Tausende protestieren in Berlin gegen Abtreibungsgegner*innen

19.09.2015, Lesezeit 4 Min.
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// Am Samstag fand in Berlin der reaktionäre „Marsch für das Leben“ statt. Mehrere Tausend Gegendemonstrant*innen protestierten für ein uneingeschränktes Recht auf Abtreibung und für sexuelle Selbstbestimmung. //

„Kirche raus aus meiner Vagina!“ stand auf einem der zahlreichen Plakate gegen den „Marsch für das Leben“. 5.000 Reaktionär*innen marschierten auf, um über die Körper von Frauen zu bestimmen. Schon seit 2008 veranstalten klerikale Frauenfeind*innen den „Marsch“ zur Verschärfung des ohnehin schon restriktiven deutschen Abtreibungsrechts. Die Teilnehmer*innen sind fundamentalistische Christ*innen, rechtskonservative Teile der CDU, AfD-Anhänger*innen und antifeminististische und rassistische Pegida-Ableger. Ihre Demonstration bestach durch Schilder mit Aufschriften wie „Nein zu Euthanasie und Abtreibung“ und Redebeiträge, die Abtreibung mit den Tausenden Toten an den europäischen Außengrenzen gleichsetzten.

3.000 Menschen stellten sich dem Aufmarsch der „Lebensschützer“ entgegen. Zwei Bündnisse mobilisierten zu Gegendemonstrationen: Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, welches vor allem von Parteien und NGOs dominiert wird, sowie das „What the fuck“-Bündnis, welches eine antifaschistische und queerfeministische Demo organisierte. Unter dem Motto „Sexualaufklärung, um zu entscheiden – Verhütung, um nicht abzutreiben – legale Abtreibung, um nicht zu sterben“ nahmen Frauen* von Brot und Rosen, RKJ (Revolutionär-kommunistische Jugend) und Revolution gemeinsam an den Protesten und den Blockaden teil. Erfolge des Gegenprotests: Die Abtreibungsgegner*innen mussten ihre Route halbieren, wurden über eine Stunde lang blockiert und bei einem frauenfeindlichen „Gottesdienst“ gestört.

Die Polizei war mit 900 Einsatzkräften vor Ort. „Wo wart ihr in Heidenau?“ riefen die Demonstrant*innen, während die Polizei mit Schlagstöcken und Pfefferspray auf sie losging. Es gab mehrere Verletzte und dutzende vorläufige Festnahmen. Der gleiche Staat, der seine Einsatzkräfte schickte, greift auch gesellschaftlich die Frauen an: Abtreibung ist in Deutschland bisher weder legal noch kostenfrei. Die „Wartefrist“ vor der Abtreibung gleicht einer Erpressung. Kirchen haben immer noch Einfluss auf Lehrpläne in Schulen und nutzen öffentliche Gremien, um mit ihrer reaktionären Ideologie Zugriff auf die Körper von Frauen zu erlangen. Und nicht nur das: Es sind weiterhin zur übergroßen Mehrheit Frauen, die reproduktive Tätigkeiten wie Kindererziehung und Hausarbeit erledigen müssen. Demgegenüber gibt es bei Weitem zu wenige Kita-Plätze und zu geringe Bezahlung für öffentlich organisierte Erziehungsarbeit. Ohne diese Strukturen ist jedoch eine tatsächlich freie Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft völlig illusorisch.

In der jetzigen Krise des kapitalistischen Europas finden nicht nur in Deutschland, sondern europaweit immer mehr Angriffe gegen Frauen und LGBTI* statt: Im Spanischen Staat schränkte die Regierung unlängst das Abtreibungsrecht ein, nachdem sie schon letztes Jahr ein noch viel reaktionäreres Abtreibungsgesetz durchsetzen wollte. Die hauptsächlichen Drohungen konnten damals durch eine Massenmobilisierung verhindert werden, doch in der nun verabschiedeten Fassung gibt es Einschränkungen gegen die Selbstbestimmung Minderjähriger. In Frankreich mobilisiert die homo*transfeindliche „Demo für alle“ seit 2012 Rechte und Kirchliche gegen jegliche von der „Mann-Frau-Familie“ abweichende Modelle.

Gegen diese reaktionäre Welle sind in den letzten Jahren Ansätze für eine neue Frauenbewegung entstanden – auch in Deutschland: Proteste am 8. März, die „Slutwalks“, und eben auch die Demonstrationen gegen die „Lebensschützer“. Diese Proteste, angeführt vor allem von jungen Frauen und LGBTI*, sind militant und lautstark. Um die Grundlagen des Sexismus und der frauenfeindlichen Gesetze – nämlich die kapitalistisch organisierte geschlechtliche Arbeitsteilung – wirklich anzugreifen, braucht es darüber hinaus eine klassenkämpferische Perspektive. Erste Ansätze dazu zeigten sich in den letzten Monaten u.a. in der Unterstützung der Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst. Mit Brot und Rosen stehen wir für einen klassenkämpferischen Feminismus ein, um diese Perspektive voranzutreiben.

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