Visca Catalunya lliure i socialista!

27.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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Nachdem sich die Zentralregierung in Madrid und die katalanische Regierung in den letzten Tagen nicht auf einen Kompromiss einigen konnten, stimmte das katalanische Parlament mit großer Mehrheit für die Unabhängigkeit. Madrid reagierte umgehend und aktivierte mit einem Senatsbeschluss den Artikel 155 und die offizielle Zwangsverwaltung über Katalonien.

Gestern noch schien es so, als sei die Unabhängigkeit Kataloniens begraben worden. In den ersten Meldungen des Tages war von Neuwahlen am 20. Dezember die Rede, die der Präsident der Generalitat, Carles Puigdemont, ausrufen wollte. Dies wäre die vollständige Kapitulation gegenüber dem Regime von 1978 gewesen. Heute jedoch stimmte das Parlament in Barcelona mit 72 zu 10 Stimmen für die Unabhängigkeitserklärung. Damit setzte das Wahlbündnis JxSI ihre Mehrheit durch, nachdem die Gegner*innen der Unabhängigkeit aus Protest der Abstimmung ferngeblieben waren. Ein einzigartiger Schritt! Hunderttausende hatten diese Erklärung schon antizipiert und waren in Scharen auf die Straßen gegangen. Der 27. Oktober wird damit als Tag der Unabhängigkeitserklärung in die Geschichte eingehen und stellt schon jetzt einen Dammbruch in den reaktionären Mauern des 78er-Regimes dar.

Die Resolution, über die abgestimmt wurde, sieht vor, dass die „katalanische Republik als unabhängiger und souveräner Staat“ konstituiert wird. Auch das ein bedeutender Unterschied zur bisherigen Staatsform, die eine konstitutionelle Monarchie darstellt und wo Felipe VI. das repräsentative Staatsoberhaupt bildet. Sofort nach Bekanntgabe der Annahme der Resolution wurde die katalanische Hymne, Els Segadors, angestimmt. Auf den Straßen ertönte immer wieder der Ruf „Hem votat, hem guanyat i hem proclamat!“ — Wir haben gewählt, wir haben gewonnen und wir haben [die katalanische Republik] proklamiert!

Wie erwartet reagierte die Madrider Regierung repressiv. Mit der Mehrheit der Konservativen, aber auch den Stimmen der PSOE und der Ciudadanos, stimmte der Senat für die Entmachtung der Generalitat, und die Zwangsverwaltung Kataloniens. Er erklärte das Parlament für aufgelöst und rief Neuwahlen für den 21. Dezember aus. Gegen Puigdemont wird zudem ein Verfahren gegen „Rebellion“ eingeleitet, wofür er im Höchstfall für 30 Jahre ins Gefängnis geworfen werden könnte.

Ministerpräsident Mariano Rajoy nannte die Unabhängigkeitserklärung einen „kriminellen Akt, weil es etwas erklärt, was gar nicht möglich ist — einen katalanischen Staat.“ Weiterhin rief er die Spanier*innen [!] dazu auf, „Ruhe zu bewahren. Der Rechtsstaat wird die Legalität in Katalonien wiederherstellen.“ Was das heißt, wird sich in den kommenden Tagen zeigen, da dieser Artikel 155 noch nie angewendet wurde. Es liegt aber in der Natur des 78er-Regimes, dass alle Maßnahmen in Frage kommen, um die Macht der Generalitat zu brechen — inklusive der Verhaftung der Regierung, sowie der Kontrolle über die öffentlich-rechtlichen Medien und nicht zuletzt der Regionalpolizei, den Mossos d’Esquadra, in Katalonien. Auch ein Einsatz des Militärs ist nicht ausgeschlossen, befinden sich doch schon jetzt 10.000 paramilitärische Guardia Civil und zusätzliche Militäreinheiten in Katalonien.

Doch bis zum frühen Abend fand keine Repression statt. Selbst auf den Straßen waren kaum Einheiten zu sehen. Dafür jedoch vielmehr Anhänger*innen der Unabhängigkeit, die sich auf allen öffentlichen Plätzen versammelt hatten.

Eine neue Ära

Doch der Kampf um die Unabhängigkeit ist mit dem heutigen grandiosen Tage nicht zum Abschluss gekommen. Im Gegenteil, er tritt in eine neue, höhere Phase ein. Es ist ein gigantisches Bündnis, das sich gegen die Unabhängigkeit formiert hat: Weder die EU noch eines ihrer Mitgliedsländer noch die USA erkannten die Unabhängigkeit an. Von Donald Tusk über Emmanuel Macron bis hin zum US-Außenministerium wurde krampfhaft betont, dass es für sie nur einen Ansprechpartner, die spanische Regierung, gebe und dass die Integrität Spaniens außer Frage stehe. Die Bundesregierung warf dem katalanischen Parlament „Verfassungsbruch“ vor und steht damit perfekt in der reaktionären Allianz der Mörder*innen und Verbrecher*innen, welche das postfranquistische Regime unterstützen. Demgegenüber müssen wir, wie der argentinische Parlamentsabgeordnete Nicolás del Caño von der Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT) es ausdrückte, fordern, dass die spanische Monarchie die Finger von Katalonien lassen und die Staaten sofort die neue Republik diplomatisch anerkennen müssen.

Auch die spanische Börse, der IBEX 35, reagierte in ihrem Sinne negativ und verzeichnete ein Minus von drei Prozent. Besonders traf es die großen katalanischen Banken, wodurch aber nur die Wahrheit ein weiteres Mal bestätigt wird, dass die katalanische Großbourgeoisie gegen die Unabhängigkeit ist. Sowieso hatten schon seit dem 1. Oktober fast 1700 spanische Firmen ihren Sitz außerhalb Kataloniens verlegt, nachdem die spanische Regierung dieses juristische Prozedere per Dekret auf einen Mausclick reduziert hatte. Keine Frage, dass die spanische Bourgeoisie gewillt ist, jegliche Schritte zu unternehmen, um Katalonien wirtschaftlich ausbluten zu lassen.

Es werden weitere solcher Maßnahmen folgen, und ob gewollt oder nicht, nur antikapitalistische Maßnahmen wie etwa die entschädigungslose Nationalisierung der Banken, werden die katalanische Republik retten. Der 27. Oktober ist ein Sieg der Bewegung, die sich binnen weniger Wochen beschleunigte und ein Tempo erreichte, der nun ganz Europa den Atem hält. Hunderttausende mobilisieren sich seit Wochen auf den Straßen, sie sind es auch, welche die Unabhängigkeit erst möglich machten — sie sind es aber auch, die mit den Mitteln des Klassenkampf die Unabhängigkeit verteidigen müssen.

Denn wie der Genosse Salvador Lou von der Revolutionären Arbeiter*innen-Strömung (CRT) in einem ersten Statement analysierte:

Das wird die einzige Garantie sein – nicht nur, um sich gegen den Spanischen Staat und den Artikel 155 zu verteidigen, sondern auch um um eine unabhängige Republik zu erreichen und um diskutieren und entscheiden zu können, welche Art von Republik das sein muss: ob es eine Republik der Kapitalist*innen sein soll, eine Republik, die dem 78er-Regime sehr ähnlich ist – oder ob es eine Republik der Arbeiter*innen der Frauen und der Jugend sein soll, eine sozialistische Arbeiter*innenrepublik.

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