Südkorea: Hunderttausend kämpfen gegen prekäre Arbeit
In Südkorea streiken 1.600 Beschäftigte des Telekommunikationsunternehmens SK Broadband gegen prekäre Arbeit und niedrige Löhne. Dabei kämpfen sie auch gegen die Politik der Regierung, die diese Praxis ermöglicht. Wir veröffentlichen hier ein Interview mit dem Gewerkschafter Beom-Chae Jeong, Präsident der SK Broadband Irregular Workers' Union.

Vor über einem Jahr versprach die Geschäftsführung von SK Broadband, den Status von prekär Beschäftigten zu verbessern. Auslöser war die neue Eingliederungspolitik der Regierung, die prekär Beschäftigte im öffentlichen Sektor zu Vollzeitbeschäftigten machen sollte.
Doch um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu umgehen, gründete das Unternehmen im Juni 2017 eine Tochtergesellschaft, Home & Service, in der die Beschäftigten eingegliedert wurden, ohne jedoch bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu bekommen. Gegen die Praxis wehren sich die Beschäftigten.
Nach einem vierstündigen Warnstreik am 28. Juni, der das Management überraschte, streikten die Beschäftigten von SK Broadband für 48 Stunden, der am 30. Juni mit einer 1.500 Personen starken Demonstration endete. Vor dem Firmensitz in Seoul errichteten sie auch ein Besatzungszelt.
Wie ist der Status des Streiks?
Nach den erfolgreichen Streiks im Juni setzen wir die Teilstreiks in diesem Monat fort. Wir haben über 60 lokale Gewerkschaftsgruppen im ganzen Land und die Teilstreiks finden jeden Tag im Rahmen einer Einheit oder auf lokaler Ebene statt. Die Verhandlungen mit dem Unternehmen sind noch nicht wieder aufgenommen worden.
Warum streikt ihr?
Als Moon Jae-in Präsident wurde, förderte seine Regierung eine „Eingliederungsspolitik“ für den öffentlichen Sektor. Das bedeutet, dass prekär Beschäftigte zu Vollbeschäftigten gemacht werden. Er besuchte den Flughafen Incheon und erklärte die Eingliederung von 10.000 Arbeiter*innen. Einige Kapitalist*innen im privaten Sektor, wie zum Beispiel SK Broadband, verfolgten diese Politik, um gute Beziehungen zur Regierung zu fördern. Der Geschäftsführer von SK beschloss, alle 5.200 prekär Beschäftigte von SK Broadband durch die Gründung einer Tochtergesellschaft einzugliedern.
Wir wollten allerdings direkt bei SK beschäftigt sein und trauten dem Plan nicht. Aber unsere Gewerkschaft akzeptierte ihn, weil viele Arbeiter*innen dachten, dass die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes gewährleistet sein würde. Sie gingen davon aus, dass der Lohn auf das Niveau der regulär Beschäftigten steigen würde. Als Leiharbeiter*innen erhalten wir bei SK Broadband nur etwa 35% des derzeitigen Lohnes der Stammbelegschaft. Das Unternehmen hat uns versprochen, dass sie unsere Löhne nicht kürzen und ernsthafte Anstrengungen unternehmen werden, um unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Arbeiter*innen von SK Broadband demonstrieren in Seoul, 30. Juni 2018
Aber es dauerte nicht lange, bis die Wahrheit ans Licht kam. Als sie eine Tochtergesellschaft gründeten, teilten sie uns bewusst auf und hinderten sogar einige unserer Kolleg*innen aus fünf Zentren daran, dem neuen Unternehmen beizutreten. Diese Aufteilung erschwerte uns die Organisation. Die Überwachung und Kontrolle unserer Arbeit durch das Unternehmen ist noch schlimmer geworden. In einigen Fällen sanken die Löhne sogar auf ein noch niedrigeres Niveau.
Tödliche Unfälle während der Arbeit sind nach wie vor üblich. Bei den Verhandlungen mit dem Unternehmen haben sie uns ignoriert. Sie haben uns sogar gesagt, wir sollen die Firma verlassen, wenn wir mit dem Lohn nicht zufrieden sind. Wir konnten nicht mehr mit ihnen verhandeln. Es blieb keine andere Wahl, als sie zu bekämpfen.
