Vermummt und verpixelt zur Revolution?
Viele Linksradikale in Deutschland wollen am liebsten gar nicht zu sehen sein. Sie vermummen und verpixeln sich sogar bei legalen Demos und Mobi-Aktionen. Doch was bedeutet Öffentlichkeit im Kampf gegen den Kapitalismus?

Zum ersten Mal habe ich 2009 erfahren, dass es mit Gesichtern auf Fotos überhaupt ein Problem geben kann. Wie in ganz Deutschland wurde in München im Bildungsstreik die Uni besetzt. Verpixelt kannte ich bis dahin nur Verdächtige im Fernsehen. Kämpfer*innen aus der Arbeiter*innenbewegung, die ich aus der Gewerkschaft kannte, verpixelte man nicht. Es gab gar keinen Grund dafür, einen legitimen Kampf ohne konkrete Gefahr zu verbergen.
Bei der Besetzung aber verpixelten Linke ihre eigenen Bilder und vermummten ihre Gesichter, während bürgerliche Journalist*innen fotografierten. Spätestens als die „Sportfreunde Stiller“ spielten, der Unipräsident zu einer Podiumsdiskussion ins besetzte Audimax kommen musste und tagein tagaus Presse da war, kam mir das Vermummen albern vor. Die Besetzung scheiterte – nicht nur in München, sondern deutschlandweit – schließlich nicht wegen Repression, sondern wegen der Isolation: weil immer weniger Leute kamen und die letzten sich in den Weihnachtsferien der Polizei ergeben mussten. Und keine einzige Person bekam wegen eines Bilds aus der Audimax-Besetzung München jemals Probleme.
Ein Problem der deutschen Linken
An den meisten Orten der Welt gibt es die Debatte um Verpixeln und Vermummen auf öffentlichen Versammlungen nicht. Als ein Genosse aus Argentinien von der Angst der deutschen Linken vor Bildern erfuhr, wunderte er sich: „Wenn sie nicht gesehen werden wollen, warum gehen sie dann auf die Straße?“ In seiner jahrelangen Tätigkeit als linker Journalist hatte er nie erlebt, wegen „unverpixelter“ Bilder von Demos angefeindet worden zu sein. Bis er 2016 nach Deutschland kam.
In Frankreich dasselbe: Die aktuelle Massenbewegung aus Jugendlichen und Arbeiter*innen gegen die Arbeitsmarktreform sucht die Öffentlichkeit – alle sind selbstverständlich in ihren Schulen und Unis bekannt, ihre Bilder stehen im Internet. Sie wollen die Mehrheit ihrer Klasse gegen das Arbeitsgesetz gewinnen. Beim Kampf gegen Repression spielt die Berichterstattung von Révolution Permanente eine wichtige Rolle, Videos über das Vorgehen der Polizei wurden Millionen Male geteilt.
Wir wollen ins politische Leben dieses Landes eingreifen. Wir wollen Gesichter gegen Rassismus, Krieg und Ausbeutung zeigen. Und wir wollen kollektive politische Antworten geben auf Angriffe, die uns von der herrschenden Klasse, ihrem Staat und den Faschist*innen im Kampf erwarten. Wir wollen vor den Augen unserer Klasse nicht wie Kriminelle aussehen – denn nichts anderes ist die Außenwirkung von Vermummten, die durch die Uni rennen, oder verpixelten Gesichtern, die ihre Forderungen per Bild transportieren wollen.
Auf die Spitze getrieben und bewusst eingesetzt wird das „Verbrecher*innen-Image“ vom deutschen Neo-Maoismus. Ihre Vermummung als Anspielung auf Befreiungsbewegungen in Halbkolonien ist völlig verfehlt, denn sie selbst leben in einem imperialistischen Land mit vielen demokratischen Privilegien und könnten damit Politik machen. Sie entscheiden sich aber, lieber nur Politik zu spielen.
Wenn es keinen entgegengesetzten konkreten Grund gibt, wie konkrete Entlassungsgefahr, delegitimiert eine Anonymisierung revolutionäre Politik nur vor den Augen der Massen. Sie lässt uns als einen Geheimbund erscheinen, als abgetrennt von den „normalen“ Studierenden, Schüler*innen, Arbeiter*innen. Das fällt nur innerhalb der radikalen Linken in Deutschland niemandem auf, weil sie in den Augen der Mitte der Klasse und sogar der Jugend sowieso alle als Geheimbünde aussehen – und oftmals sogar gern so aussehen wollen. Davon muss die Linke in Deutschland loskommen, wenn ihre Politik nicht nur ein Hobby sein soll.
