Was ist Geschlecht?

07.03.2016, Lesezeit 4 Min.
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Verschiedene Bewegungen haben in der Vergangenheit eine relative Öffnung von Geschlechts- und Sexualitätsnormen durch Staat und Gesellschaft erkämpft. Diese Errungenschaften werden nun von den stärker werdenden antifeministischen, konservativen und rechtspopulistischen Kräften angegriffen.

Zu erkennen ist dieser Backlash an Bewegungen wie den “besorgten Eltern”, die gegen queer-inklusivere Sexualitätserziehung auf die Straße gehen. Auch PEGIDA und die AfD als ihr parlamentarischer Flügel vertreten ein streng binäres, heteronormatives Geschlechterbild mit klaren Rollenvorstellungen. Ziel ist die Konservierung der bürgerlichen Kleinfamilie. Dem müssen wir ein progressives Verständnis von Geschlecht entgegensetzen, eines, welches die Klassengegensätze miteinbezieht.

Wir lehnen es ab, von zwei fest gegebenen Geschlechtern zu sprechen, sowohl in Bezug auf das soziale Geschlecht (Gender) wie auch in Hinblick auf biologisches Geschlecht (Sex). Gleichzeitig hat die Norm der Zweigeschlechtlichkeit eine gesellschaftliche Macht: Die kapitalistische Klassengesellschaft ist angewiesen auf die soziale binäre Teilung, um die bereits erwähnte Rollenverteilung und die damit verbundene kostenlose (oder unterbezahlte) Reproduktionsarbeit aufrechtzuerhalten. Sie konstruiert als Rechtfertigung eine biologische Binarität, die so nicht den Tatsachen entspricht.

Zwei biologische Geschlechter?

Das “biologische Geschlecht” setzt sich dabei aus drei Faktoren zusammen: Zuerst aus der Betrachtung der primären und sekundären Geschlechtsorgane, zweitens durch die Analyse des Chromosomensatzes und drittens durch den Spiegel der Geschlechtshormone Testosteron und Östrogen. Geschlecht ist damit alles andere als eine eindeutig zu bestimmende Tatsache und die meisten Menschen wissen weder über ihren Chromosomensatz, noch über ihren Hormonspiegel Bescheid. Der Hormonspiegel ist außerdem durch Umwelteinflüsse veränderbar. Wenn bei der Geburt Abweichungen der für die drei Kategorien festgelegten Normen festgestellt werden, spricht die Medizin von “Intersexualität”. Intersex*Menschen machen bis zu 4% der weltweiten Bevölkerung aus. Das sind ungefähr so viele wie alle US-Amerikaner*innen. Intersex* werden häufig schon als Säuglinge “geschlechtsangleichenden” Operationen unterzogen und erfahren oft erst spät, oder nie, dass sie Intersex* sind. All diese Gewalt findet unter dem Vorwand statt, sie vor Diskriminierungserfahrungen zu schützen.

Doch alleine schon selbst gewählte Identitäten widersprechen dem binären Geschlechtermodell. Wenn Menschen sich als trans und/oder nicht binär identifizieren, weil sie sich dem Geschlecht, welches ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde, nicht zugehörig fühlen, dann reicht das aus als Argument gegen die angebliche Binarität der Natur!

Letztendlich denken wir, dass Menschen in Kategorien wie Geschlecht, Hautfarbe etc. aufzuteilen, ein Merkmal von Klassengesellschaften ist und stark mit der existierenden Unterdrückung zusammenhängt. In einer freien Gesellschaft werden diese Kategorien nicht mehr notwendig sein und keine soziale Macht mehr haben.

Gegen Binarität heißt für die Revolution!

Denn Geschlecht ist eine soziale Unterdrückungskategorie. Menschen werden aufgrund vermeintlich eindeutiger biologischer Differenzen und ihrer damit verbundenen angenommenen Fortpflanzungsfähigkeit in zwei Gruppen, Frauen und Männer, eingeteilt. Auf dieser Basis existiert ein Rollensystem, welches sich den Bedürfnissen der jeweiligen Produktionssysteme anpasst. Nach wie vor profitiert das Kapital als Ganzes von unbezahlter Hausarbeit, die traditionell vorrangig von Frauen verrichtet wird. Es ist abhängig von der Kleinfamilie als Reproduktionseinheit. Gleichzeitig werden seit Beginn der Industrialisierung zunehmend Frauen in die Lohnarbeit eingegliedert, was die Rolle der Familie tendenziell schwächt. Der bürgerliche Staat nimmt deshalb eine konservierende Rolle ein, indem er Maßnahmen wie das Ehegattensplitting einführt. Dazu kommen sexistische Ideologien und die Tatsache, dass Frauen weiterhin weniger verdienen als Männer und auch außerhalb des Haushalts oft Sorgearbeit verrichten.

Das binäre Geschlechtermodell funktioniert zusätzlich auch als Spaltungslinie: Die Einteilung in Mann und Frau und damit verbundene Rollenbilder und Sexismen verhindern, dass wir uns zusammentun und diesem Kapitalismus und seinen Auswüchsen wie AfD, PEGIDA und Co. endlich ein Ende setzen.

Mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel im Rahmen einer sozialen Revolution muss neben der Produktion also auch die Reproduktion verallgemeinert werden, um die Arbeit auf alle Hände zu verteilen und so die Grundlage für ein Ende der Frauenunterdrückung – und damit der binären Trennung von Menschen in Männer und Frauen – zu schaffen.

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