Wie viel Unterstützung hatte der Streik in der Belegschaft?
Wir haben letzten Winter eine Umfrage unter Gewerkschaftsmitgliedern durchgeführt. Fast 85 Prozent von ihnen gaben an, dass sie immer noch prekär beschäftigt seien und mehr als 64 Prozent gaben an, dass sich nichts verbessert habe.
Die Belegschaft unterstützt den Streik mit Nachdruck. Im vergangenen Monat organisierten wir eine Umfrage unter den Mitgliedern der SK Broadband Irregular Workers‘ Union und mehr als 97 Prozent von ihnen nahmen an der Abstimmung teil. Das Ergebnis war überwältigend, 91 Prozent stimmten für den Streik.
Rund 1.500 Gewerkschaftsmitglieder aus dem ganzen Land versammelten sich am 29. Juni in Seoul zu einer Kundgebung. Die Arbeiter*innen fühlten sich durch die Aktionen motiviert und durch die massive Größe des Streiks ermutigt. Seit unserem letzten Streik im Jahr 2014 konnten wir nicht mehr so viele Menschen versammeln, weil dieser Streik wirklich hart war.
Während der sechs Monate waren wir mit Repressionen, Firmenaussperrungen und Verhaftungen konfrontiert. Die Firma hat Tausende von Streikbrecher*innen angeheuert, und wir hatten nicht viele Ressourcen. Aber dieses Mal beschlossen die Gewerkschaftsmitglieder, dass sie es nicht länger hinnehmen werden. Während des 48-stündigen Streiks am 29. Juni wurden die Arbeiter*innen ermutigt weiterzumachen und sie waren stolz zu sehen, zu was sie in der Lage sind.
Da die Einheiten über das ganze Land verteilt sind, ist es nicht einfach, die Streikdisziplin aufrechtzuerhalten. Aber die Gewerkschaftsmitglieder haben immer noch einen starken Willen zu kämpfen. Gegen die Unterdrückung von Managern in den Betrieben versuchen unsere Mitglieder während des Streiks mehr Arbeiter*innen in der Gewerkschaft zu organisieren. Viele Arbeiter*innen sind erst kürzlich der Gewerkschaft beigetreten.
Beom-Chae Jeong spricht auf einer Kundgebung in Seoul
Welche Gewerkschaften sind in SK Broadband aktiv und wen vertreten sie?
Die SK Broadband Irregular Workers Union hat 1.600 Mitglieder. Sie entstand während unseres Streiks 2014. Unsere Gewerkschaft vertritt kämpferische Arbeiter*innen bei SK Broadband. Unser Slogan ist „Fighting workers are true workers (Kämpfende Arbeiter*innen sind wahre Arbeiter*innen)“! Sie ist Teil des Koreanischen Gewerkschaftsbunds (KCTU), der der kämpferischere der beiden Gewerkschaftsverbände in Südkorea ist und rund 800.000 Arbeitnehmer*innen auf nationaler Ebene vertritt.
Es gibt auch eine gelbe Gewerkschaft, die 761 Beschäftigte vertritt. Sie wurde von Arbeiter*innen geschaffen, die unsere Gewerkschaft verließen und sich dem Kampf gegen das Unternehmen widersetzten. Sie verunmglimpften uns oft, weil wir immer den Kampf gegen die Bosse in den betonten. Aber selbst unter ihren Mitgliedern stimmten 200 Arbeiter*innen für den Streik. So planten sie unfreiwillig einen Streik für zwei Stunden, um den Einfluss unter ihren Mitgliedern aufrechtzuerhalten.
Es gibt eine weitere gelbe Gewerkschaft von festen (regulären) Arbeiter*innen. Sie interessieren sich nicht für die Situation und den Kampf der irregulär Beschäftigten.
Wie hat das Unternehmen auf eure Forderungen reagiert?
Sie sagen immer, dass sich das Unternehmen in einer schwierigen finanziellen Situation befindet. Sie lehnten unsere Beschwerden ab und beschuldigten uns, überzogene Forderungen zu stellen. Zum Beispiel, wenn ein*e Arbeiter*in während der Arbeit starb, forderten wir von der Firma Sicherheitsmaßnahmen wie „Teamarbeit“, wenn wir gefährliche Aufgaben ausführen. Normalerweise machen wir die Arbeit allein. Aber die Firma hat unsere Forderung nicht akzeptiert und den Unfall auf „persönliche Unachtsamkeit“ zurückgeführt.
