewusst gute Beziehungen mit den anderen imperialistischen Mächten in Europa und an deren Spitze Deutschland gesucht und versucht, politisch und wirtschaftlich in Europa Fuß zu fassen.

Iran als Regionalmacht und die Atomverhandlungen

Natürlich strebt der Iran die Entwicklung des Atomprogramms an. So kann man sich vorstellen, dass ein Land, welches gegenwärtig versucht sich als Regionalmacht zu etablieren, mit seinem Atomprogramm nicht nur wirtschaftliche Interessen verfolgt, sondern auch militärische. Vom Beginn der Gründung der Islamischen Republik an war die Idee verbreitet, die „Islamische Revolution“ zu exportieren und sich damit als eine unverzichtbare Macht in der Region zu etablieren. So erklärt sich auch die Gründung der libanesischen Hisbollah und die Unterstützung der Hamas seitens des Irans. Die Revolution 1979 im Iran gehört zu einer der wichtigsten Revolutionen unserer Zeit. Marxistische Organisationen hatten trotz der gestohlenen Revolution und den Massenhinrichtungen bis zu Jahren nach 1979 das Streben nach einer sozialistischen Gesellschaft nicht aufgegeben. Zum Anfang der Revolution bildeten sie die Pfeiler der meisten Aufstände und Proteste. So waren dann viele Maßnahmen der Islamisierung, die nach der Revolution ihren Anfang nahmen, vor allem mit der angestrebten Auslöschung linker und kommunistischer Oppositionsgruppen verwoben.

Die Idee, sich als Regionalmacht durchzusetzen, wurde auch innerhalb der Islamischen Republik Teil des politischen Diskurses. Die Hisbollah wurde also mit militärischer und finanzieller Hilfe des Iran und infolge einer von Khomeini verkündeten Fatwa gegründet. Selbst die Ideologisierung dieser Partei und der Begriff „Hisbollah“ stammen aus der von Khomeinis verfassten Ideologie der Hisbollah im Iran nach der Revolution. Und die öffentliche Unterstützung der Hamas ist unmittelbar mit dem Streben des Iran nach mehr politischem Einfluss im Nahen Osten verbunden.

Heute machen vor allem die enge Beziehung zu Russland und die Auseinandersetzungen mit Saudi-Arabien deutlicher, dass es dem Iran nicht um eine islamische Weltgemeinde geht, sondern um den Aufstieg zur politischen und militärischen Regionalmacht. So muss die gestohlene Revolution nicht nur gegen die Drohungen von Außen, sondern auch gegen die Unzufriedenheit der Bevölkerung im Innern verteidigt werden. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu China und Japan unterstützen den Iran auf diesem Weg. Während die scheinbaren „internationalen Sanktionen“ sich nach 2007 immer weiter verschärften, hielten beide Länder ihre wirtschaftlichen Beziehungen aufrecht. Selbstverständlich haben die Sanktionen den Iran wirtschaftlich schwer geschadet, aber angesichts der engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland, dürfte Europa auch Schaden genommen haben – eine plausible Erklärung dafür, warum Europa und spezifisch Deutschland sich für die Verhandlungen so aktiv eingesetzt haben. Ein anderer Aspekt ist, dass der Iran auch ein enger Verbündeter Bashar Al-Assads ist.

Der Iran hat Assad bis zum bitteren Ende des Krieges Unterstützung versprochen. Ghassem Soleimani, der Generalmajor der Al-Quds-Einheit – einer Division der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) – unterstützt die Assad-Truppen im Syrien-Krieg höchstpersönlich bei verschiedenen Kriegseinsätzen. Mit dem Rückzug des IS und der weiteren Stabilisierung des Assad-Regimes in Syrien, muss auch der Iran als Gewinner dieses Krieges angesehen werden. Dies stellt einen weiteren Grund für die EU und die USA – unter der Präsidentschaft von Barack Obama – dar, den diplomatischen Weg im Umgang mit dem Iran zu suchen. Heute hat sich der Iran schon als eine relativ stabile Regionalmacht etabliert. Der von den imperialistischen Staaten über wirtschaftliche Sanktionen angestrebte Regimewechsel, konnte nicht durchgesetzt werden. Die EU hat somit keinerlei Grund, die Trump-Administration in ihrem neuen, alten Kurs zu bestärken. Syrien und Iran sind an erster Stelle Märkte, nicht Länder, in denen Exekutionen und Folter an der Tagesordnung stehen.

Dieser Artikel zielt keinesfalls darauf ab, sich für Wirtschaftssanktionen auszusprechen, unter anderem weil diese immer am meisten die Bevölkerung und nicht die Staatsapparate treffen. Außerdem ist in der Verhängung von Sanktionen immer die Ausübung von illegitimer politischer Macht inhärent. Da jedoch in den öffentlichen Diskursen zum Iran, Wirtschaftssanktionen zentral thematisiert werden, muss eines klar festgehalten werden: Der frühere „kritische Dialog“ Deutschlands, der in den 1990er Jahren und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends propagiert wurde, wird heute sehr direkt „Partnerschaft“ genannt. Auch sind Äußerungen über die sogenannte „Menschenrechtssituation“ im Iran Alibi-Politiken, die verschleiern, worum es eigentlich geht: Profite.

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