Regimekrise in Argentinien: Der Streit zwischen Milei und den Gouverneuren

01.03.2024, Lesezeit 10 Min.
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Javier Milei am 24. Februar 2024 bei einer Konferenz der Republikaner in den USA. Quelle: lev radin / Shutterstock.com

Die Kürzungspolitik im Dienste des internationalen Kapitals hat den neuen ultrarechten Präsidenten Javier Milei in einen offenen Konflikt mit den Gouverneuren der argentinischen Provinzen gebracht. Diese drohten sogar damit, die Produktion von Rohstoffen wie Gas und Öl zu unterbrechen. Eine schwere Krise, die Mileis Schwierigkeiten in der Umsetzung seines "Kettensägenplans" aufzeigt.

Durch das Scheitern des Omnibus-Gesetzes – Kernstück seiner autoritären Offensive gegen die argentinischen Massen – ist der neue ultrarechte argentinische Präsident Javier Milei schon kurz nach seiner Amtszeit in die Defensive geraten. In den letzten Tagen hat sich darüber hinaus ein neuer Konfliktherd eröffnet, der Milei mit einem Teil der Provinzgouverneure konfrontiert.

Da Argentinien ein Bundesstaat ist, beteiligt sich die nationale Regierung durch die Abführung von Steuer- und Abgabeneinnahmen am Haushalt aller Provinzen des Landes. Nach mehreren internationalen Treffen mit Politikern wie Donald Trump und Anthony Blinken sowie Vertreter:innen des internationalen und US-amerikanischen Kapitals wie Gita Gopinath, der Nummer 2 des IWF, versucht Javier Milei nun, seinen Kürzungsplan wieder in die Offensive zu bringen.

In diesem Zusammenhang hat die Regierungspolitik einen Konflikt zwischen dem extrem rechten libertären Präsidenten und dem Gouverneur der ölproduzierenden Region Chubut, Ignacio Torres (Mitglied der Partei Propuesta Republicana (PRO), der Partei des rechten Ex-Präsident Macri), ausgelöst. Letzterer ging so weit, dass er Mileis Vereinbarungen mit der traditionellen Rechten des Landes in Frage stellte.

Milei will der Provinz Chubut drei Milliarden Pesos pro Tag abnehmen – der Gouverneur droht, ihm die Ölpumpe abzuschalten

Seit Freitag, dem 23. Februar, führt Ignacio Torres, Gouverneur von Chubut und Mitglied der neoliberalen Rechtspartei PRO, eine Revolte der Gouverneure gegen Milei an. Grund dafür ist die Entscheidung der Zentralregierung, der Provinz täglich drei Milliarden Pesos (ca. 3,6 Millionen US-Dollar) vorzuenthalten, da sie in der vorangegangenen Amtszeit Schulden gegenüber dem Staat hatte. Nach Angaben der Regierung Milei beliefen diese sich auf 119 Milliarden Pesos.

Milei versucht auf diese Weise, die Provinz brutal zu disziplinieren. Im argentinischen politischen System verfügen die Provinzen über eine eigene Regierung und wichtige Kompetenzen, insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Bildung, Wirtschaft, Transportsubventionen und so weiter. Diese Entscheidung der Rückhaltung von Haushaltsgeldern hat unter anderem zur Folge, dass die Fahrpreise für die Allgemeinheit im ganzen Land generell steigen und massive Haushaltskürzungen in Bereichen wie dem Bildungswesen vorgenommen werden. Als Reaktion darauf drohte der Gouverneur von Chubut – der wichtigsten Ölregion Argentiniens –, die Öl- und Gaslieferungen an den Staat zu unterbrechen, und eröffnete damit einen weitreichenden Konflikt mit der Regierung Milei.

Ignacio Torres‘ Amtskollegen der anderen Provinzen folgten schnell seinem Beispiel, insbesondere in den Öl und Gas produzierenden Regionen. So gaben die Gouverneure der Provinzen Feuerland, Santa Cruz, Rio Negro, Neuquén und La Pampa eine gemeinsame Erklärung ab. Diese Gouverneure aus dem Süden des Landes, die sowohl aus dem Peronismus als auch aus der Rechten stammen, kündigten an, sich geschlossen gegen die Regierung zu stellen. Schließlich unterstützten alle Gouverneure der 24 Provinzen Argentiniens Torres gegen Milei.

