Schützt unsere Kinder – vor queerfeindlicher Gewalt!

11.05.2023, Lesezeit 6 Min.
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Cristi Croitoru/Shutterstock.com

Zwei Drag-Künstler:innen und eine 13-jährige trans Autorin sollen in einer Münchner Bibliothek vor Kindern lesen. Die CSU möchte es verbieten, doch vor wem wollen sie unsere Kinder eigentlich schützen?

Die konservative Rechte Münchens ist im Aufruhr – Schützt unsere Kinder! Wovor? Vor trans Kids und Drag-Performer:innen. Wie schon letztes Jahr findet eine Drag-Lesung für Kinder in der Stadtbibliothek Bogenhausen unter dem Titel „Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt“ statt.

Die Lesung wird von der Dragqueen Vicky Voyage organisiert. Unterstützt wird sie von Dragking Eric BigClit und Julana Gleisenberg. Die 13-jährige Autorin ist trans, outete sich im Alter von 9 Jahren und veröffentlichte unter dem Titel “JULANA – ENDLICH ICH!: Mein Weg vom Jungen zum Mädchen“ bereits mit 11 Jahren ein Kinderbuch. In einem Interview mit der Abendzeitung (AZ) hebt sie hervor, wie wichtig es für sie war, dass ihr Vater sich mit trans Themen beschäftigt hatte – erst dann traute sie sich, sich bei ihm zu outen. Auch deswegen schrieb sie ihr Buch. In der AZ sagt sie: “Ich will anderen damit helfen, dass sie es leichter haben. Das sehe ich als meine Pflicht.”

Was letztes Jahr anscheinend an CSU, AfD, diversen Wald-und-Wiesen-Rechten und rechten NGOs vorbei ging, wird dieses Jahr unsere Kinder frühsexualisieren und verwirren.

Und so wollte die CSU laut der BILD vom 5. Mai einen Dringlichkeitsantrag stellen, damit die Lesung untersagt wird. Die Sitzung, auf der ein solcher Antrag behandelt werden würde, wird am 16. Mai stattfinden.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), der sich erst auf die Seite der Queerfeinde stellte, ruderte inzwischen zurück – es habe sich nur um ein Missverständnis gehandelt, und er sei selbstverständlich auf der Seite queerer Menschen. Bei ursprünglichen Aussagen gegenüber der BILD wie „Ich habe für diese Art Programm kein Verständnis und glaube nicht, dass das für 4-Jährige geeignet ist“ sei ein Schelm, wer unterstellt, dass dieser Richtungswechsel wohl eher aus Reiters PR-Team kommt als von seiner Überzeugung.

Über diese “Cancel Culture à la Bavaria” wurde am 5. Mai auf queer.de berichtet und damit breiter in der deutschsprachigen queeren Community diskutiert.

Doch auch die Rechten legen nach. Neben Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, der von “einem Fall für das Jugendamt” spricht, brodelt es in den entsprechenden Ecken auf Twitter, Reddit und den einschlägig bekannten Imageboards über vor Hass.

Rechte Militanz gegen queeres Leben

Im Licht vergangener Ereignisse macht solche Hetze nicht gerade Mut. Vor knapp einem Monat mobilisierten Rechte gegen eine Drag-Lesung in der Türkis-Rosa-Lila-Villa in Wien – etwa hundert Personen folgten dem Aufruf. Neben der FPÖ und christlichen Fundamentalist:innen ließen sich auch Vertreter:innen von der Identitären Bewegung und diverse Hooligans blicken. Bereits im März war die Villa Ziel queerfeindlicher Angriffe aus dem rechten Umfeld geworden.

Auch Abtreibungskliniken und Beratungsstellen für Schwangere werden immer öfter Ziel von Angriffen. Wie bereits letztes Jahr hielten “Lebensschützer” während der Zeit vor Ostern, die für viele Christ:innen eine Zeit des Fastens und der Buße ist, sogenannte “Mahnwachen” vor Abtreibungskliniken und Beratungsstellen ab.

Die Form der Mobilisierungen orientiert sich an US-amerikanischen Vorbildern. Hier blockieren bereits seit Ende der 1990er Rechte – allen voran christliche Fundamentalist:innen – und sogenannte “alt-right” – neue Rechte – Abtreibungskliniken, queere Veranstaltungen oder sogar Beerdigungen queerer oder anderweitig “abweichender” Personen.

Ähnliche Aktionen könnten auch für die Lesung anstehen. Vor der Bibliothek wurde für den Zeitpunkt der Drag-Lesung, so bestätigte das Kreisverwaltungsreferat, durch die AfD eine Demonstration angemeldet. Auch aus dem Querdenker-Umfeld wird mobilisiert.

Für eine freie und vielfältige Bildung!

Ja, im Kapitalismus ist eine queere Befreiung nicht möglich. Was aber sehr wohl möglich ist, ist Kindern und Jugendlichen das Leben nicht noch extra schwer zu machen, indem man versucht, sie von Themen fernzuhalten, die mutmaßlich nicht altersgerecht sind.

Vielleicht auch als Folge dieser Berührungsängste lässt der Aufklärungsunterricht an Schulen nach wie vor zu wünschen übrig. Deswegen wissen Kinder und Jugendliche weniger, was es mit ihren Körpern und den Körpern anderer auf sich hat. Sie lernen so auch schamvollen Umgang mit Sex und Sexualität und orientieren sich an Rollenbildern, die es akzeptabel machen, Sex zu “ertragen”, auch unter Schmerzen. Stattdessen sollten sie Sex und Sexualität als etwas Natürliches und Schönes kennenlernen, über das sie Kontrolle einfordern dürfen. Die fehlende Aufklärung macht nicht nur tendenziell unglücklich, sondern erhöht auch die Gefahr für sexualisierte Gewalt.

Und auch für queere Kinder und Jugendliche, die öfter Opfer von Mobbing und Gewalt werden als ihre Mitschüler:innen und auch ein erhöhtes Suizidrisiko haben, hilft es sicher nicht, queere Themen als schädlich für Kinder zu proklamieren und verbieten.

Kinder, unsere und auch alle anderen, müssen freien Zugang zu Bildung haben, auch über Sexualität, sexuelle und geschlechtliche Identitäten und Kunst – denn nichts anderes ist Drag. So geben wir ihnen das Werkzeug, um zu selbstbewussten Jugendlichen und Erwachsenen werden zu können. Jugendliche und Erwachsene, die selbstbestimmt Intimität und Sexualität ausleben und Grenzen ziehen können – zumindest soweit das im Kapitalismus möglich ist. Und das ist so viel wichtiger als die Überforderung mancher Erwachsener, wenn es darum geht, den Kindern zu erklären, warum “der Mann Frauenkleider anhat”.

In der geplanten Lesung von Vicky Voyage wird es übrigens nicht um Sexualität gehen.

“Wir möchten die Kinder in ihren Träumen bestärken. Ich habe im Kindergarten und in der Schule immer gedacht, ich muss mich anpassen, muss mich in Schubladen pressen, in die ich nicht reingehöre.” erklärt Vicky Voyage.

Wann und wo?

Die Lesung wird am 13. Juni, 16 Uhr, in der Stadtbibliothek Bogenhausen stattfinden.

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