Streicht Argentiniens Schulden!

01.10.2019, Lesezeit 15 Min.
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Die aktuelle Krise in Argentinien ist eine Folge der Sparpolitik, die der IWF und der Imperialismus den halbkolonialen Ländern auferlegt haben.

Am 11. August lag der Kurs der argentinischen Währung bei 45 Pesos pro US-Dollar. Am nächsten Tag waren es 60 Pesos pro US-Dollar: eine Abwertung von 25%.

Das Resultat ist eine Verschärfung einer bereits enormen Wirtschaftskrise in Argentinien. Die Arbeitslosigkeit liegt bei über zehn Prozent. Die Löhne der Menschen werden abgewertet, und sie haben nicht genug Geld, um auch nur das Notwendigste zu kaufen.

In der Zwischenzeit hat Argentinien eine Auslandsverschuldung von mindestens 160 Milliarden US-Dollar gegenüber dem IWF und anderen internationalen Organisationen und privaten Investor*innen angehäuft. Einige sprechen von Zahlungsausfall; als Argentinien das letzte Mal im Jahr 2001 einen Zahlungsausfall erklärte, führte dies zu einer enormen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Krise. Wie ist Argentinien hierhergekommen?

Die Krise

Als Präsident Mauricio Macri 2015 sein Amt antrat, tat er dies mit einem Kürzungsplan für die Arbeiter*innen und die armen Massen. Denn der Zyklus des Wirtschaftswachstums, der unter den früheren Regierungen von Néstor und Cristina Kirchner stattgefunden hatte, ging zu Ende. Dieses Wachstum war im Wesentlichen durch hohe Rohstoffpreise ermöglicht worden. Kirchner verließ ihr Amt jedoch mit einer 33-prozentige Armutsquote, mehr als 40 Prozent Unterbeschäftigung und 25 Prozent Inflation. Das führte dazu, dass die Mittelschichten und die von Steuern betroffenen Sektoren der Arbeiter*innenklasse ihre Regierung entschieden ablehnten.

Macri kam an die Macht, nicht indem er sagte, dass er Sparpolitik betreiben würde, sondern indem er versprach, ausländische Kapitalinvestitionen zu fördern. Laut ihm würde dies Arbeitsplätze schaffen und Armut und Inflation verringern. Aber es waren die reicheren Sektoren, die mit der Agrarwirtschaft und dem Finanzsektor verbunden sind, die von Steuersenkungen und Kapitalflucht profitierten.

Macris Regierung verfolgte eine Politik der Kreditaufnahme bei verschiedenen Organisationen. Im Juni 2018 erklärte er, dass er mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Vereinbarung über einen dreijährigen Vertrag über ein bedingtes Darlehen in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar getroffen habe. Das sollte die Anleger*innen zu beruhigen, die zunehmend nervös und besorgt über das Haushaltsdefizit, die steigende Inflation und die dringenden Schuldenverpflichtungen wurden. Private Investor*innen sehen in Argentinien eine Handvoll Anlagerisiken: hohe Gehälter im Vergleich zum Rest der Region, die hohe Anzahl von Streiks und der hohe Grad der gewerkschaftlichen Organisierung.

Im Gegenzug gab der IWF die Agenda vor, die Argentinien befolgen sollte, um regelmäßig Kreditzahlungen zu erhalten: Arbeitsmarktreform, Rentenreform, Steuerreform und Kürzungen der öffentlichen Ausgaben. Die Regierung von Macri konnte diese Agenda jedoch nicht vollständig durchsetzen. Sie musste einige Sozialpolitiken beibehalten und scheiterte damit, die versprochenen ausländischen Investitionen anzuziehen. Die Krise verschärfte sich, mit steigender Inflation, steigender Arbeitslosigkeit und enorm steigenden Preisen für öffentliche Dienstleistungen.

Stark verschlissen wurde Macris Regierung bei den Vorwahlen zu den Präsidentschaftswahlen im August 2019 schwer geschlagen. Es handelt sich dabei um offene Vorwahlen, in denen alle Wahlberechtigten in Argentinien für ihre bevorzugten Parteien und manchmal auch für ihre bevorzugten Kandidat*innen innerhalb der Partei abstimmen können. Da die gesamte Bevölkerung bei den Vorwahlen abstimmt, ist das Ergebnis für die Partei mit den meisten Stimmen ein sehr starker Indikator dafür, wer die kommenden Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019 gewinnen wird. Der peronistische Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández trat zusammen mit der ehemaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner als Vizepräsidentin an. Die Kandidatur von Fernández-Fernández gewann mit 47 Prozent, 15 Prozentpunkte vor Mauricio Macri – ein fast unumkehrbares Ergebnis.