Mit Versteckspielen wird nichts gewonnen
Linke politische Arbeit in Deutschland findet derzeit in einem relativ stabilen, bürgerlich-demokratischen und imperialistischen Land statt. Es ist in diesem Land eine Pflicht für linke Aktivist*innen, öffentlich für unsere Politik zu stehen und diese Privilegien zu nutzen. Freiwillig auf diese Privilegien zu verzichten, ist nichts anderes als eine verlängerte Wirkung des Chauvinismus.
Wir leben weder im Faschismus noch in einer bonapartistischen Diktatur. Das dürfen wir trotz aller Repression gegen linke Strukturen nicht vergessen. Es wäre ein Hohn auf die Arbeit von Revolutionär*innen in solchen Situationen, würden wir so tun als ob. Wir müssen unsere Privilegien nutzen – sei es die Erlaubnis, uns gewerkschaftlich und politisch zu organisieren, oder die Erlaubnis, öffentliche Agitation und Propaganda zu machen. Wenn wir alles verpixeln, werfen wir die Privilegien ungenutzt weg.
Mit der autonomen Versteck-Haltung ist ein starker Individualismus verbunden: Die Repression sei davon abhängig, ob ich als Einzelperson ausreichend geschützt werde – als ob man sich durch Geheimnistuerei schützen könne.
Aber was bedeutet Sicherheit konkret – und für wen? Eine Isolation der Linken gibt Sicherheit vor allem für Kapital, Staat und Rechte. Nichts anderes bedeutet das generelle Versteckspiel. Natürlich schützen wir konkrete Personen vor konkretem Erkanntwerden bei konkreten Gefahren, die definiert und abgewägt werden können – wie direkte Entlassungsgefahr oder konkrete juristische und rechte Bedrohungsszenarien. Bei Blockaden und illegalen Aktionen machen wir natürlich keine Bilder von Gesichtern, das wäre einfach dumm und würde unseren Feind*innen im Staat Waffen in die Hand geben.
Aber es ist eine ebenfalls dumme und gefährliche Illusion, zu glauben, dass man relevante und dauerhafte Politik machen und gleichzeitig unerkannt bleiben könne. Die höchste Form der Sicherheit in der bürgerlichen Demokratie ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Gerade der Fall der aktuellen Bewegung in Frankreich beweist, dass die Repression seitens der herrschenden Klasse dann in Frage gestellt wird, wenn sie öffentlich wird. Auch bei Schulstreiks hierzulande gibt es keine völlige „Sicherheit“, dass Schüler*innen keinen Ärger kriegen – das offene Übertreten des Legalismus ist gerade Teil dieser Aktionsform! Es gibt aber durchaus Waffen: Eine davon ist, dass wir Repression öffentlich skandalisieren und kollektiv beantworten.
Bilder sind Mittel des Kampfes
Nichts gibt es geschenkt im Klassenkampf und Abkürzungen gibt es auch nicht. Öffentlichkeit ist ein Zeichen der Ernsthaftigkeit: Ja, wer an einem Streik teilnimmt, kann Ärger dafür bekommen. Wir werben politisch dafür, dieses Risiko einzugehen, weil es sich lohnt. Wir verschleiern das nicht, wie die Autonomen es mit ihrer Mischung aus Paranoia und Illegalitätskult tun. Wir sind auch nicht der Ansicht, dass Repression eine individuelle Frage ist. Sondern wir – Linke und Arbeiter*innen – verteidigen uns kollektiv gegen Angriffe auf unsere legitime politische Organisierung, mit dem Prinzip der Solidarität.
Die Bilder sind Mittel unseres Kampfes, keine Nebenprodukte. Sichtbar wird das spannenderweise gerade bei Kämpfen derjenigen, die der größten Repression ausgesetzt sind: Immer, wenn Geflüchtete in den letzten Jahren Aktionen durchführten – Protestmärsche, Hungerstreiks, Besetzungen –, taten sie das in Mitten der Öffentlichkeit. Die Geflüchteten müssen die Isolation durchbrechen! Sie verlangen eine Berichterstattung! Mit KlasseGegenKlasse.org wollen wir zu dieser Berichterstattung beitragen. Es ist stets der erste Schritt für einen Kampf, eine Erklärung öffentlich zu verlesen, laut zu sagen, was ist.