Angesichts dieser Revolte, die seine Autorität in Frage stellt, reagierte Milei wie üblich mit ultrabrutalen Erklärungen und Drohungen. So bezeichnete der extrem rechte Präsident die Gouverneure als „Steuerdegenerierte“ und brachte einen Artikel des Strafgesetzbuches ins Spiel, der zwei Jahre Gefängnis für jeden vorsieht, der die Energieversorgung behindert – eine klare Drohung gegen Ignacio Torres. Eine Offensive, die von zahlreichen persönlichen Angriffen und abwertenden Bildern begleitet wurde, die Milei in den sozialen Netzwerken weiterleitete.

Nach diesem allmählichen Anstieg der Spannungen entschied der Oberste Gerichtshof am Dienstag schließlich zugunsten von Torres. Das brachte Milei eine weitere Ohrfeige ein und gab Torres die Möglichkeit, die Krise von oben zu beenden, wogegen Milei in Berufung gehen will. Die Entscheidung der Richter bringt den Libertären noch mehr in Bedrängnis, da er auch in einem anderen Rechtsstreit – diesmal gegen den Mitte-Links-Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Axel Kicillof – von ihrem Urteil abhängt. Dieser ficht ebenfalls die Streichung der staatlichen Zuwendungen an seine Provinz an.

In der Dynamik dieser Konflikte muss man sich klarmachen, dass die Mehrheit der Gouverneure Mileis aggressives neoliberales Projekt grundsätzlich unterstützt. Einige von ihnen, darunter Torres, haben sogar das Omnibusgesetz bei seiner Verabschiedung im Parlament unterstützt. In den Debatten mit der nationalen Regierung ging es ihnen eher um Grad und Nuancen als um den Inhalt. Mileis aggressive Haltung gegenüber den Provinzhaushalten, die ein wesentlicher Bestandteil seines Programms war, führte jedoch zu erheblichen Spannungen mit dem Regime und trug zu dessen Zersplitterung bei.

Der Konflikt mit den Gouverneuren zeugt von der tiefen Fragmentierung des argentinischen Regimes

Wenn man sich den Werdegang von Ignacio Torres ansieht, ist es schwer zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass er in eine harte Auseinandersetzung mit Milei geriet. Torres ist ein konservativer und neoliberaler Gouverneur, der Mitglied von Macris PRO-Partei ist und noch vor einigen Wochen mit der Partei von Javier Milei fusionieren wollte. Vor kurzem erklärte er, dass er „90 Prozent Übereinstimmung“ mit Milei habe. Torres hat vor, das repressive „Sicherheitsprotokoll“ der Regierung aktiv umzusetzen, was mit seiner eigenen Politik in seiner Provinz übereinstimmt: So verfolgte er kürzlich führende Gewerkschafter:innen aus der Lehrer:innengewerkschaft. So zeigte er, dass Milei ihm keine Lektion in Sachen antisozialer Politik erteilen muss.

Indem er einen potenziellen politischen Verbündeten so schroff behandelt, versucht Milei, den „Anti-Kaste“-Diskurs, der ihn an die Macht gebracht hat, aufrecht zu erhalten und seine Wähler:innenbasis aufzuheizen. Denn diese ist auch heute noch sein wichtigstes politisches Kapital, während er im Parlament und im Senat in der Minderheit ist und landesweit über keine Gouverneure verfügt. Solche Positionen sind jedoch ein wesentliches Element der Regierbarkeit in Argentinien. Der Präsident befürchtet, dass ein Rückschlag gegenüber den Gouverneuren seine soziale Basis erschüttern würde. Diese könnte zerbröckeln, wenn die Austeritätspläne und die Verschlechterung der Lebensbedingungen der Bevölkerung es immer schwieriger machen, Mileis Programm zuzustimmen.

