Staatsstreich in Niger: eine neue Niederlage für den französischen Imperialismus in Afrika?

02.08.2023, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Katja Tsvetkova/Shutterstock.com

Am Mittwoch vor einer Woche putschte in Niger das Militär und entführte den seit 2021 amtierenden Präsidenten Mohamed Bazoum. Der Putsch könnte erhebliche Folgen für Frankreich haben und einen neuen Niedergang seiner imperialistischen Vorherrschaft in der Region markieren.

Nachdem am vergangenen Mittwoch die Präsidentengarde den amtierenden Präsidenten Mohamed Bazoum entführte, klärten sich am Donnerstag die Verhältnisse zu Gunsten der Putschist:innen. Der Generalstab der Armee versammelte am Nachmittag die Aufständischen, ihm folgte ein Teil der Opposition, die bis dahin eine neutrale Position eingenommen hatte. Der Staatsstreich überraschte Paris und Washington, die die Ereignisse nur tatenlos beobachten konnten.

Paris hat aus seiner Besorgnis keinen Hehl gemacht und beobachtet die Lage genau. Am Mittwoch verurteilte Außenministerin Catherine Colonna „auf das Schärfste jeden Versuch einer gewaltsamen Machtergreifung“. Am Freitag schloss sich der französische Präsident Emmanuel Macron von Papua-Neuguinea aus an, forderte die „Freilassung“ von Bazoum und verurteilte einen „gefährlichen Staatsstreich“ für die gesamte Region. Cyril Payen, leitender Reporter von France 24, brachte die allgemeine Stimmung mit einem lapidaren Satz auf den Punkt: „Das ist das schlimmste Szenario, das Frankreich passieren kann.“

Mittlerweile hat die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS bei einer Sondersitzung in Nigeria mit dem Einsatz von Gewalt gedroht, sollte der nigrische Präsident nicht innerhalb einer Woche freigelassen werden. Zudem verhängten die 15 ECOWAS-Staaten Sanktionen gegen Niger. Diese Schritte wurden von den Nachbarländern Burkina Faso und Mali verurteilt, die ein militärisches Eingreifen als Kriegserklärung betrachten.

Eine Katastrophe für den französischen Imperialismus

In der Tat hatte Frankreich nach dem Sommer 2022 und dem Ende der Operation Barkhane nach zehn Jahren Besatzung in der Sahelzone beschlossen, den Kern seines militärischen Arsenals in die Region Niger zu verlegen und 1.500 französische Soldat:innen in Niamey, der Hauptstadt des Landes, zu stationieren. Wirtschaftlich gesehen ist Niger nach Kasachstan der zweitgrößte Uranlieferant Frankreichs. Für die Versorgung der Kernkraftwerke, die zwei Drittel des Stroms des Landes erzeugen, ist der Import unerlässlich. Im Jahr 2020 entfiel ein Drittel der französischen Uraneinfuhren auf Niamey.

Nach Mali und Burkina Faso ist Niger das dritte bisher mit dem Westen und dem französischen Imperialismus verbündete Land, das innerhalb von drei Jahren einen Staatsstreich erlebt. Die Juntas von Mali und Burkina Faso, die die französische Armee aus ihrem Land vertrieben haben, haben sich seitdem militärisch und sicherheitspolitisch an Russland gewandt. Darüber hinaus hat Niamey in diesen Jahren mehr denn je als zentrale militärische und strategische Bastion des französischen Imperialismus in seinem historischen Kernlands Afrika fungiert.

Das Land galt als letzter französischer Dreh- und Angelpunkt im „Kampf gegen den Jihadismus“ in der Sahelzone. Nun ist kaum abzusehen, wie sich die Lage in Niger entwickeln wird, sie dürfte sich aber weiter verschlechtern. In der Region existieren zahlreiche Sicherheitsprobleme: das anhaltende Chaos in Libyen, Nigeria mit Boko Haram und dem „Islamischen Staat“, dem stark vom Jihadismus betroffenen Nordbenin sowie die komplizierte Situation in Mali und Burkina Faso.

Im Gegensatz zu bürgerlichen Analyst:innen betrachten wir Frankreich jedoch nicht als „Schutzmacht“ für die lokale Bevölkerung und die Arbeiter:innen. Im Gegenteil, die französische Militärpräsenz hat sich nicht nur als ohnmächtig gegenüber bewaffneten jihadistischen Gruppen erwiesen, sondern zur Militarisierung der gesamten Region beigetragen und damit die Instabilität und die Feinde der Arbeiter:innen gestärkt.

