Sind Heteros bessere Eltern? Ein Evolutionsbiologe auf Darwins Abwegen

29.07.2017, Lesezeit 4 Min.
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Ulrich Kutschera ist Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Kassel, der nur Heterosexualität für natürlich hält. Was haben seine Aussagen über Frauen und LGBTI* mit Wissenschaft zu tun?

Bild: „Queere Tiere“ (Sookee 2017)

Pflanzenbiologe Ulrich Kutschera ist einer derjenigen, die ihren akademischen Titel einsetzen, um die exklusive Natürlichkeit von Heterosexualität zu propagieren. Er vergleicht Genderforschung mit einem Krebsgeschwür und ist sich sicher, dass Männer eine Frau wollen, die gut kochen kann, attraktiv ist und mit der man nicht viel diskutieren muss. Zuletzt warnte er vor der gleichgeschlechtlichen Ehe, die nun auch in Deutschland möglich ist, da sie zur Zunahme von schwersten Kindesmissbrauch führen würde.

Studien beweisen: Den Kindern geht’s gut

In einem Interview mit dem erzkonservativen Onlineportal kath.net erklärt Kutschera dass durch die so genannte Ehe für alle „staatlich geförderte Pädophilie (mit) schwersten Kindesmissbrauch auf uns zukommen“ würden.

Eine repräsentative Studie unter Leitung des bayerischen Staatsinstituts für Familienforschung an der Universität Bamberg sowie viele weitere Studien aus den USA beweisen das Gegenteil: Gleichgeschlechtlichen Paaren wurde eine adäquate Erziehungsfähigkeit und den Kindern eine erfolgreiche Entwicklung bestätigt. Die Forscher*innen stellten bei den Kindern lesbischer und schwuler Paare ein höheres Selbstwertgefühl fest als bei Kindern, die in anderen Familienformen aufwachsen. Dies würde aufgrund der besonderen Familiensituation am bewussteren Umgang in der Erziehung zwischen Eltern und Kindern liegen.

Woher kommt also die Annahme Kutscheras? Er bezieht sich auf die gleiche Studie der Universität Bamberg, die im Jahr 2009 im Deutschen Ärzteblatt erschienen ist. Jedoch nicht auf die Studie selbst, sondern auf einen Leserbrief dazu. Darin wird das vermeintliche Ausmaß homosexueller Pädophilie behauptet – in Einklang mit Kutscheras Programmatik. Auch er attestierte homosexuellen Frauen und Männern eine verstärkte Neigung zur Pädophilie.

Wie rechtfertigt man sowas?

Kutschera versucht seine Ideologie als Naturwissenschaftler zu rechtfertigen: die Biologie als Ultima Ratio im Interessenskonflikt zwischen Genderforschung und Naturalismus. Das gelingt ihm aber nur schlecht. Argumentiert wird mittels biologischem Reduktionismus, bei dem naturwissenschaftliche Befunde, empirisch belegt oder nicht, dazu verwendet werden die eigene Ideologie zu verteidigen. Besonders die Evolutionstheorie wird hierbei moralisch aufgeladen, was nicht wissenschaftlich ist – sie ist ein Naturgesetz und folgt nicht den politischen Zielen LGBTI*-feindlicher Populist*innen.

Zurück zu Kutscheras Aussage, dass durch die Ehe für alle Kindesmissbrauch gefördert würde. Wieder muss die Evolutionsbiologie dafür geradestehen: Durch die Vererbung des Erbguts an die Nachkommen, 50 Prozent von jedem Elternteil, würde eine Inzucht-Hemmung die Eltern daran hindern sich an den Kindern zu vergehen. Diese Hemmung entfiele bei Adoption und Stiefkindern, da sie nicht das Erbgut der Adoptiv- und Stiefeltern teilen.

Diese Relativierung ist ein Schlag in das Gesicht etlicher Kinder, die Opfer von sexualisierter Gewalt durch biologisch verwandte Familienmitglieder wurden. Kindesmissbrauch, inzestuös oder nicht, darf nicht als Argumentationsstütze gegen gleichgeschlechtliche Paare genutzt werden, sondern muss als das betrachtet werden, was es ist: Sexualisierte, meist häusliche Gewalt, die gesellschaftlich bekämpft werden muss. Gerade in katholischen Einrichtungen, wo eine besonders reaktionäre Sexualmoral herrscht, ist sexualisierte Gewalt extrem verbreitet, wie letztens erst der Abschlussbericht über Missbrauch bei den Regensburger Domspatzen zeigte.

Der richtige Umgang mit Leuten wie Kutschera

Wie soll man mit solchen Aussagen umgehen? Kutscheras Texte sind geprägt von Wiederholungen und dem ausgedehnten Gebrauch von Adjektiven, um seine Standpunkte zu unterstreichen. Dabei bestätigt er lediglich Vorurteile, ohne seine Ansichten wissenschaftlich zu belegen, wie man es von einem Wissenschaftler erwarten würde. Die Tatsache, dass er Professor der Biologie ist, reicht vielen Menschen, um seine Ideologie zu akzeptieren.

Kutscheras Äußerungen unter dem Deckmantel der Biologie als harter, rationaler Wissenschaft müssen politisch und wissenschaftlich enttarnt werden. Seine Reputation alleine befähigt ihn nämlich noch längst nicht, gesellschaftliche Phänomene mit der nötigen Abstraktionsfähigkeit zu betrachten und zu verstehen. Sexualität gehorcht keiner allgemeinen Idee und wird sich auch durch keinen biologischen Reduktionismus spezifizieren lassen, da es in der Realität sehr viele Ausprägungen gibt.

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