Allerdings kann eine derart aggressive Austeritätspolitik, obwohl sie im Interesse des internationalen Kapitals und mit konsequenter Unterstützung der argentinischen Bourgeoisie durchgeführt wird, nicht stattfinden, ohne Gräben und aufeinanderfolgende Krisen mit bestimmten Sektoren der Kapitalist:innen des Landes aufzureißen. Selbst der IWF wies kürzlich auf dieses Problem hin und forderte Milei zu mehr „Pragmatismus“ auf. Er müsse Allianzen mit konsequenten Sektoren des Regimes suchen und gleichzeitig vermeiden, Sektoren der herrschenden Klassen, insbesondere in den Provinzen, zu schnell vor den Kopf zu stoßen. Haushaltskürzungen in den Provinzen könnten zu einem starken Anstieg der sozialen Spannungen führen (da die Gouverneure die Budgets für öffentliche Dienstleistungen und Transport sehr hart und schnell kürzen müssen) und gleichzeitig die notwendigen produktiven Investitionen, insbesondere in die Rohstoffproduktion, unmöglich machen. Schließlich wird der Großteil dieser Vermögenswerte zur Rückzahlung der Auslandsschulden verwendet.

Mileis Kontroverse mit den Gouverneuren verweist daher auf ein grundlegendes Problem, das sich bereits beim Omnibus-Gesetz stellte: Bestimmte Sektoren der Bourgeoisie, die Mileis Vorhaben zwar grundsätzlich unterstützen, haben partielle Widersprüche zu seinen Maßnahmen, die daher mit Fingerspitzengefühl manövriert werden müssen. Mileis bis zum Äußersten gehender und demagogischer Stil erschwert die Möglichkeiten für Vereinbarungen mit dem Regime zusätzlich, wobei die Rechte verzweifelt, dass Milei „sich nicht von ihr helfen lässt“. Das ist im Wesentlichen das, was ein Teil der rechten „dialogistischen“ Opposition oder Teile des Peronismus beklagen, wie der Abgeordnete der rechten UCR, De Loredo. Dieser brach nach der Rücknahme des Omnibus-Gesetzes und Mileis Beleidigungen gegen die Sektoren, die bereit waren, mit ihm zu verhandeln, in Tränen aus. Ebenso gab der PRO-Anführer Mauricio Macri, der Ignacio Torres nahestand, am vergangenen Wochenende schließlich bekannt, dass seine Partei nun doch nicht mit der von Milei fusionieren werde, da sie als zu unberechenbar erachtet werde.

Gleichzeitig eröffnet diese Situation Krisen in der traditionellen Rechten. So versuchte Patricia Bullrich, Macris ehemaliger Schützling und nun Sicherheitsministerin von Milei, kürzlich eine Front gegen den ehemaligen Präsidenten zu eröffnen, indem sie eine volle Unterstützung der Rechten für Milei forderte. So erklärte sie, dass die rechte Koalition Juntos por el Cambio (wörtlich: „Gemeinsam für den Wandel“), die PRO und UCR vereint und die Bullrich bei den letzten Präsidentschaftswahlen angeführt hatte, „den Wandel boykottieren“ würde, indem sie sich weigere, mit Milei zu regieren.

Zwischen den Risiken einer territorialen Zersplitterung zwischen Zentralstaat und Provinzen, den Schwierigkeiten, eine Einigung zwischen der libertären extremen Rechten und der traditionellen Rechten zu finden, und den Spaltungen innerhalb der letzteren, schärfen die ersten Monate von Milei an der Macht somit eher die Tendenzen einer organischen Krise, als dass sie sie lösen.

Das Fehlen eines Schlachtplans der Gewerkschaftsführungen überlässt den Gouverneuren die Rolle der Opposition gegen Milei

Unter diesen Umständen erscheint die Macht von Milei viel fragiler als erwartet: Die Krise an der Spitze signalisiert eine Gelegenheit, diese Regierung und ihren Kriegsplan gegen die Arbeiter:innen, die Jugend, die verarmten Sektoren und die Mittelschichten des Landes zurückzudrängen. Dennoch bleiben die Gewerkschaftsführungen völlig passiv und weigern sich, die verschiedenen Kämpfe zu koordinieren oder einen gemeinsamen Aufruf gegen die neoliberalen Maßnahmen von Mileis Megadekret, die Entlassungen oder die Haushaltskürzungen zu starten.

