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Verschärfung der Abtreibungsgesetze: Warum wir jetzt alle nach Polen schauen sollten

29.10.2020, Lesezeit 6 Min.
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Bild: Protest gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze in Polen 2016, von Zorro2212

Die rechte Regierung Polens hat erneut die Freiheitsrechte der Bevölkerung angegriffen, indem sie das Recht auf Abtreibung noch weiter eingeschränkt hat. Im April hatte das Parlament darüber beraten, nun ist es soweit: Nur noch in sehr wenigen Ausnahmefällen ist es gebärfähigen Menschen gesetzlich erlaubt, eine Abtreibung durchzuführen.

Die bereits sehr strenge, vorherige Regelung hatte Abtreibungen noch in drei Fällen erlaubt: bei irreversiblen Schäden des Fötus, bei Gefahren für das Leben der schwangeren Person, oder wenn die Schwangerschaft Resultat einer Vergewaltigung oder eines Inzests ist. Nun sind auch bei schweren und unheilbaren Schädigungen am Fötus keine Abtreibungen möglich.

Die Bedeutung des Abtreibungsrechts für feministische Kämpfe

Es ist an dieser Stelle wichtig zu verstehen, warum der Kampf für sichere, legale und kostenlose Abtreibung ein so entscheidender ist für den Feminismus. Das erste Land, in dem die Abtreibung schon 1920 legalisiert wurde, war die ehemalige Sowjetunion. Damit war es auch das erste Land, welches diesen großen Schritt in Richtung Emanzipation und Selbstbestimmungsrecht der Frau ging.

Das Recht auf Abtreibung bedeutet nichts anderes, als dass gebärfähige Menschen allein über ihren Körper und ihr Leben entscheiden können. Denn ein Kind zu bekommen und großzuziehen, hat riesige Folgen auf das restliche Leben von Arbeiter:innen. Der kapitalistische Staat drängt die Reproduktionsarbeit in die Haushalte, anstatt die gesamte Hausarbeit (Kinder Erziehung, Waschen, Kochen etc.) zu vergesellschaften. Die Arbeiterinnen erfahren eine vom Patriarchat vorangetragene Doppelbelastung durch Lohnarbeit und unbezahlter Hausarbeit, die dem Kapitalismus viel nützt. Mehr Care-Arbeit leisten zu müssen, bedeutet in den meisten Fällen in Teilzeit arbeiten zu müssen. Das hat am Ende eine schlechtere Rente und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Altersarmut zur Folge. Wenn aber die Bourgeoise ihr Leben durch Kinder nicht zu sehr einschränken will, können sie sich Nannies und jede mögliche Kinderbetreuung besorgen. Aber wer wird denn dafür schlecht bezahlt? Richtig, Arbeiter:innen.

Es mischen sich also der Staat und die Kirche als Repressionsorgane in die Leben von gebärfähigen Menschen ein, sodass ihnen das Recht genommen wird, für sich selbst Entscheidungen zu treffen. Das und noch viel mehr kann auch im Buch „Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben“ von Kristen R. Ghodsee nachgelesen werden.

Letztendlich geht es sowieso nicht darum, ob gebärfähige Menschen abtreiben sollten oder nicht – denn Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben. Es geht darum, ob arme Menschen dabei sterben oder nicht. Daher muss unser gemeinsamer Kampf folgendes Motto tragen:

Sexualerziehung um zu entscheiden. Kostenlose Verhütungsmittel um nicht abzutreiben. Legale Abtreibung um nicht zu sterben.

Im Kapitalismus ist keine Reform sicher

Eine sehr wichtige Lektion aus den aktuellen Entwicklungen in Polen ist, dass Reformen uns kein dauerhaft, besseres Leben garantieren können. Wie ist das gemeint? Es ist natürlich möglich, dass Reformen die Lebensbedingungen kurzzeitig verbessern, beispielsweise indem die Abtreibungsgesetze gelockert werden. Doch im Kapitalismus ist keine Reform sicher! Schon die nächste, rechte Regierung kann hart erkämpfte Errungenschaften schlagartig wieder zurücknehmen, wie jetzt gerade in Polen.