Das Gleiche gilt für Kämpfe der antirassistischen Jugend. Die bürgerlichen Medien machen nur eine partielle Berichterstattung, die nie alle unsere Ziele wiederzugeben versucht. Unsere Website soll ein Sprachrohr sein. Für den antirassistischen Kampf, um Menschen zu überzeugen, was wir wollen. Dazu brauchen wir öffentliche Figuren unserer Politik, und kein Versteckspiel.
Auch an der Münchner LMU im Kampf gegen die AfD ist die Öffentlichkeit unser Mittel: Wir wollen keine Geheimtagungen von Pseudoparlamenten! Wir konnten durch Videoberichterstattung nicht nur die Legitimität des zahlreichen Widerstands dort aufzeigen, sondern zum Beispiel auch die skandalösen Methoden der Bürokratie, die immer die Öffentlichkeit fürchtet.
Nicht zuletzt gilt dieses Prinzip auch in den Kämpfen unserer Klasse. Gerade, wenn die Gewerkschaftsbürokratie nicht auf der Seite der kämpferischen Arbeiter*innen steht und sie angegriffen werden, brauchen sie öffentliche Solidarität. Wir – und andere klassenkämpferische Medien wie LabourNet – verbreiten solche Arbeiter*innenkämpfe. Und wir schaffen die Verbindung mit anderen Aktivist*innen, die erst so von diesen Kampferfahrungen hören.
Mit all dem soll nicht gesagt sein, dass es in Deutschland keine staatliche Repression und keine rechten Angriffe gäbe – im Gegenteil steigen beide Ziffern immer steiler an. Doch in den allermeisten Fällen ist – wenn wir tatsächlich über den Tellerrand der linken Szene hinaus kommen wollen – die Öffentlichkeit Teil der Stärke unserer Politik.
Spende für Klasse Gegen Klasse
Wir finanzieren unsere Arbeit (also Serverkosten, Technik, Druckausgaben, etc.) ausschließlich aus Spenden, um unsere politische Unabhängigkeit beizubehalten. Wir wollen uns nicht einschränken lassen, durch Förderrichtlinien oder Parteigelder. Und natürlich sind alle unsere Inhalte, wie Videoproduktionen oder Podcasts, kostenlos zugänglich. Dafür brauchen wir eure Unterstützung.
Jetzt spenden
Wie am Ende des Artikels richtig festgestellt wurde, steigt die Zahl rechter Übergriffe auf linke Aktivisten*innen ebenso wie die Fälle staatlicher Repression. Das ist zwar nicht der eigentliche Ausgangspunkt, von dem aus man eine Debatte über Vermummung bzw. Verpixelung von Bildern entrollen müsste, zumindest müsste eine derartige Analyse jedoch eine wesentliche Rolle in der Argumentation für oder wider Verpixelung spielen. Das ist in obigem Artikel leider nicht gegeben. Warum ist Vermummung bzw. das Verpixeln von Bildern also nötig für einen Kampf gegen Faschismus und das kapitalistische System – und ich verwende hier bewusst nicht den Begriff Klassenkampf, der aus vielerlei Gründen unpassend und unzureichend ist, die ich gerne an anderer Stelle erläutere? Ich will in diesem Kommentar auch nicht den Jahrzehnte währenden Diskurs der politischen Linken zu diesem Thema rekapitulieren und auch nicht die zahlreichen Fälle aufzählen, in denen unverpixelte Bilder und unvermummtes Auftreten zu einer gerichtlichen Verurteilung der Aktivisten*innen geführt hat, sondern schlicht darlegen, wo das praktische Problem von unverpixelten Bildern und unvermummtem Auftreten auf „legalen“ Demonstrationen liegt:
Während es für diejenigen Aktivisten*innen, die ihren Protest lediglich auf die in Deutschland legalen oder geduldeten Formen wie öffentliche, angemeldete Demonstrationen, (gewerkschaftliche) Organisation und das Verteilen von Flyern beschränken, relativ unproblematisch sein dürfte, Gesicht zu zeigen, muss allerdings auch festgestellt werden, dass diese Protestformen systemimmanent sind. Sie sind geprägt von hierarchischen Strukturen, einem Machtgefüge von materiellen wie immateriellen Abhängigkeiten und leider in den meisten Fällen auch von Wirkungslosigkeit. Davon, dass mensch es ernst meint, wenn er*sie auf einer Demonstration – auch wenn diese im Rahmen eines Streiks stattfindet – Gesicht zeigt, kann nicht die Rede sein. Zumindest dann nicht, wenn das Ziel aller Bemühungen eine freie, d.h. hierarchiefreie Gesellschaft ist. Ein ernsthafter Protest muss mit der Systemimmanenz brechen und kommt deshalb unweigerlich in Konflikt mit den Regeln des Systems.
