Was bedeutet der Abschluss in der Tarifrunde Metall- und Elektro?

18.11.2022, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Simon Zinnstein

Am Freitag gaben IG Metall und der Arbeitgeberverband Südwestmetall das Ergebnis ihrer Verhandlungen für den Pilotbezirk Baden-Württemberg bekannt: 8,5 Prozent plus Prämien bei einer Laufzeit von 24 Monaten.

Seit September befindet sich die IG Metall in der Tarifauseinandersetzung um eine Lohnerhöhung. Sie fordert 8 Prozent Lohnerhöhung bei einer Laufzeit von einem Jahr, während die Inflation aktuell auf 10,4 Prozent steigt. An der Tarifauseinandersetzungen hängen rund vier Millionen Gehälter. Bis Donnerstag beteiligten sich bundesweit rund 900.000 Beschäftigte an Warnstreiks, davon allein in Baden-Württemberg 300.000, darunter auch mit zahlreichen großen Demonstrationen

In Baden-Württemberg verkündete die Verhandlungsführung um den IG Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger einen ersten Tarifabschluss. Der IG Metall Bundesvorstand empfiehlt, das Ergebnis auch für die anderen Bezirke zu übernehmen. Die jetzige Einigung von 5,2 Prozent zum Juni 2023 (nochmal 3,3 Prozent ab Mai 2024) bei einer Laufzeit von 24 Monaten und zwei Prämien von je 1.500 Euro bedeutet für die Beschäftigten, zwar keine krassen Lohneinbußen hinnehmen zu müssen, bleibt aber dennoch weit unter einem Inflationsausgleich. Zudem werden Erhöhungen und Prämien tröpfchenweise ausgezahlt und erst spät. Es dauert noch bis Juni 2023, bis die erste prozentuale Stufe greift. Solange werden auch Urlaubsgelder noch mit einem niedrigeren Lohnsatz ausgezahlt.

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Quelle: IG Metall

Problematisch ist besonders die Laufzeit von 24 Monaten. Das bedeutet, dass für die nächsten zwei Jahre, egal wie es bis dahin mit der Inflation aussehen könnte, nicht mehr für eine Lohnerhöhung gestreikt werden darf. Die Unternehmen haben Planungssicherheit, die Beschäftigten nicht. Sie stehen mit dem Risiko der Inflation allein da.

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Einkommenseinbuße durch die Einigung angesichts der Inflation.

Die konzertierte Aktion: Gewerkschaftsführungen im Schlepptau des Kapitals

Der Abschluss muss als Teil der konzertierten Aktion gesehen werden, also der gemeinsamen Absprachen von Regierung, Gewerkschaftsspitzen und Unternehmensverbänden, um die Arbeiter:innenklasse in Zeiten von Krieg und Krise ruhig zu halten. Aus diesen Gesprächen stammt auch der ursprüngliche Vorschlag der steuerfreien Einmalzahlungen. Entsprechend fällt nun die Einigung in Baden-Württemberg aus: Vielleicht noch hoch genug, damit die Vorstände der IG Metall vor den Belegschaften halbwegs ihr Gesicht wahren können, aber doch weit hinter dem, was möglich gewesen wäre. Trotz des früheren unverschämten Angebots der Arbeitgeberseite ohne prozentuale Erhöhung bei einer Einmalzahlung von 3000 Euro, organisierte die Gewerkschaftsführung keinen Erzwingungsstreik, um ein besseres Ergebnis erzielen zu können.

Lieber veröffentlichten die Industriegewerkschaften kurz vor dem Abschluss ein gemeinsames Statement mit den Unternehmensverbänden zur „Zukunft des Industriestandortes Deutschland“. Die Prioritäten darin sind klar: Es gibt zahlreiche Vorschläge für Investitionen in die Industrie, doch kein Wort zu den astronomischen Unternehmensgewinnen, dem Lohngefälle in Ost- und West oder eine eigene Vision der Gewerkschaften für einen Umbau der Wirtschaft nach Interessen der Arbeiter:innen. Stattdessen stellt sich die Führung der IG Metall unkritisch hinter die Unternehmensseite.