Trotz allem ist es wichtig für gewisse Reformen zu kämpfen, weil sie für einige Menschen über Leben und Tod entscheiden können. Wichtig ist nur, dass sie nicht das Hauptziel sein können. Das ist die nämlich die Strategie des Reformismus. Der Kampf muss weit über Reformen hinausgehen, indem er gegen den bürgerlichen Staat vorgeht und dabei die Errungenschaften aufnimmt. Letztendlich wird nur eine sozialistische Revolution, die (politischen, materiellen) Bedingungen dafür schaffen können, freiheitliche Rechte, wie das auf Abtreibung, dauerhaft umsetzen können, sowohl formal als auch im Alltagsleben. Aber wer soll die Reformen erkämpfen und den Kampf dann weiterführen?

Verschärfung der Klassenfrage durch Corona

Auch in Deutschland hat das Corona-Virus die Möglichkeit Abtreibungen zu bekommen zeitweise erschwert. Wie auch die Klimakrise, hat die Pandemie eine „hervorragende“ Arbeit dabei geleistet, bestehende Ungerechtigkeiten des Systems bloßzustellen. Man braucht nur auf die Krankenhäuser zu schauen, die in den letzten Jahren durch die Privatisierung und den Profitzwang immer weiter davon entfernt wurden, gut im Sinne der Gesellschaft funktionieren zu können. Wie allgemein eine gute Gesundheitsversorgung waren auch sichere Abtreibungen schon immer eine Frage der Klasse. Das verschärft sich nur noch weiter in Ländern, in denen die Abtreibungsgesetze immer stärker die Freiheiten gebärfähiger Menschen einschränken.

Denn einige gebärfähige Menschen, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, werden natürlich weiterhin Abtreibungen erhalten, auch ohne ihr Leben dabei zu riskieren. Sie können in Nachbarländer reisen oder heimlich zu Spezialist:innen gehen. All diese Möglichkeiten haben viele gebärfähige Menschen nicht und so müssen sie ihre Gesundheit und ihr Leben bei illegalen, unsicheren und unhygienischen Abtreibungen aufs Spiel setzen.

Perspektive des Kampfes

Wer muss also diesen Kampf weiterführen und die Rechte der Frauen und gebärfähigen Menschen in Polen und überall auf der Welt wiederherstellen?

Um diese Frage zu beantworten, können wir uns anschauen, wem die rechtskonservative Regierung Polens noch schadet. Sie schränkt nämlich nicht nur demokratische Rechte (wie Abtreibungsrechte und die Freiheit der sexuellen Orientierung) ein, sondern verschlechtert auch maßgeblich die Arbeitsbedingungen.

Ein Beispiel: Die polnische Bergbauregion in Śląsk. Schon Anfang April gab es erste Berichte über Corona-Infektionen in den Bergwerken und eine landesweite Ausgangssperre. Die Arbeit in den Kohlewerken ging trotzdem weiter. Die polnische Regierung und Unternehmen leugneten öffentlich, dass in den Bergwerken eine Infektionsgefahr bestehe. Die Wahrheit ist aber, dass in dieser Region etwa 44.000 Menschen jährlich an der Luftverschmutzung sterben, was direkt aus veralteter Technik in der Industrie und privaten Heizungen folgt. Es ist bekannt, dass Menschen mit Vorerkrankungen oder Vorschädigungen der Lunge besonders gefährdet sind, an Covid-19 zu erkranken.

Die Feminst:innen brauchen im Kampf gegen die rechtskonservative Regierung die Kraft der Arbeiter:innen. Der für Mittwoch von feministischen Gruppen ausgerufene nationale Streik hatte einige kleine Erfolge, wie das Aussetzen gewisser Universitätsvorlesungen. Doch die Möglichkeit, tatsächliche Streiks auszurufen, die das Land lahmlegen, liegt bei den Gewerkschaften.

Die Geschichte der Gewerkschaften ist in Polen jedoch eine sehr besondere, was sich zum Beispiel in der engen Verbindung der ersten unabhängigen Gewerkschaft Solidarność mit der katholischen Kirche zeigt. Das ist einer der vielen Aspekte, die eine Beteiligung der Gewerkschaften an den Kämpfen für das Recht auf Abtreibung erschweren.

Welche Hürden es noch gibt und wie diese überwunden werden können, werden wir in einem nächsten Artikel erklären. Ihr findet ihn hier verlinkt, sobald er erscheint.

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