Wagner-Aufstand: Wie angeschlagen ist Putins Regime?

27.06.2023, Lesezeit 8 Min.
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Foto: pxhere.com

Noch am Samstag beendeten Putin und Prigoschin die Meuterei mit einem Deal. Was steckt dahinter und was bedeutet das für die Stabilität des Regimes?

In der Nacht von Freitag auf Samstag besetzten Söldner der Wagner-Gruppe unter dem Kommando von Jewgeni Prigoschin die Stadt Rostow am Don, die als wichtige Drehscheibe für Operationen im Ukraine-Krieg dient. Kampflos überließen die regulären russischen Truppen der Privatarmee die Stadt, ehe sich die Wagner-Gruppe Richtung Moskau aufmachte. Am Samstagabend kam es unter Vermittlung des belarussischen Präsidenten Lukaschenko offenbar zur Einigung: Der Söldner-Führer beendete den Marsch auf Moskau, erhielt Straffreiheit und ging dafür nach Belarus. Jetzt wurde bekannt, dass die russischen Behörden dennoch weiter gegen Wagner-Strukturen ermitteln.

Machtkampf zwischen Putin und Prigoschin

Nun stellt sich die Frage nach den genauen Motiven Prigoschins. Er hatte schon in der Vergangenheit immer wieder öffentlich gegen die Armee-Führung gewettert, angeprangert, dass seine Wagner-Gruppe als Kanonenfutter im „Fleischwolf Bachmut“ verheizt werde.

Mit dieser Kritik ist Prigoschin unter einfachen Soldat:innen durchaus populär. Aber er stellt sich noch lange nicht gegen den Krieg. Im Gegenteil: Er und andere Figuren aus dem ultranationalistischen Lager klagen darüber, dass der Krieg nicht mit den richtigen Methoden und entschlossen genug geführt wird. Laut eines Artikels in Le Monde Diplomatique kritisierten sie „die schlechte Organisation des militärischen Nachschubs, die Schwäche der Rüstungsindustrie, die Inkompetenz und Bestechlichkeit der Generäle und eine mediokre Führungselite, die im Luxus schwelge, während das Vaterland in Gefahr sei.“

Diese fanatischen rechtsextremen Kräfte sind wohl selbst dem Kreml nicht ganz geheuer, weswegen die Moskauer Führung in letzter Zeit der Wagner-Gruppe die Rekrutierung in Gefängnissen verbot. Sie versuchte, die Wagner-Söldner in offizielle Armee-Strukturen zu überführen. Prigoschin sah sich in diesem Machtkampf in die Ecke gedrängt und musste möglicherweise damit rechnen, dass die russische Führung gegen ihn vorgeht.

Der Aufstand könnte ein Versuch gewesen sein, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, mit der Drohung, Russland ins Chaos zu stürzen, sollte man ihn nicht ins Exil nach Belarus abziehen lassen. In seinen Aussagen behauptete Prigoschin in einem „Marsch der Gerechtigkeit“ nur gegen die militärische Führung von Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow vorzugehen, aber Putin nicht stürzen zu wollen. Doch der russische Präsident stellte sich hinter seine Generäle und auch sonst fand Prigoschin wohl kaum Überläufer aus den militärischen oder zivilen Führungseliten.

Wie die schnelle Einigung innerhalb eines Tages zeigte, dürfte ein Putschversuch zu keinem Zeitpunkt das Ziel von Prigoschin gewesen sein. Wäre er ernsthaft nach Moskau marschiert, hätte er das Land ins Chaos geworfen und die Front in der Ukraine wäre zusammengebrochen, was sicherlich nicht in seinem Interesse liegt. In diesem Sinne passt der Begriff Meuterei wohl besser als Putschversuch.

Stellt sich Wagner in Belarus neu auf?

In sozialen Netzwerken wird derweil die Theorie diskutiert, ob die gesamte Aktion nicht in Wirklichkeit ein abgekartetes Spiel von Putin und Prigoschin gewesen sein könnte. Als Argumente für diese Annahme werden genannt, dass die Wagner-Truppen mit Leichtigkeit die Großstädte Rostow und Woronesch besetzen und in den Norden bis in die Region Lipezk vorstoßen konnten. Dabei wurden zwar Hubschrauber der russischen Armee abgeschossen und kleinere Vorbereitungen zur Verteidigung Moskaus ergriffen, die aber angesichts der von Putin propagierten „tödlichen Gefahr für die Existenz der Nation“ doch sehr überschaubar ausfielen.

In Windeseile erfolgte dann auch die Einigung mit Lukaschenko. Die harte Bestrafung, von der Putin sprach, war nach nur wenigen Stunden Hochverrat vom Tisch. Dies könnte auf eine gewaltige Schwäche des russischen Präsidenten hindeuten. Oder eben auf eine Inszenierung. Ein großes Verwirrspiel also, um einen Anlass zu haben, Truppen nach Belarus und damit in die Nähe Kiews zu verlegen? Der Aufstand der Wagner-Gruppe war ein hochriskantes Unterfangen, das leicht außer Kontrolle hätte geraten können – dies spricht deutlich gegen ein mögliches Täuschungsmanöver. Zumal eine Verlegung von Truppen nach Belarus auf Satellitenbildern leicht zu erkennen ist, dafür ist ein derart riskantes Manöver nicht nötig.

