Wahlen in Mexiko: Regierung geschwächt, gutes Ergebnis für Antikapitalist*innen

11.06.2016, Lesezeit 5 Min.
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Die mexikanische Bundesregierung und die herrschenden Parteien gehen geschwächt aus den Wahlen am vergangenen Sonntag hervor. In Mexiko-Stadt keimt währenddessen eine antikapitalistische Alternative, die bei der Wahl einen ersten Erfolg erzielte.

Der vergangene Sonntag war Wahltag in Mexiko: In 12 Bundesstaaten wurden die Landesregierungen bestimmt. Außerdem wurden 60 der 100 Abgeordneten für die Verfassungsgebende Versammlung von Mexiko-Stadt gewählt. Die anderen 40 waren zuvor von der Bundesregierung unter Präsident Enrique Peña Nieto und dem Parlament sowie dem Bürgermeister Miguel Ángel Mancera festgelegt worden.

Diese eingeschränkte Entscheidungsgewalt war ein Grund für die geringe Wahlbeteiligung in der Hauptstadt Mexikos. Nur jede*r Fünfte kam zur Wahlurne und zehn Prozent aller Stimmen waren ungültig. Die Wahlen wurden von einer allgemeinen Apathie gegenüber der Verfassungsgebenden Versammlung geprägt.

Kein Wunder, denn nicht nur mit der Benennung von 40 Abgeordneten will die herrschende Klasse sichergehen, dass am Ende dieses „demokratischen“ Prozesses eine Verfassung in ihrem Interesse herauskommt. So wurde schon längst ein Dokument hinter verschlossenen Türen erarbeitet, ohne das jemand Einblick erlangen konnte. Des weiteren wurden schon vorsorglich Befugnisse von der Verfassungsgebenden Versammlung hin zum Parlament von Mexiko-Stadt verlegt.

Infrage gestelltes Regime

Die politische Kaste in Mexiko besitzt offensichtliche Verbindungen zu den Drogenkartellen auf der einen und dem Weißen Haus auf der anderen Seite. Das Verschwinden von 43 Student*innen brachte die Unterwanderung der Staatsapparate durch die Drogenbosse ans Tageslicht. Die Durchführung unpopulärer Maßnahmen wie eine Bildungsreform und die Privatisierung des staatlichen Ölkonzerns Pemex – von den USA und dem IWF gefordert – durch die aktuelle Regierung kommt belastend hinzu.

Deshalb erlitt die regierende “Partei der Institutionalisierten Revolution“ (PRI) nicht nur in Mexiko-Stadt eine Schlappe, sondern verlor bei den Bundesstaatswahlen auch drei historische Bastionen. Aber die anderen Parteien, die hinter den pro-imperialistischen Reformen stehen, die „Partei der Nationalen Aktion“ (PAN) und die Mitte-Links „Partei der Demokratischen Revolution“ (PRD), konnten von dieser Schwächung nicht profitieren und nur mit Verlusten oder in Allianzen neue Bundesstaaten unter ihre Kontrolle bringen.

Besonders die PRD, der auch der Bürgermeister von Mexiko-Stadt Mancera angehört, verliert zunehmend ihr Image als „linke“ Partei. Schließlich ist sie genauso mit dem Drogenhandel verbunden, genauso in Korruption verstrickt und setzt sich für unternehmensfreundliche Gesetze ein. Davon konnte vor allem die linksreformistische „Bewegung der nationalen Erneuerung“ (Morena) profitieren – mit einem Diskurs gegen die „Mafia der Macht“ und für demokratische Reformen. Sie lief der PRD in Mexiko-Stadt den Rang als stärkste Partei ab und stieg bundesweit von sieben Prozent bei den Legislativwahlen im vergangenen Jahr auf 14 Prozent in diesem Jahr an.

Morena und „Unabhängige“ – Eine Alternative?

Dieser Aufstieg drückt die große Unzufriedenheit breiter Schichten der Bevölkerung, besonders der Hauptstadt, mit den repressiven und unpopulären Maßnahmen der Regierung aus. Doch Morena möchte die Institutionen von innen demokratisieren, ohne dabei mit dem Imperialismus oder auch nur den herrschenden Parteien zu brechen. Indem sie immer mehr Positionen im Regime übernimmt, steht Morena vor einem Dilemma: Einerseits wächst sie, indem sie die Forderungen der Massen nach Veränderungen aufnimmt, andererseits will sie nicht die Interessen der herrschenden Klasse angreifen, weil sie dazu die Abhängigkeit vom Imperialismus angehen müsste.

Doch nicht nur Morena profitiert von der Krise der bürgerlichen Parteien, sondern auch die sogenannten „Unabhängigen“. Dabei handelt es sich Kandidat*innen, die sich unabhängig der registrierten Parteien zur Wahl stellen können, nachdem sie eine Reihe undemokratischer Hürden überwunden haben. Bei den Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung stimmten fast zehn Prozent für solche „Unabhängige“.

Doch ein Großteil dieser Unabhängigen hat über verschiedenste Ecken Verbindungen mit den bürgerlichen Parteien, der Gewerkschaftsbürokratie oder direkt mit der Bourgeoisie. Sie werden gewählt, weil sie etwas Neues repräsentieren wollen – jedoch vertreten sie zum Teil dieselben repressiven Forderungen wie die politische Elite.

Antikapitalist*innen erlangen tausende Stimmen

Eine dieser unabhängigen Kandidaturen in Mexiko-Stadt war der Universitätsprofessor Sergio Moissen von der „Bewegung Sozialistischer Arbeiter*innen“ (MRT), der Schwesterorganisation von RIO in Mexiko. Er vertrat Forderungen wie das Ende der Repression gegen soziale Proteste, die Unterstützung der Lehrer*innenstreiks, einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, die Abwählbarkeit öffentlicher Funktionär*innen und ein Ende der Prekarisierung.

Um sich überhaupt zur Wahl stellen zu können, wurden in einer enormen Kampagne durch die linke Tageszeitung La Izquierda Diario México und Aktivist*innen in den Schulen, Betrieben, U-Bahnen, Plätzen, etc. mehr als 100.000 Stimmen für die antikapitalistische Kandidatur gesammelt. Bei den Wahlen selbst wurde er mit 11.000 gültigen Stimmen (ca. 0,6 Prozent) fünfter der 21 Unabhängigen.

Seit 1988 war es die erste Wahlkampagne der radikalen Linken. Diese hatte sich seit damals auf Abwege wie reformistische oder autonomistische Illusionen begeben und das Prinzip der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter*innenklasse aufgegeben. Im Rahmen der Schwächung der Regierungspartei und einer latenten Infragestellung des Regimes, sowie aufkommender Kämpfe der Lehrer*innen gegen die neoliberale Bildungsreform im ganzen Land, erlangt die Hypothese einer klassenkämpferischen und revolutionären Organisation erneut an Gewicht.

„Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis“, sagt Moissen im Interview mit La Izquierda Diario. „Es ist das Ergebnis einer aktiven Kampagne hunderter Jugendlicher, Arbeiter*innen und Frauen, die sie mitgetragen haben. Damit leisten wir unseren Beitrag zum Aufstieg einer Alternative links von Morena in der Hauptstadt des Landes. Das Wahlergebnis steht im Dienst der kommenden Kämpfe für unsere Rechte auf der Straße und den Aufbau einer unabhängigen Organisation der antikapitalistischen Linken.“

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