Streikdemokratie statt „Partizipation“!

01.03.2013, Lesezeit 9 Min.
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// Flugblatt für die Konferenz „Erneuerung durch Streik“ in Stuttgart //

Angesichts der bürokratischen Routine der Gewerkschaftsarbeit in Deutschland begrüßen wir von RIO, der Revolutionären Internationalistischen Organisation, dass eine Konferenz organisiert wurde, um mit Hunderten von GewerkschafterInnen über alternative Formen von Streiks und Gewerkschaftsarbeit zu diskutieren. Wir sind allerdings der Meinung, dass die von den OrganisatorInnen vorgeschlagenen „partizipativen Streikformen“ meilenweit von dem eigentlich Notwendigen entfernt sind, nämlich vollständige ArbeiterInnendemokratie im Streik. Nicht „Mitbestimmung“ der Streikenden, sondern „Machen“ im Sinne der Selbstbestimmung und Selbstorganisation.

Die Broschüre zur Konferenz von Catharina Schmalstieg, die das Beispiel von ver.di Stuttgart verwendet, liest sich angesichts des ultrabürokratischen Gewerkschaftswesens in Deutschland, das man hassen gelernt hat, ja fast schon revolutionär. Tägliche Streikversammlungen, offene Streikleitungstreffen, da hüpft wahrscheinlich das Herz von so manchen, die sich ArbeiterInnendemokratie wünschen. Doch eigentlich ist das, was hier angepriesen wird, keinesfalls der große Wurf, die große „Erneuerung“. Stattdessen entspricht es der Diskussion der linkeren Gewerkschaftsbürokratie, die schon seit Längerem Antworten sucht auf die fortgesetzte Schwächung der Gewerkschaften hierzulande. Ver.di hatte z.B. letztes Jahr die „beste Mitgliederentwicklung“ seit Gründung: unter Berücksichtigung der Neueintritte nur 9792 effektiv verlorene Mitglieder. Der jahrzehntelange Niedergang gefährdet somit auch Apparat und Funktionärsprivilegien.

In dem beworbenen „Stuttgarter Modell“ hat letztlich immer der Funktionär das letzte und entscheidende Wort. Ob bei den Mitmach-Streikversammlungen oder den nicht geschlossenen Streikleitungssitzungen. Das Modell soll die Mitglieder einbeziehen, also demokratischere Aspekte in den Kampf einbringen und zugleich „sicherstellen, dass relevante Entscheidungen von Mitgliedern mit hohem Kenntnisstand“ – also von Apparatleuten, nicht den einfachen ArbeiterInnen! – „getroffen werden“ (S. 28). Kein Wort über die Wahl und Abwahl der Streikleitung durch die streikenden KollegInnen, nichts über die Verantwortlichkeit der Führung des Streiks gegenüber der Basis. Trotz allem Einsatz, allem Engagement, von dem berichtet wird: Der Streik bleibt bürokratisches Planspiel in einem viel größeren Arbeitsbedingungen-Management.

Ganz abgesehen davon, dass das Wort „Bürokratie“ kein einziges Mal vorkommt, wird die undemokratische Struktur der Gewerkschaften selbst – keine Kontrolle durch Abwählbarkeit, keine Reduzierung der Gehälter auf einen durchschnittlichen Tariflohn, keine Ämterrotation etc. – nicht problematisiert. Stattdessen brauchen wir eine antibürokratische Bewegung in den Gewerkschaften, deren zentraler Ansatzpunkt auch der Kampf für volle Streikdemokratie sein muss. Eine Strategie, die nicht auf die Bildung von Organisationsformen der Selbstbestimmung auf allen möglichen Ebenen zielt, ist nicht opportun für unsere KollegInnen, sondern opportunistisch gegenüber dem System der Sommers, Hubers und Bsirskes. Was hier vorgeschlagen wird, ist leider nur Pseudopartizipation. Stattdessen brauchen wir wirkliche Alternativen zur Gewerkschaftsbürokratie.

Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft!

Denn die Situation für unsere Klasse ist auch hierzulande ernst. Nirgendwo in Europa ist der Niedriglohnsektor so schnell gewachsen wie in Deutschland. Reallohnverlust, Lohndumping, Prekarisierung, Absenkung der Renten, Rente mit 67, Hatz IV, Unsicherheit und Elend gehören zum ganz normalen Alltag. In den letzten 15 Jahren waren die ArbeiterInnen in Deutschland oft Weltmeister – im Verzicht! Es gab dazu auch noch kaum Widerstand, unsere Führungen hielten meist still. Die Gewerkschaftsspitzen schluckten dabei beinahe jede erdenkliche Kröte, die deutsche und ausländische KapitalistInnen den Beschäftigten vorsetzten.