Seit dem Massenstreiktag am 24. Januar gab es keinen landesweiten Streikaufruf mehr, und die Gewerkschaftsführungen überlassen es Torres (rechts) oder dem Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Axel Kicillof (Mitte-Links), sich als Hauptalternative zu Milei aufzustellen. Letzterer positioniert sich in der Tat als zukünftiger Kandidat des Peronismus für 2027 und folgt der Strategie der ehemaligen Präsidentin Cristina Kirchner. Diese hatte, nachdem sie mehrere Monate lang geschwiegen hatte, in einem Mitte Februar veröffentlichten Dokument beschrieben, dass es für sie darum geht, sich Milei entgegenzustellen und gleichzeitig offen für einen Dialog über die von Mileis Regierung angestrebte Arbeitsreform sowie über seinen Plan für eine (austeritäre) Staatsreform zu bleiben. Ihre Herausforderung besteht dabei darin, die Straßen ruhig zu halten, um soziale Explosionen zu vermeiden, die sie nicht kontrollieren kann.

Wie die Anführer:innen Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS), der Schwesterorganisation von Klasse Gegen Klasse in Argentinien, Esteban Mercatante und Eduardo Castilla in La Izquierda Diario zusammenfassten: „Cristina Kirchner versucht, den Peronismus als Werkzeug in den Vordergrund zu stellen, um die Wunden eines politischen Regimes zu nähen, das von sozialen Unruhen und der Wirtschaftskrise gebeutelt wurde. Sie setzt auf die historische Rolle der Eindämmung, die diese Partei/Bewegung in der argentinischen Geschichte in Zeiten akuter Krisen gespielt hat. Das bedeutet, dass man auf [die Wahlen] 2025 oder 2027 warten müsse. In der Zwischenzeit wird die Kürzungspolitik von Milei ihren Lauf nehmen. Das bedeutet eine enorme Offensive gegen die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen. Die Armut, die bereits Rekordhöhen erreicht hat, könnte unerträgliche Höhen erreichen, die über denen der schlimmsten sozialen Krise von 2002 liegen.

Die ’strategischen‘ Überlegungen von Kirchner (…) laufen darauf hinaus, dazu beizutragen, der Regierung eine relative politische Stabilität zu sichern, die es ihr ermöglicht, ihre Angriffe fortzusetzen. Selbst wenn als Ergebnis von Verhandlungen eine ‚gemäßigte‘ Version des aktuellen Kettensägenplans herauskommt, wird dies die Agenda des konzentrierten Großkapitals, das die Angriffe auf die Arbeiter:innen und die ruinierten Mittelschichten vorantreibt, aufrechterhalten. Mit anderen Worten, den Weg des Verfalls des Landes fortsetzen, in den dieselbe herrschende Klasse das Land geführt hat.“

Unter diesen Bedingungen lässt die abwartende Haltung des Kirchnerismus und das Fehlen eines Schlachtplans der Gewerkschaftsführungen schließlich der ultrareaktionären argentinischen Justiz die Gelegenheit, sich als Hauptbremse für die Macht der extrem rechten Regierung zu präsentieren. Die Justiz ist jedoch, ganz besonders in Argentinien, eine reaktionäre und bonapartistische Institution, die sehr stark mit den Interessen des internationalen Kapitalismus verbunden ist und für sich in Anspruch nimmt, am weitesten von der Volkssouveränität „entfernt“ zu sein.

Ein Zeichen dafür, dass die argentinischen Arbeiter:innen den Kampf gegen Milei aufrechterhalten wollen, ist, dass in verschiedenen Bereichen zahlreiche Kämpfe aus dem Boden sprießen. So begann das Jahr im Bildungswesen mit einem landesweiten Streik mit großer Beteiligung, mit massiven Demonstrationszügen wie in Cordoba, während die Sommerferien an diesem Montag zu Ende gingen. Gegen die Privatisierung des Flughafens Aerolineas Argentinas riefen alle Gewerkschaften zu einem Streik auf, der am Mittwoch sehr gut besucht war. Auch in der Industrie finden Streiks gegen Entlassungen statt, sowohl im Reifensektor als auch in der Stahlindustrie. Gleichzeitig sind die Nachbarschaftsversammlungen weiterhin aktiv, um die Kämpfe zu koordinieren, und rufen insbesondere zu einem Aktionstag am Freitag, den 1. März auf. An diesem Tag wird das Parlament nach der Sommerpause wiedereröffnet, wo Javier Milei eine Rede plant. In diesen Bereichen und Initiativen liegt der Keim für eine Gegenreaktion, die den Plänen der Regierung gewachsen ist.


Dieser Artikel erschien zuerst am 28. Februar 2024 auf Französisch bei Révolution Permanente.

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