Repression gegen Journalist*innen in Paris: „Ich bin für vier Wochen krankgeschrieben“

30.06.2016, Lesezeit 6 Min.
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Simon Zamora Martin war als Foto-Journalist am 14. Juni in Paris – beim letzten großen Streiktag. Er wurde von der Polizei angegriffen, ausgerechnet als er Repression filmte – wie viele andere Journalist*innen.

Am 14. Juni fand in Frankreich ein Streiktag mit über einer Millionen Teilnehmer*innen statt. Du hast ihn in Paris als Foto-Journalist begleitet. Was ist passiert?

Von Beginn der Demonstration an probierte die Polizei immer wieder, den Block der Schüler*innen und Studierenden an der Spitze der Demo – in welcher sich auch viele deutsche Autonome mischten – zu spalten. Das ist eine Taktik, die die Pariser Polizei seit Beginn der gemeinsamen Demonstrationen von Jugendlichen und Gewerkschaften anwendet. In der Vergangenheit waren sie erfolgreich: Die Polizei trennte den Block der Jugendlichen von dem der Gewerkschaften. Die Führung der CGT stoppte daraufhin den Bock der streikenden Arbeiter*innen und leitete die Demo teilweise um. Sie begründete die Abspaltung von den Schüler*innen und Studierenden damit, dass diese nur Konfrontation mit der Polizei suchten. Das gab der Polizei die Möglichkeit, die Jugendlichen ordentlich zusammen zu möbeln.

Am 14. Juni war das anders. Vor dem Block der CGT hatte sich ein großer Block von streikenden Arbeiter*innen gebildet. Aus den Betrieben, in denen es selbstorganisierte Streikkomitees gibt, gingen viele in den gemischten Gewerkschaftsblock – anstatt hinter die Fahnen ihrer Gewerkschaftsführung. Rund 500 Meter vor dem Platz der Abschlusskundgebung probierte die Polizei erneut, die Jugendlichen von diesem gemischten Arbeiter*innenblock zu teilen. Sie stürmten fast zehnmal in die Demo – mit massivem Einsatz von Tränengas, Schockgranaten, Schlagstöcken und Wasserwerfern. Doch nach jedem Angriff setzten die Arbeiter*innen von der einen und die Schüler*innen und Studierenden von der anderen Seite zum Gegenangriff an und vereinigten die Demo wieder. Letztlich mit Erfolg.

Bei einem der letzten Polizeiangriffe wurde ein Arbeiter hinter die Reihen der Polizei gezogen. Als er am Boden lag, traten und schlugen zwei Polizist*innen mit ihren Stiefeln und Knüppeln auf den Wehrlosen ein. Als ich das fotografieren wollte, wurde ich von einem anderen Polizisten angegriffen. Er schlug mir mit seinem Tonfa auf die Hand, mit der ich den Auslöser betätigte. Durch die starke Erschütterung sprang die Speicherkarte aus dem Fotoapparat: Das Bild wurde nicht gespeichert. Der Schlag ließ auch meinen Mittelhandknochen brechen. Seitdem bin ich für fast vier Wochen krankgeschrieben.

Wie sieht die Situation der Journalist*innen bei den Protesten aus?

Immer wieder gibt es Übergriffe der Polizei auf Journalist*innen. Das Entziehen der Schutzausrüstung – wie Helme und Gasmasken – ist noch das geringste Problem. Am 14. Juni sah ich einen Kollegen, dessen Platzwunde am Kopf mit 18 Stichen genäht werden musste. Vor zwei Wochen beförderte die Polizei einen anderen Kollegen ins Koma – er bekam eine Schockgranate an den Kopf. Vor allem junge Kolleg*innen, die für nicht-kommerzielle Medien arbeiten, sind immer wieder Opfer von Polizeigewalt.

