Urban Gardening: Sinn in der Stadt

11.11.2016, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

Wie Gemeinschaftsgärten das urbane Leben bereichern. Ein Gastbeitrag von Felix Lepinski, Literatur und Philosophie, FU Berlin.

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Rosa-Rose-Umzug

Gartenarbeit ist eine der sinnvollsten Beschäftigungen des Menschen. Geruch, Töne, Form- und Farbenvielfalt bilden einen unendlichen, natürlichen Lebensraum, der stärkend und ausgleichend wirken kann. Im Garten gibt es immer etwas zu entdecken. Die Stoffe des Gartens lassen sich erfühlen und begreifen. Je nachdem wie viel Zeit und Mühe investiert wurde, desto vielfältiger, reicher und schöner zeigen sich Pflanzen, ihre Symbiosen und Synergien. Der gestalterische Prozess des Gärtnerns steckt voller Überraschungen.

Etwas Erde

Bei diesen grundsätzlichen Vorzügen: Warum sind Gärten in Berlin der wohlhabenden Oberschicht vorbehalten? Ist der Kontakt zu Sinndimensionen und Prozessen der Natur nicht eine Grundbedingung erfüllten Lebens? Und ist es nicht selbstverständlich, die Möglichkeit zu haben, eigene Erntepflanzen zu kultivieren?

Vor dem Hintergrund solcher Fragen hat sich eine politische Bewegung der Stadtgärtner*innen formiert, die offensiv brachliegende Grundstücke der Stadt in selbstverwaltete Gartenanlagen transformiert. Wie viel politischen Kampf diese Projekte voraussetzen, zeigt sich an Konfrontationen mit Grundbesitzer*innen und der Polizei. Der Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg ist Beispiel für ein gelungenes Projekt, das die Stadt langfristig um eine wertvolle Oase bereichert. Mittlerweile sind Politiker*innen auf Regionalebene oftmals aufgeschlossen gegenüber Stadtgartenprojekten.

Freies, soziales Laboratorium

Herausforderungen in der Gartenarbeit werden spielend überwunden, indem sich die Gemeinschaft gegenseitig weiterhilft. Hilfst du mir, helfe ich dir und gemeinsam schaffen wir einen Bereich, der sich den herrschenden Verhältnissen von Besitz, Macht und Konkurrenz widersetzt. Darin liegt die politische Dimension der Stadtgärten. Vielerorts wird die Stadt von Privat- und/oder Regierungsinteressen gestaltet und verwaltet. In Stadtgärten hingegen zählen Ideen, direktes Engagement und die Fähigkeit, sich mit der Gemeinschaft vor Ort zu einigen, mehr als ein dicker Geldbeutel.

Das kreative und politische Potential der Stadtgartenbewegung ist immens. Stadtgärten sind ein internationales Phänomen. Das Prinzip der Allmende, also der selbstorganisierten Verwaltung des Gemeinguts, hat längst zu Anerkennung im wissenschaftlichen Diskurs gefunden. Der Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom wurde 2009 der Wirtschaftsnobelpreis für Forschungsarbeiten zur Allmende verliehen. Ostroms These: Kooperationen können Gemeingüter vieler Orts besser verwalten als Privatisierungen oder staatliche Kontrolle.

Engagement für Gerechtigkeit

Vielen sozialen Bewegungen ergeht es ähnlich: die Stadt, privates Kapital oder andere herrschende Institutionen vereinnahmen Ideenreichtum und nehmen der Bewegung das Potential des Widerstands. Die Stadtgartenbewegung sollte politische Fragen bedenken, um nicht zu einer*m Dienstleister*in einer privilegierten Klasse zu werden: wer hat die Zeit, um am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzuhaben, wenn Arbeiter*innen oft 40, 50 oder gar 60 Stunden die Woche schuften müssen? Ist es bei der Produktivität der Wirtschaft und der Überproduktion materieller Güter nicht längst überfällig, diese Arbeitszeit radikal zu verringern, um Kreativität und politischem Engagement mehr Zeit einzuräumen? Was machen wir mit den Freiflächen unserer Stadt?

Arbeitszeitverkürzungen sind längst überfällig. Und anstatt zu privatisieren oder langweilige Parks mit formgleichen Sitzbänken und Spielplätzen aus Steuergeldern zu errichten, sollte die Bezirksverwaltungen selbstorganisierten Initiativen Raum geben. Stadtbewohner*innen finden in den Gartenprojekten, was in persönlicher und sozialer Hinsicht dringend benötigt wird: einen Ort um Mechanismen der Natur und Funktionsweisen demokratischer Teilhabe spielerisch zu erleben. Nichts ist sinnvoller als diese beiden Dinge.

Links
* Urban Gardening Manifest
* Urbane Landwirtschaft
* Gemeinschaftsgarten der FU
* Projektwerkstatt der TU im WS16/17
* Ostrom, Elinor: Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter (PDF; 387 kB). Silke Helfrich (Hrsg.), Oekom Verlag, München 2011.

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