Die Märkte reagierten darauf mit einem schweren finanziellen Schlag. Am 12. August, dem Tag nach den Wahlen, fiel der Peso gegenüber dem US-Dollar um mehr als 25 Prozent; die Aktien argentinischer Unternehmen in den USA sanken stark, und die Risikoeinstufung des Landes für Investor*innen stieg um mehrere Punkte.

Der neue Wirtschaftsminister Hernán Lacunza (der vorige Minister Nicolas Dujovne musste nach der letzten starken Abwertung zurücktreten) kündigte an, dass die Regierung einen Teil der Schulden kurzfristig verschieben und sich der „Refinanzierung“ der Schulden mittel- und langfristig stellen werde. Die Ankündigung wurde im Finanzsektor als das empfangen, was sie wirklich ist: ein „selektiver“ Zahlungsausfall.

Es ist kein Geheimnis, warum diese Regierung – die als die beste Freundin der Märkte galt – diese Entscheidung getroffen hat: Sie hat nicht das Geld, um die Fälligkeiten zu bedienen, ohne sich einer vollständigen wirtschaftlichen Katastrophe zu nähern. Hinzu kommt das Wahlkampfrennen, da der derzeitige Präsident erneut kandidiert. Es ist eine Situation entstanden, in der Macri nicht regierungsfähig ist und Fernández die geringstmöglichen Kosten für den laufenden Sparplan des IWF übernehmen will.

Die argentinische Zentralbank erhöhte die Zinsen auf 60 Prozent, während Macri eine Reihe von „Notfallmaßnahmen“ ankündigte, um das primäre Haushaltsdefizit zu beseitigen und die Exportsteuern zu erhöhen. Er führte auch wirtschaftliche Maßnahmen wie erhöhte Familienzulagen und Jahresendzulagen für Staatsbedienstete ein, aber diese Maßnahmen sind angesichts eines realen Lohnausfalls von mehr als 40 Prozent völlig unzureichend.

Die Maßnahmen der Regierung mindern die Ängste der Arbeiter*innen und Armen nicht, die in der Vergangenheit bereits unter den Folgen der Einmischung des IWF und der Verschuldung gelitten haben.

Im Namen der „Verantwortung“ akzeptierte die „Frente de Todos“ (die „Front Aller“, die peronistische Koalition, die die Vorwahlen gewann) die Schuldenrückzahlung als unvermeidlich und lehnte jede Infragestellung des gesamten Prozesses der Verschuldung und seiner Begünstigten ab. Alberto Fernández bekräftigte, dass „Schulden bezahlt werden müssen“, aber er erklärte nicht, dass der Mechanismus der Auslandsverschuldung Betrug darstellt.

Das war schon immer die Position der Peronist*innen. Im Jahr 2005 verhandelte Néstor Kirchner die Schulden neu, um aus dem Zahlungsausfall herauszukommen, obwohl ein Richter in einem Fall über die Entstehung der von der argentinischen Diktatur (1976-1986) gemachten Schulden 477 illegale Vorgänge festgestellt hat.

Heute erlebt die argentinische Bevölkerung eine weitere Episode am Ende eines Zyklus. Das Land, das von den Kapitalbesitzer*innen und den Interessen der Imperialist*innen regiert wird, ist in eine katastrophale Krise geraten. Der Versuch, die Errungenschaften der Arbeiter*innen anzugreifen und die große Mehrheit der Bevölkerung für diese Krise bezahlen zu lassen, wurde mit der Ablehnung es Projekts von Mauricio Macri bei den Vorwahlen beantwortet. Die Hoffnung der Massen ist, dass der Peronismus die aktuelle Krise besser verwalten könnte. Diese Illusion bleibt bestehen, aber einige wichtige Kämpfe, wie der Bildungsstreik in der Provinz Chubut (Region Südargentiniens, regiert vom Peronismus), zeigen, dass die Arbeiter*innen dem Joch des IWF entkommen müssen.

Unrechtmäßige Schulden

Fast 50 Prozent der in den drei Jahren 2015 bis 2018 aufgenommenen Schulden wurden für Kapitalabflüsse verwendet, ein großer Teil wurde zur Rückzahlung der bisherigen Schulden verwendet. Nicht ein Dollar ging an eine Schule, ein Krankenhaus oder ein Wohnungsbauprogramm.