Gemäß der konzertierten Aktion hat die Verhandlungsführung auch eingewilligt, dass Betriebe in „wirtschaftlicher Schieflage” Teile des Tarifvertrages einfach aussetzen können. So wurde im Rahmen einer „Differenzierung“ vereinbart, dass Unternehmen die Prämien unter bestimmten wirtschaftlichen Bedingungen später oder niedriger auszahlen können. Auch im Falle eines „Energienotstandes“ kann es Sondervereinbarungen geben, die im Detail bisher nicht öffentlich bekannt sind.

Die „Differenzierung“ vertieft die Spaltung bei den Belegschaften der profitablen Konzerne – die wie bei Daimler auch Gewinnbeteiligungen bekommen, zuletzt von über 6000 Euro – und den Zuliefererbetrieben. Die schwächeren Betriebe seien der Grund für die IGM-Führung, „Rücksicht“ auf die Interessen der Unternehmen zu nehmen. Dabei darf der Sektor aber nicht nach den Gewinnen der einzelnen Unternehmen betrachtet werden, sondern als wirtschaftliche Einheit mit enormen Profitraten. Die riesigen Gewinne der Großkonzerne beruhen ja unter anderem auf der Arbeitskraft in den Zulieferbetrieben und wären ohne sie nicht möglich. Statt also die Interessen der Arbeiter:innen hinter denen des Kapitals anzustellen, sollte die IG Metall sich lieber für ihre Satzung kämpfen, die die “Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum” vorsieht. Dies wäre die Voraussetzung für eine demokratische und gesamtwirtschaftliche Planung, bei der an sämtlichen Arbeitsplätzen gleichwertige Bedingungen herrschen.

Es braucht eine Opposition gegen die konzertierte Aktion

Die Bereitschaft in der Belegschaft für einen Erzwingungsstreik wäre da gewesen, um einen besseren Abschluss zu erzielen, aber die IGM-Führung wollte gemäß der konzertierten Aktion lieber schnell ein Ergebnis. So bleibt ein Kompromiss, mit dem die kämpferischen Arbeiter:innen kaum zufrieden sein können. Dies drückt sich auch in den Kommentarspalten in Social Media aus.

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Nun gibt es vielerorts die Stimmung, aus der Gewerkschaft auszutreten. Davor müssen wir warnen. Dies schwächt insgesamt die Kampfkraft der Beschäftigten. Das Problem ist nicht die Gewerkschaft an sich, sondern, dass sie falsch geführt wird, nämlich sozialpartnerschaftlich. Wichtig ist daher, eine Opposition gegen das Verhandlungsergebnis aufzubauen. Es braucht organisierte Stimmen in Betriebsversammlungen und in der Öffentlichkeit aus der Basis der IG Metall sowie aus den Betriebsrats- und Vertrauensleuten-Körpern, damit der Abschluss in Baden-Württemberg nicht einfach in den anderen Bundesländern zur Anwendung kommt, sondern dort die Streiks fortgesetzt werden: Nicht nur für die acht Prozent, die noch immer unter der Inflationsrate liegen, sondern für eine automatische Anpassung der Löhne an die Inflation – denn die Unternehmen haben in den letzten Jahren Rekordgewinne verbucht. Außerdem braucht es ein Sonderkündigungsrecht, damit im Fall einer stärker steigenden Inflation die Gewerkschaften erneut in den Kampf für einen besseren Tarifvertrag treten können.

Eine solche Perspektive, die die Konzerne zur Kasse bittet, statt die Krise auf die Beschäftigten abzuwälzen, ist unbedingt nötig. Es braucht demokratische Versammlungen der Basis, die über alle Schritte des Arbeitskampfes entscheiden, um eine oppositionelle Strömung in den Gewerkschaften zu schaffen, die bei kommenden Auseinandersetzungen dem Vorstand ihren Willen aufzwingt. Als Klasse gegen Klasse wollen wir Kolleg:innen eine Plattform bieten, um ihre Sicht auf die Tarifrunde auszudrücken. Wir laden dazu alle Beschäftigten ein, auf unserer Website von ihren Eindrücken zu berichten.

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