Selbstbestimmungs­gesetz soll hoffentlich das menschen­verachtende sog. Transsexuellen­gesetz von 1981 ersetzen – endlich

19.06.2020, Lesezeit 7 Min.
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Heute, am Freitag den 19.06., berät der Bundestag in einer ersten Lesung über die Einführung des Selbstbestimmungsgesetzes, welches das extrem veraltete sogenannte Transsexuellengesetz ersetzen soll – es ist seit 1981 in Kraft, und wurde seitdem zwar reformiert, ist aber de facto immer noch extrem pathologisierend, fremdbestimmend und diskriminierend gegenüber trans*, inter* und nicht-binären Menschen.

Bild: Aktion Standesamt 2018 / Twitter

Trans*-, Inter* und Nicht-binäre-Organisationen kämpfen schon lange für die Abschaffung des sog. Transsexuellengesetzes, und für die Ersetzung durch ein Selbstbestimmungsgesetz, das nun gemeinsam von Trans*- und Inter*-Organisationen und von der Partei Bündnis 90/ die Grünen entworfen wurde und am heutigen Freitag im Bundestag vorgelegt wird.

(Die Begriffe trans*, inter*, nicht-binär und cis sind am Ende des Artikels erklärt.)

Heute während der Lesung im Bundestag wird eine Demonstration auf dem Platz der Republik stattfinden, von 13.30 Uhr – 15.30 Uhr. Kommt vorbei, wenn ihr könnt, und unterstützt gemeinsam mit allen, die schon so lange dafür kämpfen und unter dem sog. Transsexuellengesetz leiden, die Abschaffung dieses extrem menschenverachtenden Gesetzes!

Das sog. Transsexuellengesetz, das seit 1981 bis heute in Kraft ist, ist für die Änderung von Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit zuständig. 1981 waren noch Vorschriften in dem Gesetz, wie z.B. dass „der Vorname und der Personenstand [= Geschlechtseintrag] zum Beispiel erst nach operativen Eingriffen geändert werden [konnte]. Damals gab es auch eine Altersgrenze: trans Menschen mussten 25 Jahre alt sein, um einen Antrag stellen zu dürfen. Lange Zeit galt außerdem, dass die Vornamensänderung unwirksam wird, sobald es zu einer Hochzeit kommt – und dass sich verheiratete trans Menschen vor der Änderung scheiden lassen müssen.“ U.a. diese Teile des Gesetzes wurden teils als verfassungswidrig beurteilt, und über die Jahre gelockert oder abgeschafft.

Seit Dezember 2018 gibt es die sog. „dritte Option“ als offizielle Geschlechtseintrags-Möglichkeit mit der Angabe „divers“, die neben der quasi 4. Option, der Streichung des Geschlechtseintrages, eingeführt wurde. Jedoch benötigen hierfür Menschen ein ärztliches Attest, das beweist, dass sie inter* sind – sich ärztlichen Untersuchungen zu unterziehen, ist eine erneute Pathologisierung und für einige inter* Menschen auch mit einer Retraumatisierung verbunden, da an ihnen häufig als Kleinkinder und dann teilweise auch später Folge-Operationen durchgeführt werden, um sie der binären, also zweigeschlechtlichen Norm anzupassen. In den allermeisten Fällen ist das medizinisch komplett unnötig, teilweise sogar gefährlich, und die Kinder sind so klein, dass sie nicht einwilligen können. Dies tun ihre Eltern bis jetzt für sie – diese werden jedoch von den Mediziner*innen häufig unter Druck gesetzt, um einzuwilligen: Sie sagen den Eltern, dass das Kind sonst später leiden wird – häufig ist es andersherum, dass inter* Personen unter den unfreiwilligen Angleichungs-OPs an ein von ihnen nicht selbstgewähltes, binäres Geschlecht leiden. Dass viele Ärzt*innen das sagen, und dass Eltern da zustimmen, liegt an dem enormen gesellschaftlichen und politischen Druck der Heteronormativität, also der Annahme, dass alle Menschen cis, hetero und männlich oder weiblich sind und sein müssen.

„Für nicht-binäre Personen, die keine inter*-Diagnose haben, gibt es überhaupt keine gesetzliche Möglichkeit für einen zutreffenden Geschlechtseintrag.“