Der größte Teil der Kapitalflucht endete in Steueroasen, wo die Eigentümer*innen des Landes das Produkt der Arbeiter*innenklasse hortet, das sie sich aneignen – das ist die Quelle ihrer Gewinne. Jetzt will die argentinische herrschende Klasse, dass die Krise von derselben Arbeiter*innenklasse mit aggressiven Sparplänen bezahlt wird.

Die Schulden Argentiniens gegenüber dem IWF und dem Imperialismus sind seit langem vorhanden. Der illegale und unrechtmäßige Erwerb der Schulden geht auf die Jahre der Militärdiktatur (1976-1986) zurück.

Die CIA unterstützte die Militärdiktatur, die die argentinische Auslandsverschuldung um 449 Prozent erhöhte, von 8,2 Milliarden im Jahr 1976 auf 45 Milliarden US-Dollar im Jahr 1982. Das ist hauptsächlich auf die Verstaatlichung der privaten Schulden der im Land tätigen lokalen und ausländischen Wirtschaftsgruppen zurückzuführen. Wie oben schon erwähnt, stellte Richter Ballesteros mindestens 477 illegale Operationen in diesem Verstaatlichungsprozess fest.

Als eines von mehreren Beispielen lassen sich die Schulden der Macri-Gruppe (eine Gruppe von Unternehmen, die der Familie des Präsidenten gehört) benennen: Ihre privaten Schulden wurden verstaatlicht, was die Staatsverschuldung um 200 Millionen US-Dollar erhöht hat, die die Macri-Gruppe nie zurückgezahlt hat. Präsident Raúl Alfonsín (der erste nach dem Sturz der Diktatur 1983 gewählte Präsident) hat sein Wahlversprechen, die „legitime und illegitime“ Verschuldung zu trennen oder zusammen mit anderen lateinamerikanischen Ländern mit ähnlichen Schuldenkrisen einen „Schuldnerclub“ zu gründen, nie erfüllt.

Die Weltbank stellte fest, dass 40 Prozent der von der Diktatur aufgenommenen Schulden den Kapitalabfluss finanzierten, weitere 30 Prozent wurden zur Zahlung der Zinsen auf die vorherigen Schulden verwendet und die restlichen 30 Prozent für den Kauf von Waffen und nicht angemeldeten Importen.

In den letzten Jahren der Diktatur verstaatlichten Domingo Cavallo, der Direktor der Zentralbank und spätere Wirtschaftsminister unter Carlos Menem (peronistischer Präsident, der einen neoliberalen Wirtschaftsplan anwandte) und Fernando De La Rúa (verantwortlich für den Zahlungsausfall 2001), private Schulden: die von den Konzernen Techint, Renault, Pérez Companc, Bridas der Familie Bulgheroni, Industrias Metalúrgicas Pescarmona (Impsa), Ford und der Familie Macri aufgenommenen Darlehen, die schließlich von den Argentinier*innen im Ganzen gezahlt wurden.

In den 1980er und 1990er Jahren führten die Regierungen nach der Diktatur Neuverhandlungen der Schulden durch, um die Vermögenswerte der Banken zu retten. Nicht nur das: Sie erleichterten die neoliberale Politik und die Enteignung öffentlicher Güter durch Privatisierungen zu „sorgfältigen Preisen“.

Im Jahr 2001 beging Domingo Cavallo selbst Betrug unter Mitwirkung des IWF und der Weltbank. Die Auslandsverschuldung wurde in „Staatsschuld“ umgewandelt, um die großen Finanzkonzerne zu retten. Große Finanzgruppen wie Citibank, Bank Boston, Banco Galicia, Banco General de Negocios und BBVA waren für eine massive Kapitalflucht verantwortlich, die auch die Ersparnisse der Arbeiter*innen beinhaltete.

Der Diebstahl der Ersparnisse der Arbeiter*innenklasse veranlasste die Regierung, das so genannte „corralito“ zu erlassen. Der „corralito“ war die „Legalisierung“ dieses Raubes. In den ersten Dezembertagen wachten die argentinischen Massen auf, ohne auf ihre Spar- und Bankkonten zugreifen zu können. Dies löste den Volksaufstand von 2001 aus.

