SPD und Grüne sprechen bei Kundgebung für Erhalt des Kreißsaals – jetzt müssen sie die Schließung im Stadtrat ablehnen!

21.12.2022, Lesezeit 7 Min.
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Quelle: eigenes Bild

"Der Kreißsaal bleibt" war am Montag beim Einkaufszentrum in Neuperlach zu hören. Dort versammelten sich die Hebammen der Geburtshilfe aus dem örtlichen Krankenhaus für den Erhalt ihrer Station. Mit Unterstützer:innen fand so die erste öffentliche Mobilisierung statt.

Die Hebammen und Kinderkrankenpflegerinnen des Kreißsaals und der Wochenbettstation Neuperlach, die aufgrund von Wirtschaftlichkeit von Schließung durch eine Zusammenlegung mit dem Klinikum Harlaching gefährdet sind, veranstalteten am Montag den 19. Dezember eine Kundgebung am Einkaufszentrum PEP in Neuperlach. Nach der Veröffentlichung ihrer Petition – die bereits über 20.000 Unterschriften trägt –  und zahlreichen Nachrichtenartikeln fand somit die erste Versammlung für den Erhalt des Kreißsaales statt. Sie soll weiter Druck auf den Stadtrat ausüben, der derzeit eine Bedarfsprüfung im März 2023 abwarten will.

In der Eröffnungsrede betonten Sisko, Charlotte und Leonie, alle drei Hebammen in Neuperlach, die Bedeutung ihrer Arbeit. In Neuperlach sind sie fest angestellt und können angesichts guter Personalbesetzung eine bedarfsorientierte Begleitung gebärfähiger Menschen leisten, eine Ausnahme im Verhältnis zum Bundesdurchschnitt. Dabei verwiesen sie darauf, dass diese Art von Gesundheitsversorgung nicht nur akut in Neuperlach bedroht ist, sondern als Folge des fortbestehenden Fallpauschalensystems immer weiter verunmöglicht wird.

Von den Versammelten kam ein Großteil vom Solidaritätskomitee „Kreißsaal bleibt“, an dem wir als Mitglieder von RIO, Brot und Rosen, sowie Redakteur:innen von Klasse gegen Klasse gemeinsam mit dem offenen Frauentreffen, der kritischen Mediziner:innen, ver.di-Senior:innen und Mitgliedern der GEW, wie Vertreter:innen der LINKEN, mitwirken. Dabei waren auch Teile des Aktionsbündnisses 8. März, eine Vertreter:in vom Frauenverband Courage, Mitglieder der SPD und Jusos, der Grünen, der Linkspartei und einzelne Aktivist:innen. Auch Familienmitglieder der Arbeiter:innen waren da, um sie in ihrem Kampf zu unterstützen.

Gemeinsame Unterstützung, unterschiedliche Konsequenzen

Hinter den Hebammen und Kinderkrankenpflegerinnen stehen alle auf der Kundgebung. Alle sind sich einig, dass der Kreißsaal in Neuperlach auf keinen Fall geschlossen werden darf, auch wenn nicht alle einig sind, welche politischen Konsequenzen man aus der Situation ziehen sollte.

Helena Schwinghammer, Vorsitzende der SPD im Münchner Südosten, betonte sehr stark, wie unnachvollziehbar diese Entscheidung des Stadtrates sei. Ihr SPD-Genosse Markus Rinderspacher, Vizepräsident des bayerischen Landtags mit Stimmkreis in München-Ramersdorf, sah es differenzierter und meinte die Sachlage habe sich geändert, man hätte für eine stark wachsende Stadt wie München in der Vergangenheit zu klein geplant. Der Kampf der Hebammen und Kinderkrankenpflegerinnen, den er zu Beginn seiner Rede stark begrüßte, scheint für ihn nichts damit zu tun zu haben, dass Teile seiner Partei nun umschwenken. Ein Aspekt, den er und Helena Schwinghammer gemeinsam im Einklang mit dem Hebammen stark machten, das Recht einer gebärenden Person sich auszusuchen, wo sie gebären möchte, war zentral bei seinem Lob für die gute Arbeit, die im Kreißsaal Neuperlach gemacht werde. Er sprach von einer „Wahl mit den Füßen“, weil so viele Frauen sich dazu entscheiden, dort zu gebären.