2019 wurde ein Reform-Gesetzentwurf vorgelegt, der Trans*, Inter* und nicht-binären-Fachverbänden und Organisationen nur 48 Stunden Zeit ließ, darauf zu reagieren. Diese Verbände haben damals extreme Arbeit geleistet, und es wurden innerhalb dieser 2 Tage über 30 Stellungnahmen eingereicht, die die Reform ablehnten. Sie legten die Ungleichbehandlung zwischen inter*- und trans* Menschen sowie die weitere Fremdbestimmung und Pathologisierung dar, die auch nach der Reform noch gelten würde, und sich teilweise sogar verschlimmern würde. Z.B. sollte nun für trans* Menschen statt zwei Gutachten und einem Gerichtsverfahren „nur“ noch eine Beratung und ein Gerichtverfahren zur Änderung von Vornamen und Personenstand nötig sein. Jedoch bleibt der Inhalt dieser Prozedur gleich: Ärzt*innen und Psycholog*innen begutachten und entscheiden, ob trans* Menschen „trans* genug“ sind. Sie entscheiden über ihre Körper, ihre Identität, ihr Leben – Menschen wird abgesprochen, selbst zu definieren, wer sie sind, welchen Namen sie tragen wollen, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen. Laut dem Reform-Entwurf müssen sie sich weiter vor Gericht rechtfertigen, wo darüber diskutiert wird, ob ihre Identität auch glaubwürdig ist – ein sehr teures, demütigendes und langes Gerichtsverfahren. Bei cis-Personen ein unvorstellbares Szenario. Außerdem sollen die Ehepartner*innen der trans* Menschen zu deren Geschlecht befragt werden, um deren Entscheidung und Identität zu verifizieren. Und wenn der Antrag abgelehnt wird, müssen trans* Menschen drei Jahre warten, bis sie einen neuen stellen dürfen – drei Jahre mit falschen Papieren, falscher Anrede, extremer Diskriminierung. Es gab massive Proteste, Petitionen, Stellungnahmen gegen diesen Reformvorschlag, woraufhin die Bundesregierung ihn zurückgezogen hat – jetzt haben sie über ein Jahr gebraucht, um den Vorschlag des Selbstbestimmungsgesetzes vorzulegen, an dem schon seit Mai 2017 gearbeitet wird. Doch der wäre jetzt tatsächlich eine extrem gute Änderung, die schon lange notwendig ist.

Das Selbstbestimmungsgesetz soll ein Selbstbestimmungsrecht für Namen und Personenstands-Änderung beinhalten. Mit dem neuen Gesetz würde für die Namen und Personenstands-Änderungen Folgendes gelten: Es soll die Attestpflicht für inter* Menschen und den Ausschluss von nicht-binären Menschen aufheben (die Attestpflicht ist festgelegt im §45b PStG. Mit dem § 45b PStG dürfen nur inter* Menschen die Änderung beantragen, nicht-binäre Menschen dürfen aus vergangenen Gerichtsurteilen weder dieses Gesetz noch das TSG (Transsexuellengesetz) nutzen, um eine Änderung zu beantragen). Es verlangt nur eine Erklärung im Standesamt und kein Gerichtsverfahren mehr. Die Änderung ist verbindlich für alle offiziellen Angelegenheiten und kann nach einem Jahr wieder geändert werden.

Außerdem verbietet es medizinisch unnötige, teils gefährliche Operationen an inter* Kindern, die bis jetzt erlaubt sind und durchgeführt werden. Auch stellt es Personen „aufgrund ihrer eigenen Entscheidungen Beratung, Hormontherapie und geschlechtsbejahende/geschlechtsangleichende Operationen zur Verfügung und verpflichtet Institutionen und Organisationen zur Einhaltung und Umsetzung dieser Rechte.“

Dieses Gesetz einzuführen, ist schon so lange überfällig. In anderen europäischen Ländern wie Belgien, Island, Norwegen, Malta, Irland, Schweden und Dänemark gelten bereits ähnliche Regelungen. Diskutiert mit euren Freund*innen, Familien etc. über diese krassen Auswirkungen von Heteronormativität, über Diskriminierungen und Unterdrückungen von queeren Menschen – das darf nicht länger ein unbekanntes, kleines Thema bleiben! Kommt heute auf die Demo und macht gemeinsam klar, dass wir es keinen Tag länger akzeptieren, dass von der Gesellschaft und vom Staat trans*, inter* und nicht-binäre Personen pathologisiert, diskriminiert und ausgegrenzt werden. Gerichtskosten und teilweise Operationen und Hormontherapie selbst bezahlt werden müssen, ihre Selbstbestimmung über Namen, Personenstand, und Körper aberkannt wird und so vieles mehr. My body, my gender identity, my sexuality, my name – my choice!

Begriffs-Erklärung:

trans*: (lateinisch: jenseits) bezeichnet, dass eine Person jenseits des Geschlechts lebt, das ihr bei der Geburt zugewiesen wurde, also nicht oder nicht nur in ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht. Das * soll alle Selbstbezeichnungen von trans* Menschen miteinbeziehen, wie transident, transgeschlechtlich, transgender, transsexuell etc. (transsexuell ist nur als Selbstbezeichnung in Ordnung! Da es aus medizinischem Kontext stammt, kann es sehr pathologisierend sein. Auch hat geschlechtliche Identität nichts mit sexueller Identität zu tun)

inter*: bezeichnet Personen, die mit körperlichen Merkmalen geboren werden, die medizinisch als „geschlechtlich uneindeutig“ gelten, also medizinisch außerhalb der binären, zweigeschlechtlichen Norm (= „es gibt nur männlich und weiblich“). Das * soll alle Selbstbezeichnungen von inter* Menschen miteinbeziehen, wie intergeschlechtlich, intersexuell, inter etc.

nicht-binär: Selbstbezeichnung für Menschen, die sich außerhalb der Einteilung in zwei Geschlechter verorten. Das kann bedeuten, dass sich ein Mensch weder weiblich noch männlich versteht oder nicht ausschließlich.

cis: (cis, lateinisch: diesseits) bezeichnet, dass eine Person in Übereinstimmung mit ihrem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht lebt.

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