Angesichts des wachsenden Unmuts in der Bevölkerung über die französische Einmischung in der Sahelzone haben die Putschist:innen in Niger die ersten Zeichen des Trotzes genutzt. In einer am Donnerstag im Fernsehen verlesenen Erklärung erklärte ihr Sprecher, dass „trotz der gerichtlichen Anordnungen des CNSP [Nationales Komitee für den Schutz des Vaterlandes] zur Schließung der Grenzen festgestellt wurde, dass der französische Partner ein Militärflugzeug vom Typ A400M auf dem internationalen Flughafen von Niamey gelandet hat“.

Im Laufe des Tages fanden mehrere Demonstrationen in Niamey und Dossey, westlich der Hauptstadt, statt. „Nieder mit Frankreich, es lebe Russland“, skandierten die Demonstrant:innen laut Le Monde. Vor diesem Hintergrund begrüßte der Anführer der russischen paramilitärischen Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, in den sozialen Medien den laufenden Putsch. Am Donnerstag wurde zudem in St. Petersburg der Russland-Afrika-Gipfel eröffnet, auf dem nach Angaben des Kremls 49 afrikanische Länder und 17 Staatschefs über die Stärkung der russisch-afrikanischen Zusammenarbeit beraten sollen.

Die Lüge vom „demokratischen Interventionismus“

Unabhängig vom Ausgang dieses Staatsstreichs schwächt die Situation in Niger die zunehmend prekäre Position des französischen Imperialismus in Afrika. Dafür ist die Regierung Macron verantwortlich, die zwar immer wieder zum „Erhalt der Demokratie“ aufruft, aber in der Vergangenheit den Begriff der Demokratie sehr eigenwillig genutzt hat, indem sie viele autoritäre Regime in Afrika (wie etwa den Déby-Clan im Tschad) militärisch, finanziell und politisch unterstützte. Frankreich behauptet unter dem Vorwand des Kampfes „gegen den Terrorismus“, mit seiner interventionistischen Tradition zu brechen, lässt aber bewaffnete Gruppen aufblühen. Die französische Armee beteiligte sich zehn Jahre in der Sahelzone an zahlreichen Konflikten entlang ethnischer Zugehörigkeiten und war auch für schwere Angriffe verantwortlich, einschließlich Demütigungen, Misshandlungen und willkürlichen Hinrichtungen.

Für die Bevölkerung Nigers ist die Lage besonders ernst. Einige scheinen den Staatsstreich (den dritten in Niger seit 2020) in einem Kontext wirtschaftlicher Unsicherheit und instabiler Sicherheit begrüßt zu haben. Es muss auch auf das völlige Fehlen einer Reaktion der Bevölkerung hingewiesen werden, die nicht aufstand, um den korrupten „Besitzstand des demokratischen Regimes“ zu verteidigen, ein Erbe des französischen Imperialismus und der Françafrique (ein Begriff, der die Beziehungen zwischen Frankreich und seiner Herrschaftszone in Afrika bezeichnet). Es handelt sich bei diesem Putsch jedoch keineswegs um eine Antwort auf die von der Bevölkerung aufgeworfenen Probleme, sondern um eine neue autoritäre Wende, die von der Armee und den an der Macht befindlichen Spezialeinheiten instrumentalisiert werden könnte.

Angesichts dieser Situation ist es wichtiger denn je, den Arbeiter:innen und der Jugend von Niger internationalistische Solidarität entgegenzubringen und die Ablehnung jeglicher ausländischer Einmischung, insbesondere des französischen Imperialismus, zu bekräftigen. Die französische und andere westliche Regierungen wollen uns glauben machen, dass die Arbeiter:innenklasse in Frankreich die gleichen Ziele und Interessen hätte wie die französischen Kapitalist:innen in Afrika. Doch das Gegenteil ist der Fall. Je mehr es dem französischen Imperialismus gelingt, die afrikanischen Bevölkerungen auszubeuten, umso stärker ist er in der Lage, die Arbeiter:innenklasse in Frankreich auszubeuten. Umgekehrt stärkt jeder Rückschlag des französischen Imperialismus in Afrika und anderswo die relative Position der Arbeiter:innen in ihrem Kampf gegen die Bourgeoisie, aber auch deren Aggressivität auf heimischem Boden.

Dieser Artikel erschien zuerst am 29. Juli auf Französisch auf Révolution Permanente. Wir haben ihn ergänzt durch den jüngsten Beschluss der ECOWAS, der sich militärische Schritte gegen Niger vorbehält.

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