Protest, der die Grenze des „legalen“ überschreitet, dagegen, wird von den Repressionsorganen des Staates, sowie des kapitalistischen Systems, mit einer deutlich größeren Härte verfolgt und auch der Aufwand, den Repressionsorgane auf sich nehmen, wenn sie deren Protagonisten*innen verfolgen, ist weitaus größer als der, mit dem Aktivisten*innen, die sich innerhalb der Legalität bewegen, verfolgt werden.
„Legale“ Demonstrationen können sowohl Polizei, als auch Rechtsextremen, die zuweilen ebenfalls einigen Aufwand betreiben, um ihre politischen Gegner*innen zu identifizieren, dazu dienen, Netzwerke aufzudecken und Strukturen offenzulegen. Indem linke Fotografen*innen, die zuweilen nicht nur vom Rand einer solchen Demonstration, sondern teilweise auch inmitten einer Demonstration fotografieren, ihr Bildmaterial veröffentlichen, ohne die darauf erkennbaren Personen unkenntlich zu machen, leisten sie einen nicht unerheblichen Beitrag zur Repressionsarbeit des Staates. An dieser Stelle sei mir auch eine kurze Seitenbemerkung dazu erlaubt, dass verpixelte Bilder und vermummte Gesichter den Anschein von Kriminalität erwecken würden: Linkspolitischer Protest wird in Deutschland wie in beinahe allen anderen Ländern dieser Welt, von staatlicher Seite kriminalisiert. Das zu verzerren ist falsch! Dass sich linke Aktivisten*innen ständig vor Gericht wiederfinden, wird in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Das ist auch ein Problem, das dadurch entsteht, dass in der Öffentlichkeit nicht ausreichend über die staatliche kriminalisierung des Protestes berichtet wird. Statt also den Aktivisten*innen vorzuwerfen, dass sie den Anschein von Kriminalität erwecken würden, muss man sich hier fragen, warum die staatliche Kriminalisierung des linkspolitischen Protests nicht zum Problem erklärt wird!
Um die Kritik an diesem Artikel nun vorzeitig abzubrechen und der Versuchung zu widerstehen, den Artikel in all seinen Details zu dekonstruieren, fasse ich noch einmal zusammen:
Vermummung und das Verpixeln von Bildern ist keinesfalls illegitim, auch nicht der Ausdruck einer „Hobby-Politik“, sondern ein notwendiges Mittel im Kampf gegen Repressionsorgane. Wer das ignoriert, hat entweder einen jahrzehntelang währenden Diskurs um diese Problematik, der in der Linken geführt wurde, verpasst, oder aber distanziert sich deutlich von jeglicher Form des Protests, der mit den Regeln des Systems bricht – auch die abfällige Erwähnung von Autonomen im Artikel erweckt einen derartigen Anklang. Nicht zuletzt kann keines der im Artikel vorgebrachten Argumente jedoch eine Tatsache entkräftigen: Wenn ich nicht auf Bildern sein möchte, ist es verdammt noch mal mein gutes Recht das nicht zu sein. An dieser Stelle kann ich den Vorwurf, Chauvinismen weiter zu bestärken und aufrecht zu erhalten, nur zurück geben: Menschen dieses Recht abzusprechen ist Ausdruck eines anderen, jedoch nicht minder schweren Chauvinismus!
Keine Gesichter erkennen zu können, heißt doch noch lange nicht ohne öffentliche Repräsentation zu agieren. Sicherlich werden andere Bilder produziert, Bilder die üblichen ästhetischen Idealen nicht entsprechen, womöglich auch verstören und Sehgewohnheiten brechen. Womöglich sind für eine andere Gesellschaft eben andere Bilder nötig – Bilder die weit eher kollektive Organisation, statt „repräsentativer“ Einzelpersonen zeigen (und damit wiederum nur immer und immer wieder Ausgrenzung reproduzieren).
Außerdem: es geht doch nicht allein um gegenwärtige Gefahr. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch“ – in Anbetracht des möglichen Faschismus der Vergangenheit, wie der Zukunft, ist es sicherlich keine Fehlplanung die eigene Identifizierbarkeit ein ganzes Stück weit zu erschweren.