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„Sanders kann man unmöglich unterstützen“

05.03.2016, Lesezeit 4 Min.
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Der "Demokratische Sozialist" Bernie Sanders begeistert Millionen in den USA. Doch die US-Linke bleibt kritisch. Ein Interview mit Elizabeth Schulte, stellvertretende Chefredakteurin der linken Nachrichtenseite Socialistworker.org und Mitglied der International Socialist Organization.

Bernard Sanders, ein 74jähriger „demokratischer Sozialist“, begeistert Millionen junge Menschen in den USA. Was bedeutet das für dich als langjährige sozialistische Aktivistin?

Plötzlich ist das Wort „Sozialismus“ Teil der Diskussion – eine willkommene Veränderung im Vergleich zu anderen Wahljahren! Sanders spricht über wirtschaftliche Ungleichheit, die Besteuerung der Reichen sowie über ein kostenloses Studium und eine gratis Gesundheitsversorgung für alle – das sind jetzt wichtige Themen.

Als Sozialist*innen können wir nun vor einem viel breiteren Publikum diskutieren, was Sozialismus überhaupt ist. Doch wir lehnen es ab, Kandidat*innen der Demokratischen Partei zu unterstützen, und deswegen sind wir nicht Teil der Sanders-Kampagne. Es gibt trotzdem viele Möglichkeiten, mit Sanders-Anhänger*innen zu reden, etwa auf Demonstrationen oder bei öffentlichen Debatten.

Viele Sanders-Anhänger*innen stellen sich gegen Polizeigewalt und endlose Kriege. Wie positioniert sich der Kandidat in diesen Fragen?

Zu Beginn seiner Kampagne beschäftigte sich Sanders wenig mit Rassismus und Polizeigewalt. Doch jetzt redet er regelmäßig über Menschen wie Sandra Bland, eine junge schwarze Frau, die im Polizeigewahrsam in Texas verstorben ist. Es ist der „Black Lives Matter“-Bewegung zu verdanken, dass Sanders – genauso wie Clinton übrigens – sich gegen rassistische Polizeigewalt aussprechen muss. Sanders selbst hat 1994 für das Kriminalgesetz von Präsident Bill Clinton gestimmt – dieses führte zu mehr Polizist*inneen auf den Straßen und mehr schwarzen Menschen in den Gefängnissen. Unter dem Druck der Bewegung hat sich Sanders gewandelt.

Doch wer gegen den US-Imperialismus ist, kann Sanders unmöglich unterstützen. Er verteidigt die israelische Regierung bei ihrem anhaltenden Angriff auf die Palästinenser*innen. Er stimmte zwar im Kongress gegen die Invasion Iraks im Jahr 2003, aber er ist kein konsequenter Gegner von US-Kriegen. Er stimmte für den NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien 1999, für die Invasion Afghanistans 2001 und auch für entsprechende Budgets, um die Besetzung des Iraks zu finanzieren. Auch er hat sich dem endlosen „Krieg gegen den Terrorismus“ verpflichtet.

Sanders bewirbt sich bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei. Seit dem Wahlgang am Dienstag scheint seine Niederlage gegen Hillary Clinton sicher. Was werden seine Unterstützer*innen machen, wenn sich Clinton tatsächlich durchsetzt?

In einer Umfrage vor einigen Monaten erklärten rund 80 Prozent der Demokrat*innen, dass sie Clinton unterstützen werden, wenn sie zur Kandidatin gekürt wird. Viele Sanders-Anhänger*innen werden am Ende für sie stimmen, weil die Demokrat*innen immer als „kleineres Übel“ im Vergleich zu den Republikaner*innen gelten.

Aber durch die Sanders-Kampagne werden auch viele Menschen über die engen Grenzen der Demokratischen Partei lernen. Sie werden sich nach unabhängigen Alternativen umschauen – und als Sozialist*innen werden wir für eine Organisation argumentieren, die von den zwei Parteien des US-Kapitalismus unabhängig ist.

Die Frage über das Verhältnis zur Demokratischen Partei beschäftigt die sozialistische Linke in den USA seit fast einem Jahrhundert. Kann diese Partei ein Instrument der Veränderung werden?

Sanders verspricht, die Demokratische Partei zu verändern, und darauf hoffen viele seiner Anhänger*innen. Die Erfahrung zeigt jedoch: Die Demokratische Partei verändert die Aktivist*innen, nicht umgekehrt. Diese Partei bekommt immer die Stimmen der Arbeiter*innen und Unterdrückten, besonders von der Bürgerrechtsbewegung und den Gewerkschaften, aber gibt ihnen sehr wenig zurück. Da sich Sanders dafür entschieden hat, als Demokrat anzutreten, versucht er die Linke unter die Kontrolle dieser Partei zu bringen. Und diese Kontrolle hat die Linke immer geschwächt.

Umfragen zeigen, dass immer mehr US-Amerikaner*innen den „Sozialismus“ befürworten. Aber damit meinen sie bestimmt nicht die proletarische Revolution und die Verstaatlichung der Produktionsmittel.

Das gestiegene Interesse am „Sozialismus“ bringt in erster Linie zum Ausdruck, dass die Leute nach einer Alternative zu einem System suchen, welches für die Mehrheit der Menschen nicht mehr funktioniert. Für viele bedeutet „Sozialismus“ erst mal nur ein staatliches Gesundheitssystem, was immerhin ein riesiger Fortschritt wäre.

Aber wir können auch für einen „Sozialismus von unten“ argumentieren, nämlich für die Idee, dass die Arbeiter*innen selbst die Gesellschaft demokratisch verwalten können. Wir brauchen eine sozialistische Partei in den USA, um eine Gesellschaft zu erkämpfen, in der nicht für Profite, sondern für die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse produziert wird.

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