Schulden als Mechanismus der imperialistischen Unterdrückung

Die imperialistische Unterdrückung der halbkolonialen Welt ist manchmal brutal und rücksichtslos und äußert sich in Form von Kriegen und militärischen Interventionen. Viele andere Male jedoch erfolgt die wirtschaftliche und politische Unterdrückung durch die Intervention internationaler Finanzorganisationen und die chronische Verschuldung armer Länder gegenüber den imperialistischen Mächten. Eine dieser internationalen Organisationen ist der Internationale Währungsfonds. Obwohl der IWF aus 189 Ländern besteht, wird er von den großen imperialistischen Mächten kontrolliert, deren Stimmen eine solide Mehrheit bei der Entscheidungsfindung bedeuten.

Das Oberhaupt des IWF ist gewohnheitsmäßig ein*e Europäer*in, und die Vereinigten Staaten haben genügend Stimmen, um viele wichtige Entscheidungen im Alleingang abzulehnen. Wie von The Guardian berichtet: “Um zu sehen, worin das Problem besteht, betrachten Sie ein kürzlich gewährtes IWF-Darlehen. Im März unterzeichnete Ecuador ein Abkommen über die Aufnahme eines Kredits über 4,2 Milliarden Dollar vom IWF für drei Jahre, vorausgesetzt, die Regierung hält sich an ein bestimmtes, im Abkommen festgelegtes Wirtschaftsprogramm.“ Mit den Worten von Christine Lagarde, der damaligen Direktorin des IWF, war es „ein umfassendes Reformprogramm, das darauf abzielte, die Wirtschaft zu modernisieren und den Weg für ein starkes, nachhaltiges und gerechtes Wachstum zu bereiten.“

Lagardes Worte sind nichts als Lügen. Hinter dem Abkommen steht ein harter Sparplan: Der IWF fordert, dass Ecuador die Staatsausgaben in drei Jahren um 6 Prozent reduziert. Dies bedeutet zum Beispiel Kürzungen bei der Sozialversicherung, die Entlassung von Zehntausenden von Arbeiter*innen und die Erhöhung der Steuern für die Armen und die Arbeiter*innenklasse.

Derselbe Mechanismus der imperialistischen Unterdrückung hat zu der verzweifelten Situation geführt, in der sich das Volk von Puerto Rico, die Arbeiter*innen von Costa Rica und die Massen von Haiti befinden.

Trump seinerseits unterstützte Macris Regierung tatkräftig und war der enthusiastischste Förderer des argentinischen IWF-Abkommens. Wie ein Sprecher des Weißen Hauses letzten Monat berichtete, „brachte Präsident Trump seine starke Unterstützung für die Wirtschaftsagenda von Präsident Macri für Wachstum und die Fortschritte, die er bei der Modernisierung der argentinischen Wirtschaft erzielt hat, zum Ausdruck“.

Wie Trump vertritt der IWF die Interessen großer US-amerikanischer Unternehmen, und er nutzt die chronische Verschuldung, um den halbkolonialen Ländern seine politische und wirtschaftliche Agenda aufzuzwingen.

Die Arbeiter*innen und die Armen dieser Länder sind diejenigen, die unter den Folgen der Krise leiden, und immer wieder wollen die einheimischen und imperialistischen herrschenden Klassen, dass die Arbeiter*innen für die Krise bezahlen. Gegenwärtig leidet das argentinische Volk unter der Pulverisierung der Löhne als Folge der Inflation, der Zunahme der Arbeitslosigkeit und der Erhöhung der Preise für Grundversorgungen wie Strom, Wasser und Gas. Wie schon 2001 werden die Massen in eine Sackgasse geführt. Weder die von Macri vertretene Rechte noch die Kirchner’sche „Opposition“ sind bereit, die Schuldentilgung einzustellen und mit dem IWF zu brechen.

Es gibt nur eine Kraft bei den Wahlen, die die Unterordnung der Wirtschaftspolitik unter die Schuldenerfüllung und die Erpressung durch den IWF bekämpft und die Verstaatlichung der Banken und die Errichtung eines staatlichen Außenhandelsmonopols fordert: die Front der Linken und der Arbeiter*innen – Einheit.

Die Sozialist*innen in den USA und in Europa müssen diesen Kampf gegen die imperialistische Ausplünderung verstärken: „Im Herzen der Bestie“ müssen sie die antiimperialistische Forderung nach dem Erlass der Schulden Argentiniens und Lateinamerikas aufstellen.

Eine leicht veränderte Version dieses Artikels wurde auf Left Voice veröffentlicht.

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