Aber wieso organisieren sie keinen Widerstand? Wieso sind die rechten BürokratInnen stets bereit, Kompromisse mit den Bossen einzugehen, die eine Verschlechterung unserer Arbeits- und Lebensbedingungen bedeuten? Warum sehen sie nicht, dass sie die Gewerkschaften ausbluten lassen? Für uns ist die Antwort auf diese Frage relativ einfach: Einerseits weil sie im Geiste der „Sozialpartnerschaft“ gefangen sind, andererseits weil sie es schlicht vergessen oder nie am eigenen Leben erfahren haben, was es bedeutet, mit einem mickrigen Lohn zurecht zu kommen, weil sie nicht begreifen, was es heißt, als LeiharbeiterIn zu leben oder stigmatisiert als Hartz-IV-EmpfängerIn durchkommen zu müssen.

Sie leben nach wie vor in der Illusion, KapitalistInnen und ArbeiterInnen könnten gemeinsame Interessen haben. Sie haben es ja geschafft, sie sind arriviert, werden hofiert und chauffiert. So reden sie von der Notwendigkeit den Standort Deutschland zu sichern, wollen sogar „funktionsfähige und mitgliederstarke Arbeitgeberverbände” (!), wie es im Grundsatzprogramm des DGB steht. Sie wollen uns glauben machen: Wenn es dem eigenen Boss gut geht, geht uns gut. Die Realität spricht jedoch eine andere Sprache. Um ihre Profite zu vermehren, sind die KapitalistInnen bereit den Klassenkampf zu forcieren. Neupack, ein mittelständisches deutsches Unternehmen einer deutschen Familie mit dem sehr deutschen Namen Krüger, kämpft gegen deutsche und nicht-deutsche ArbeiterInnen, schikaniert sie, entlässt sie, missachtet sogar die bürgerlichen Gesetze.

Die KollegInnen antworteten mit Streiks, Blockaden, Solidarität. Und was macht die Gewerkschaftsführung? Sie bittet um Sozialpartnerschaft, während die Krügers klassenkämpferisch auf die KollegInnen einprügeln. Mit „innovativen“ Streikformen – wie dem sog. Flexistreik –, wird der ökonomische Druck der KollegInnen verringert und somit gleichzeitig für Enttäuschung und Demoralisierung gesorgt.

Klar gesagt werden muss: ArbeiterInnen und Bosse haben keinesfalls gemeinsame Interessen! Wer so redet, lügt! Wir müssen auch jeden gemeinsamen Block mit deutschen AusbeuterInnen gegen die AusbeuterInnen und ArbeiterInnen anderer Länder scharf bekämpfen, denn deutsche Profite bedeuten auch unsere Ausbeutung, unsere Armut. Deshalb müssen wir wirklich die Weichen stellen für kämpferische Gewerkschaften und Gewerkschaftsverbände, nicht bloß vage in die ungefähre Richtung zeigen. Wir, linke GewerkschafterInnen und ArbeiterInnen, müssen die Ausarbeitung eines Kampfprogramms auf die Tagesordnung setzen, um die Angriffe der Bosse zum Scheitern zu bringen.

Wir denken, folgende Forderungen und Losungen müssen mindestens Teil davon sein:

  • H Keine Entlassungen, keine Abfindungen sondern Arbeitsplatzerhalt.
  • Verstaatlichung ohne Entschädigung aller Unternehmen, die entlassen oder aussperren.
  • Für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn statt Massenentlassungen.
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Abschaffung statt Regulierung von Leiharbeit.
  • Verteilung der gesellschaftlich notwendige Arbeit unter aller zur Verfügung stehenden Händen.
  • Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft.

Was tun!

Das hier ist kein akademisches Symposium! An diesem Wochenende kommen linke GewerkschafterInnen, KollegInnen und AktivistInnen aus ganz Deutschland und aus den verschiedensten Branchen zusammen, um darüber zu diskutieren, wie Streiks demokratischer organisiert und erfolgreicher geführt werden können. Um damit tatsächlich einen Schritt vorwärts zu machen, sollten am Ende auch möglichst konkrete und praktische Ergebnisse stehen.

