Steinmeiers Einheitsrede: Die Mauern zur AfD einreißen

04.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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Jedes Jahr zum 3. Oktober feiert das deutsche Regime die kapitalistische Restauration. Dieses Jahr ging es um eine Rechtfertigung des Rechtsrucks.

An den Anfang seiner Rede zum „Tag der Deutschen Einheit“ stellt Präsident Frank-Walter Steinmeier ein Zitat von Wolf Biermann:

Heimweh nach früher hab ich keins / Nach alten Kümmernissen / Deutschland Deutschland ist wieder eins / Nur ich bin noch zerrissen.

Die Vertreter*innen der Bourgeoisie sind entzückt von Biermann, dem Liedermacher und ehemaligen linken Kritiker der DDR, der nach seiner Ausweisung zum Reaktionär und Antikommunist wurde – bis er 2014 im Bundestag verbittert auf alle Linken schimpfte.

Die Kümmernisse der kapitalistischen „Einheit“ dagegen verschweigt Steinmeier. Das waren Ausverkauf und Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Altersarmut, Erstarken faschistischer Gruppen und staatliche Förderung des rechten Terrors. Im Ergebnis auch die AfD, die bei der Bundestagswahl in Sachsen zum Teil Mehrheiten gewann. Nach dem gewissenhaften Schimpfen auf die DDR, das zur Staatsräson gehört, kommt also die Rechtfertigung des aktuellen Rechtsrucks in der BRD:

Es sind andere Mauern entstanden, ohne Stacheldraht und Todesstreifen (…), Mauern zwischen unseren Lebenswelten (…), aus Entfremdung, Enttäuschung oder Wut.

Er umschreibt damit den Diskurs der „Sorgen und Nöte“ von Pegida- und AfD-Unterstützer*innen. In seiner Rede will Steinmeier nämlich vor allem eins: die „Mauern“ zur AfD einreißen.

Für einen „demokratischen“ Rassismus

Man müsse die „Mauern der Unversöhnlichkeit abtragen“, meint Steinmeier. Was soll das bedeuten? Es ist ein klarer Hinweis auf ein Zugehen auf die AfD, mit der sich das deutsche Regime „versöhnen“ soll. Denn unter kapitalistischen Bedingungen können die Ursachen für den Rechtsruck, Prekarisierung, drohende Altersarmut, die Krise der EU, die Missachtung für viele Menschen aus der kapitalistisch restaurierten DDR, gar nicht beseitigt werden. Beseitigt werden kann nur die Ächtung rassistischer Positionen.

Was Steinmeier also möchte, ist den Rassismus der AfD „demokratisch“ ins BRD-Regime zu integrieren, wenn er nicht eh schon längst angekommen ist. In seinen Worten heißt das:

die Entscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt und wer auf der Flucht vor wirtschaftlicher Not ist. (…) Ehrlich machen müssen wir uns auch in der Frage, welche und wieviel Zuwanderung wir wollen

Die AfD würde sagen: „Asylbetrug und unkontrollierte Zuwanderung stoppen!“ Bei Steinmeier ist es demokratischer formuliert, will er doch zeigen, „dass Demokraten die bessere Lösung haben als die, die Demokratie beschimpfen“.

Doch er verlangt nichts anderes als die Umsetzung von AfD-Kernforderungen. Konkret heißt das ein Migrationsgesetz, wie es auch die potentiellen Jamaika-Parteien FDP und Grüne sowie die SPD wollen, das gut ausgebildete und ausbeutbare Arbeit zu den Bedingungen des Kapitals nach Deutschland lässt und alle anderen mit Abschiebung bedroht, oder schon gleich in Übersee einsperrt, bevor sie nach Europa kommen. Es lebe die Demokratie!

Diese Demokratie soll nach Steinmeier die „Sehnsucht nach Heimat nicht den Nationalisten überlassen“. Also sich auch rhetorisch dem rechten Diskurs weiter anpassen:

Wenn einer sagt, ich fühle mich fremd im eigenen Land, dann können wir nicht antworten, die Zeiten haben sich geändert (…), denn verstehen und verstanden werden, das will jeder, das braucht jeder, um sein Leben selbstbewusst zu führen. Verstehen und verstanden werden, das ist Heimat.

Eine „demokratische“ Wendung gibt es auch für die uralte Leitkultur-Diskussion der Unionsparteien:

Auch wenn wir sagen, Heimat ist offen, heißt das nicht, dass sie beliebig ist. (…) Wer in Deutschland Heimat sucht, kommt in eine Gemeinschaft, die geprägt ist von der Ordnung des Grundgesetzes, von gemeinsamen Überzeugungen, Rechtsstaatlichkeit, die Achtung der Verfassung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau. (…) Das kann nicht zur Disposition stehen.

Also die alte Mär von barbarischen Geflüchteten, die nicht demokratiefähig seien. Die Demokrat*innen schließlich, das sind ja die Deutschen. Also, die rechtschaffenen Deutschen, die den „aufgeklärten deutschen Patriotismus“ atmen, nicht „G20-Plünderer“, welche Steinmeier zusammen mit Nazis aus Bitterfeld verhandelt.

Um der Demokratie Genüge zu tun, heißt es dann noch, es dürfe über die Geschichte des Nationalsozialismus „kein Schlussstrich, erst recht nicht für Abgeordnete des deutschen Bundestages“ geben – das bleibt allerdings eine leere Worthülse, ist der Präsident doch in seiner ganzen Rede auf eben die zugegangen, die sich so einen „Schlussstrich“ und einen offeneren Rassismus wünschen.

Die Mauern der EU und der deutsche „Friedensstifter“

Welche Mauern Steinmeier auch verschweigt, sind die ganzen realen Todesstreifen und Stacheldrähte um die EU: die Zäune in Mittelosteuropa, das Mittelmeer als Grenzgraben vor dem afrikanischen Kontinent, wo jedes Jahr Tausende sterben. Und die von der EU unter deutscher Vorherrschaft mitfinanzierten Konzentrationslager in Libyen, in denen Geflüchtete zu Tausenden gefoltert und ermordet werden.

Für die Fluchtbewegungen ist der deutsche Imperialismus schließlich selbst verantwortlich. Die Kriege, die von Afghanistan bis Mali Millionen in die Flucht treiben, nennt Steinmeier zynisch „Frieden stiften“, und „wir müssen noch mehr tun, um Frieden zu stiften“, so der frühere Bürokrat des Afghanistan-Kriegs und illegaler Verschleppungen in CIA-Lager.

Um die Dauerpräsenz des Imperialismus im Nahen Osten zu rechtfertigen, setzt er einen billigen Trick ein: Israel als angebliche Lehre des Holocaust. Das „Bekenntnis zu unserer Geschichte“ sei „unverhandelbar“. Zum „Deutschsein“ dazu gehöre „die Verantwortung für die Sicherheit Israels“. Also macht er die Palästinenser*innen und arabischen Völker verantwortlich für die Verbrechen des deutschen Faschismus am europäischen Judentum.

Dieser wilde Zynismus steigert sich bis zur Forderung: „Wer in Deutschland Heimat sucht, kann nicht sagen: Das ist eure Geschichte, nicht meine.“ Damit unterstellt Steinmeier Geflüchteten, antisemitisch zu sein. Und verlangt von ihnen gleichzeitig die Anerkennung des westlichen Diskurses über ihre Heimat, die seit über hundert Jahren mit willkürlichen Grenzziehungen und andauernden Interventionen für die Interessen der Imperialismen gestaltet wurden. Wer nach Deutschland kommt, so das Fazit, hat dem „Friedensstifter“ aus Berlin zu huldigen.

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