Es ist eher wahrscheinlich, dass das fragile russische Regime mit dem Exil für Prigoschin in Belarus eine Notlösung gefunden hat. Die Wagner-Armee entwickelte sich zu einem Problem für Putin, das auf diese Weise vorerst gelöst ist. Unwahrscheinlich, dass Prigoschin sich mit einem Privatvermögen von 250 Millionen US-Dollar in Belarus in den Ruhestand setzt. Dieses Vermögen hatte er auch mit den Kriegseinsätzen der Söldner-Gruppe gemehrt.  Putin stellte die Wagner-Leute vor die Wahl, sich in die reguläre Armee einzugliedern oder nach Belarus zu gehen.

Es ist gut möglich, dass Prigoschin seine Truppen dort neu sammelt. Der frühere britische General Richard Dannatt warnte bereits davor, dass die Wagner-Einheiten von dort einen neuen Angriff aus dem Norden auf die Ukraine unternehmen könnten. Von der Grenze aus sind es gerade einmal 100 Kilometer nach Kiew. Eine ernste Belagerung der Stadt wird kaum möglich sein, aber durchaus die Bindung ukrainischer Streitkräfte gegen eindringende Söldner-Banden. Der Zusammenbruch der Front in der Ostukraine und chaotische Verhältnisse in Russland, wie von westlichen Medien vorschnell herbeigejubelt, gibt es vorerst noch nicht.

Die Risse in der russischen Gesellschaft und den Truppen

Trotzdem zeigt der kurzlebige Wagner-Aufstand einen schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung und in den Truppen für Putins Regime. Mit seinen Anklagen fand Prigoschin die Zustimmung unter Soldat:innen, in Rostow wurden die Wagner-Einheiten bejubelt. Nicht unbedingt als Zustimmung zu ihrem Kriegskurs, eher in der Hoffnung, dass nun jemand mal etwas gegen Putin und die von Prigoschin gescholtenen Moskauer Eliten unternimmt.

In den letzten Monaten hat sich durchaus eine gewisse Kriegsmüdigkeit breit gemacht. Zuverlässige Aussagen über die Stimmung im Land sind kaum zu treffen. Nicht einmal zehn Prozent sind bei Umfragen zum Krieg bereit, ihre Meinung anzugeben. Dies mag teils an der Repression liegen, teils auch an Gleichgültigkeit gegenüber den Krieg. Zustimmung drückt dies jedoch sicherlich nicht aus. Le Monde Diplomatique schreibt: es kam „vereinzelt zu spontanen Rebellionen, mobilisierte Soldaten protestierten gegen mangelhafte Ausrüstung und Ausbildung, manchmal verließen sie sogar ihre Einheiten, attackierten Offiziere oder stoppten Transportzüge.“ Chatgruppen bieten Hilfe für fahnenflüchtige Soldat:innen an und an Denkmälern, die an die Opfer staatlicher Verbrechen erinnern, kommt es im ganzen Land trotz Polizeirepression zu Blumenniederlegungen.

Während der Wagner-Meuterei haben die russischen Eliten passiv abgewartet, aber die Gärung unter den Massen ist Realität, ebenso wie die Zerbrechlichkeit von Putins Regime. Putins Fähigkeit, die Militärs, Oligarch:innen und Eliten anzuführen, hängt im Wesentlichen davon ab, ob er Erfolge im Krieg vorweisen und die Massen nach innen ruhig stellen kann. Die Rücksichtslosigkeit, mit der er im Krieg und auch gegen die eigene Bevölkerung vorgeht, wird tendenziell eher zunehmen, zumal die Wagner-Meuterei nun auch einen Vorwand liefert, um noch härtere Repressionen gegen Proteste oder desertierende Soldat:innen zu rechtfertigen.

Gleichzeitig wird jeder Fall von Brutalität, Ungerechtigkeit und Willkür die Wut in der Bevölkerung weiter schüren – heute werden sie teils von Prigoschin und den Ultrarechten instrumentalisiert für ihre Kriegspropaganda. Sie bilden aber auch den Boden für eine unabhängige Antwort der Arbeiter:innen gegen alle Kriegsparteien. Solche Proteste und Aktionen gab es durchaus mit Erklärungen von Arbeiter:innen und Gewerkschafter:innen gegen den Krieg, bis hin zu Sabotagen, Straßenprotesten, feministischen Protesten, Aktionen aus der Umweltbewegung. Die fortschrittlichen Tendenzen werden stark unterdrückt, aber mit dem fortlaufenden Krieg und der neuen Schwäche, die das Regime gezeigt hat, können sie mehr Anklang finden.

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