Wie können wir uns gegenseitig unterstützen? Die streikenden KollegInnen der Flughafen-Sicherheit könnten einerseits selbst öffentlich wahrnehmbare Unterstützung gegen mediale Hetze und verständnislose Fluggäste gebrauchen. Sie könnten – zumindest im Falle des Hamburger Flughafens – gleichzeitig auch Unterstützung für einen Streik in ihrer direkten Nachbarschaft leisten, der in noch größerem Maße von äußerer Solidarität abhängig ist: den Streik der KollegInnen von Neupack.

Deren Streik ist mit mittlerweile vier Monaten nicht nur ungewöhnlich lang und ausdauernd, sondern hat auch eine Signalwirkung, die weit über die Grenzen dieses einen Betriebs hinausreicht: Die Belegschaft hat es mit einer Geschäftsführung zu tun, die alles daran setzt, einen Tarifvertrag zu verhindern und die dafür auch massive Angriffe auf das Streikrecht fährt.

Eine starke, gut organisierte und praktische Solidaritätsarbeit würde es den KollegInnen ermöglichen, ihren Streik selbstbewusster und mit mehr Durchsetzungskraft zu führen – und zwar auch gegenüber der Führung der IG BCE, die den Streik immer wieder ausbremst. So entsteht der Eindruck, dass der „Flexi-Streik“ vor allem die Streikkasse der IG BCE schonen soll und dazu dient, sich des lästigen Arbeitskampfes zu entledigen, der nicht nach den üblichen Spielregeln der Sozialpartnerschaft geführt werden kann.

Damit der Streik zu einem positiven Symbol für die deutsche ArbeiterInnenklasse werden kann, der sich auch auf kommende Kämpfe bestärkend auswirkt, braucht es die aktive Solidarität aller KollegInnen, um den Kampf deutschlandweit bekannt zu machen und besonders in Hamburg und Umgebung zur praktischen Unterstützung der Streikenden, zum Beispiel bei Blockaden, aufzurufen.

Das streikende Flughafenpersonal könnte die große mediale Aufmerksamkeit nutzen, um auch auf den Streik bei Neupack hinzuweisen. Ebenso könnten zum Beispiel Beschäftigte der Hamburger Verkehrsbetriebe effektiv Solidarität üben. Eine bundesweite Spendenkampagne für die KollegInnen von Neupack sollte schon hier in Stuttgart begonnen werden.

Der Generalangriff der Einzelhandelsunternehmen auf ihre Belegschaften bedroht Hunderttausende. Die deutsche Auto-Industrie steht vor massiven Entlassungswellen und Werksschließungen. Dagegen muss es offensive Streiks der Beschäftigten, sowie breite Solidaritätskampagnen, vor allem durch die Gewerkschaften, aber auch unter Studierenden, SchülerInnen und anderen Teilen der Bevölkerung, geben. Es gilt, hier und heute die ersten Schritte in diese Richtung zu gehen. Wir denken, die hiesige Konferenz sollte die Weichen stellen, um die kommenden Auseinandersetzungen tatkräftig zu unterstützen. Ein erster konkreter und unumgänglicher Schritt ist, eine Streikkasse zu organisieren und zu füllen, um unabhängig von der gewerkschaftlichen Zugehörigkeit oder nicht der KollegInnen ihre Kämpfe zu unterstützen, denn der ökonomischer Druck ist ein mächtiger Feind eines jeden Streiks. Gleichzeitig würde dies den nicht gewerkschaftlich organisierten Sektoren der Beschäftigten signalisieren, dass es sich lohnt sich zu organisieren, sich einzubringen.

Außerdem sollten wir uns die Frage stellen, wie wir den Vorstoß der KollegInnen der Alternative von Daimler Berlin-Marienfelde unterstützen können, eine internationale Widerstandskonferenz der AutoarbeiterInnen zu organisieren, um den europaweiten Angriffen auf die Beschäftigten der Autoindustrie entgegenzutreten.

Diese Fragen sollten hier in Stuttgart nicht nur diskutiert werden. Es sollten auch konkrete gemeinsame Beschlüsse gefasst werden, wie die Kämpfe der nächsten Zeit gemeinsam unterstützt werden können.

Alle Anwesenden sollten die gemeinsamen Beschlüsse in ihre Betriebe und Gewerkschaftsgliederungen tragen und so an einer Zusammenführung der Kämpfe mitarbeiten. Nur so können wir sicherstellen, dass uns diese drei Tage „Streikkonferenz“ nicht nur in der Theorie, sondern auch praktisch weiterbringen.

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