Im Zweifelsfall hilft dir auch kein internationaler Presseausweis, wie ich am eigenen Körper spüren durfte. Die Polizei versucht systematisch, Bilder von ihren Brutalitäten zu verhindert und Journalist*innen einzuschüchtern. Wir Journalist*innen dürfen uns von der Polizeigewalt nicht einschüchtern lassen, da wir eine Verpflichtung haben: Wir müssen der Welt zeigen, wie die Arbeitsmarktreform in Frankreich im wahrsten Sinne durchgeprügelt wird.

Wieso ist gerade jetzt die Repression gegen die Bewegung auf einem Höhepunkt?

Die Führung der CGT möchte die Streiks beenden. Die CGT hat Verhandlungen mit der Regierung aufgenommen, obwohl sich diese in den Kernfragen keinen Meter auf die Forderungen der Streikenden zubewegt hat. Zum Gesetzeskern gehört, dass künftig Haustarifverträge vereinbart werden können, die weder den Branchen-Tarifverträgen noch dem Arbeitsrecht entsprechen müssen. Also brauchen die Unternehmen in Zukunft nur eine „gelbe“ (unternehmerfreundliche) Gewerkschaft im Betrieb, um das Arbeitsrecht zu umgehen. Das möchte die Regierung auf alle Fälle durchsetzen.

In vielen Sektoren, wie bei der Bahn, wurden die Streiks in Urabstimmungen gegen die Führung der CGT durchgesetzt. Obwohl es starke Sektoren an der Basis der streikenden Arbeiter*innen gibt, die eine Ausweitung der Streiks wollen, will die bürokratische CGT-Führung eine Vernetzung der streikenden Sektoren mit allen Mitteln verhindern. Doch der Druck der Basis ist zu groß, als dass die CGT-Führung die Streiks einfach beenden könnte.

Diese Schwäche der Führung nutzt die Regierung, um den Protest auf der Straße gewaltsam zu brechen. Für Präsident Hollande erinnern die Proteste nicht an Streiks, sondern an „Terrorismus“. Nach der Demo vom 14. Juni kündigte die Regierung an, bis auf weiteres alle Demos in Paris verbieten zu wollen. Hunderten Aktivist*innen wurde bereits zuvor die Teilnahme von der Polizei verboten, tausende werden in Schnellverfahren hinter Schloss und Riegel gebracht. So versucht die bislang unbeliebteste Regierung der „Fünften Republik“, die Reformen des Kapitals durchzusetzen.

Wie kann es mit der Bewegung weitergehen?

Die Demo hat gezeigt, dass die Bewegung bei weiten noch nicht am Ende ist. Und auch, dass die Fußball-EM die Streikbewegung nicht abbrechen kann. Streikende Bahner*innen haben mir gegenüber immer wieder einen Satz wiederholt: „Wir lieben Fußball, aber unsere Arbeitsbedingungen lieben wir noch mehr.“

Auch dass es immer mehr selbstverwaltete Streikstrukturen gibt, die sich eine Unabhängigkeit von der CGT-Führung erkämpfen, ist eine sehr interessante Entwicklung. Wenn die Bewegung Erfolg haben möchte, muss sie sich aber noch viel mehr selbst organisieren. Und es muss eine bessere Verbindung zwischen den kämpfenden Sektoren entstehen. Viele Studierende suchen jetzt in den Semesterferien den Anschluss an die Arbeiter*innen Bewegung, gründen Streiksolidaritäts-Komitees und probieren, die einzelnen streikenden Unternehmen besser zu vernetzen. Nur die Ausweitung und Demokratisierung der Streikbewegung wird es realistisch machen, das Gesetz zu Fall zu bringen. Und mit dem Gesetz wird wohl auch Hollande fallen.

Wie der Kampf in Frankreich auch ausgeht: Er hat bereits jetzt eine große Signalwirkung auf ganz Europa. Wenn die Arbeiter*innenklasse in Frankreich siegreich ist, wird das die Arbeitskämpfe in Belgien und Griechenland Aufschwung verleihen, die sich ähnlichen Angriffen ausgesetzt sehen. Und sie wird zeigen, dass gegen neoliberale Angriffe der EU kein Brexit hilft, sondern Klassenkampf.

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