Sie haben unserer Lohnforderung überhaupt nicht nachgegeben. Sie nennen uns jetzt „normale Arbeiter*innen“, aber wir verdienen immer noch nur ein Drittel des Lohns der Stammbelegschaft bei SK Broadband. Sie wollten nur das Image der Firma verbessern, nicht unser Leben.
Wir haben einen kleinen Sieg errungen. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen nicht allen von uns erlaubt, in die Tochtergesellschaft einzusteigen. Das war ein offensichtlicher Versuch, uns zu spalten. Um unsere Einheit zu wahren, kämpften wir gegen ihren Plan. Nach den Streiks im Juni gab das Management nach und überführte unsere Kolleg*innen in die gleiche Tochtergesellschaft. Das war das Ergebnis unseres Kampfes. Jetzt sind alle unsere Gewerkschaftsmitglieder im selben Unternehmen und wir können gemeinsam unter den gleichen Bedingungen kämpfen.
Aber insgesamt ist das Unternehmen immer noch hartnäckig. In letzter Zeit haben sie begonnen, „Ersatzarbeiter*innen“, einzusetzen, um unseren Streik zu brechen. In Gesprächen mit unseren Kolleg*innen versuchen wir einen Weg zu finden, die Streikbrecher*innen zu vertreiben.
Präsident Moon Jae-in versprach, während seines Wahlkampfes irreguläre Beschäftigung zu beenden. Hat er das gehalten?
Ein Jahr nachdem er den Flughafen Incheon besuchte und versprach dort 10.000 Arbeiter*innen einzugliedern, sind nur etwa 1.000 von ihnen zu regulären Arbeiter*innen geworden. Auch dies ist keine wirkliche Eingliederung, sondern eine Eingliederung an die Tochterfirma, wie in unserem Fall. Wir sind der Meinung, dass die Eingliederung in die Tochtergesellschaft nur ein Betrug dieser Regierung ist.
Das ist nicht alles. Während die Regierung Moon Jae-in erklärte, dass sie die Arbeit respektiert, unterstütze sie die Umstrukturierung bei General Motors, die zur Schließung des Gunsan-Werks führte und die Arbeiter*innen auf der Straße zurückließ. Drei Arbeiter*innen haben bereits Selbstmord begangen. Anstatt also reguläre Arbeiter*innen zu werden, wurden irreguläre Arbeiter*innen in den Fabriken von General Motors sogar gefeuert.
Darüber hinaus brach Moon auch sein Versprechen, den Mindestlohn zu erhöhen. Die Lehrer*innengewerkschaft ist noch immer nicht offiziell anerkannt. So steigt die Wut von immer mehr Arbeiter*innen über die Täuschungen der Regierung. Am 30. Juni fand eine Kundgebung prekär Beschäftigter statt, an der sich rund 100.000 Arbeiter*innen in Seoul versammelten.
Wie wird der Kampf bei SK Broadband weitergehen?
Insgesamt stagniert unsere Gewerkschaft seit mehreren Jahren und wir werden unseren Kampf schrittweise verstärken. Wir wissen sehr wohl, dass die Kapitalist*innen nicht so leicht aufgeben werden. Aber der Wille unserer Genoss*innen ist stabil. Unsere Gewerkschaftsmitglieder haben nicht die Absicht, sich leicht zurückzuziehen und sie wissen, dass der Kampf nicht in ein oder zwei Monaten enden wird.
Die Regierung und die Kapitalist*innen täuschen uns, also können wir der Regierung auch nicht vertrauen. Gleichzeitig glauben wir nicht, dass wir das alleine schaffen. Wir müssen gemeinsam mit Arbeiter*innen anderer Unternehmen kämpfen, die jetzt ähnliche Kämpfe führen, wie zum Beispiel bei Samsung Service und LG Uplus.
Das Interview wurde geführt von Juan Cruz Ferre. Es erschien am 31. Juli 2018 auf Left Voice.
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