Die Arbeit im Kreißsaal Neuperlach ist ausgezeichnet. Das zeigt sich an verschiedenen Punkten, wie der Kaiserschnittrate und den zahlreichen positiven Erfahrungen, die Gebärende dort gemacht haben. Doch ist es leider keine freie Wahl, in Neuperlach zu gebären. Otto Bußjäger, stellvertretender Landrat von den freien Wählern, berichtete von der Realität im Münchener Umland:

Von Aschheim bis Unterhaching ist das Neuperlacher Krankenhaus und der Kreißsaal lebensnotwendig für einen kurzen Weg. (…) Im Landkreis München haben wir keine Klinik mehr. Und warum haben wir keine Klinik mehr: Weil unsere Kliniken im Stadtbereich von München sind (…) und sie (die Kliniken im Münchner Umland) sich vor 20 Jahren nicht mehr am Markt behaupten konnten.

Die Reden von Liam von RIO und Klasse gegen Klasse und Sebi von der kritischen Medizin München setzten dieses Problem in einen größeren politischen Kontext. Die von Profitinteressen getriebene Zentralisierungspolitik hat den Gesundheitssektor kaputt gemacht. Die SPD ist seit 1998 an der Bundesregierung beteiligt und hat viele von diesen Angriffen auf unsere Gesundheit mitgetragen. Über 40 Prozent der Kreißsäle in Deutschland wurden in den letzten 15 Jahren geschlossen. Seija Knorr-Köning Stellvertretende Leitung der Münchner Jungsozialisten – selber Mutter und Krankenpflegerin – fand deutliche Worte, die sich letztlich gegen die Politik ihrer Mutterpartei auf Bundes- wie auch Stadtebene richten:

Und es ist eine Frechheit und es ist ein nicht-hinnehmbares gesellschaftliches Problem, dass der ökonomische Druck durch die Fallpauschalen so groß ist und das am Ende Unternehmensberaterinnen und Unternehmensberater darüber entscheiden, welche Infrastruktur erhalten bleibt und in welcher Weise.

Resi vom Offenen Frauentreffen und Nia von Brot und Rosen betonen die Verbindung zum feministischen Kampf für legale, sichere und kostenfreie Abtreibung. Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen sei nicht nur relevant, wenn sie keine Kinder haben wollen, sondern auch wenn sie es wollen, deswegen sind diese feministischen Gruppen anwesend und unterstützen den Kampf der Hebammen und Kinderkrankenpflegerinnen.

Rojhat Altuntaş, Azubi als Erzieher und GEW Mitglied, betonte den Zusammenhang zwischen dem Kreißsaal, dem Gesundheitswesen und der Erziehung, wo seit Jahren gespart wird. Seine Unterstützung stellte er zusätzlich in der Perspektive des gemeinsamen Kampfes im kommenden Jahr um den Tarifvertrag im Öffentlichen Dienst, wo beide Sektoren mit Millionen von Kolleg:innen aus anderen Bereichen gemeinsam um höhere Löhne kämpfen werden.

Der Kampf geht weiter 

Die Kundgebung hat gezeigt, dass der Kampf der Hebammen im Kreißsaal Neuperlach viele Menschen anzieht und viele bereit sind, ihn gemeinsam mit den Kolleg:innen zu führen. Letztlich liegt diese Entscheidung beim Stadtrat, der von SPD und Grünen regiert wird. Es kamen viele gute Worte von SPD und Grünen. Doch werden auf diese Worte Taten folgen?

Bislang haben die Grüne als selbsternannte feministische Partei, abgesehen von den Worten ihrer anwesenden Vertreter:innen, geschwiegen, obwohl sie die Mehrheit der Sitze im Stadtrat besitzt. Von den anderen Parteien wurden mehrere Anträge gestellt, vom gesamten Bezirksausschuss 16 Rammersdorf-Perlach (bis auf AfD) für den Erhalt, wie auch der Partei die LINKEN im Stadtrat. Die SPD hat sogar auf ihrem Münchener Parteitag den Erhalt des Kreißsaals als Beschluss gefasst, was Rinderspacher in seiner Rede als bindend betonte. Dass die Stadtregierung  weiterhin auf die Bedarfsprüfung besteht, zeigt allerdings, dass Papier geduldig ist. Eine wahrhafte Unterstützung wäre tatsächlich alles in eigener Macht zu tun und unabhängig dieser Prüfung, in aller Öffentlichkeit den Erhalt des Kreißsaals zu versichern.

Wir sind hier, um die Poliker:innen aller Parteien daran zu erinnern, was sie versprochen haben. Solange mit den Arbeitsplätzen der Kolleg:innen und den Geburten der Menschen in Neuperlach jongliert wird, werden wir nicht locker lassen, vor allem angesichts des bundesweiten Trends, der diesen Beruf existenziell gefährdet. Dafür organisieren wir uns im Solidaritätskomitee selbst, um ohne blindes Vertrauen auf unsere eigene Kraft als Arbeiter:innen, Azubis, Studierende und Bewohner:innen dieser Stadt zu setzen.

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