Refugee-Bewegung am Boden?

15.04.2015, Lesezeit 5 Min.
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// GEFLÜCHTETE: Aufopfernde Kämpfe, rassistische Gesetze und strategische Schranken. Die Bewegung illegalisierter MigrantInnen ein Jahr nach der Räumung des Oranienplatzes. //

Knackende Holzbretter, reißende Planen, brummende Radlader, aufgeregte Schreie und wilde Handgemenge – am Morgen des 8. April 2014 ereignete sich auf dem Berliner Oranienplatz alles – bloß kein „friedlicher Abbruch“ des Camps der seit 2012 protestierenden Geflüchteten. Der Berliner Senat hatte die Räumung mit seiner heuchlerischen und manipulativen Spaltungspolitik durchgesetzt. Ihre Versprechungen nach Einzelfallprüfungen und Unterkünften wollten die Regierungsparteien CDU und SPD nie einhalten.

Kampf und Repression

In den Folgemonaten der Räumung gab es zermürbende Kämpfe, wie in der Berliner Gürtelstraße. Die ebenfalls seit 2012 besetzte ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule konnte trotz einwöchiger Militarisierung des Stadtviertels gegen eine Räumung – dieses Mal unter Komplizenschaft der Grünen – verteidigt werden. Der Status der BewohnerInnen ist aber nach wie vor prekär – aktuell stehen sie wieder vor der Räumung.

Die seit langem dynamischste soziale Bewegung Deutschlands kämpft nach wie vor gegen die Isolation der oft abgelegenen Lager, gegen Residenzpflicht, Arbeitsverbote, brutale Fallen des europäischen Migrationsregimes (Dublin III), Kriminalisierung und rassistische Unterdrückung im Ganzen. Ihr Epizentrum hatte und hat sie in Berlin.

Erreicht wurden dennoch nur geringfügige Lockerungen – politische Kampagnen wie die kollektive Anerkennung über den §23 des Aufenthaltsgesetzes konnten nicht durchgesetzt werden. Im Gegenzug wurden auf Bundesebene unter Zustimmung der Grünen mit der „Sicheren Drittstaatenregelung“ deutliche Verschärfungen verabschiedet. Weitere harte Einschnitte sollen ab kommendem Sommer greifen und sorgen für die massenhafte Inhaftierung von „Geduldeten“ – neben Verbesserungen für eine „gut integrierte“ Minderheit.

Objektive Grenzen…

Die heuchlerische Politik des Staatsapparats und der Parteien CDU, SPD und Grüne konnte den Widerstand letztlich schwächen. Die ohnehin illegalisierten Geflüchteten traf die Repression mit besonderer Härte. Die erlittenen Niederlagen gehen auf ein krasses Ungleichgewicht im Kräfteverhältnis zurück. Obwohl die Refugee-Bewegung der kämpferischste Ausdruck in der aktuell noch ruhigen Situation war, konnten die AktivistInnen den Staat nicht annähernd genug konfrontieren, um ihre Forderungen durchzusetzen. Es fehlte vor allem an materiellem Druck gegen die rassistische Politik der Herrschenden.

Die Solidarität im Zuge einer breiten Öffentlichkeit in Reaktion auf die rassistischen Pegida-Mobilisierungen seit Ende 2014 verblieb dann auch im Schatten des getarnten Rassismus der bürgerlichen Parteien. Diese hatten die aktuellen Asylrechtsverschärfungen selber mit auf den Weg gebracht. Ihr staatstragender Versuch, sich gegen Pegida als „antirassistisch“ anzubiedern, war ebenso durchschaubar wie folgenlos. Auch die im Umfeld der rassistischen Bewegung schlagartig zunehmenden Angriffe auf Geflüchtete versuchte der deutsche Staat nicht zu verhindern.

…und strategische Schranken

Die Kräfteverhältnisse zu verändern, wäre die Aufgabe der organisierten Teile der Bewegung gewesen. Doch mit einigen Ausnahmen waren sie darauf fokussiert, individuelle Aufopferung und „Assistenzialismus“ – also die rein technische Unterstützung ohne eine politische Perspektive – zu leisten. So wichtig diese Unterstützung auch ist, die Kräfteverhältnisse konnte sie nicht nachhaltig ändern. Platzbesetzungen sind beispielsweise legitime taktische Mittel, um ein Ziel zu erreichen – mediale Aufmerksamkeit kann aber eine Strategie nicht ersetzen.

Die strategische Schranke, die es nach wie vor zu durchbrechen gilt, ist die Verbindung zur organisierten ArbeiterInnenklasse, bei der im Kapitalismus die gesellschaftliche Macht liegt. Die subjektive Krise der ArbeiterInnenbewegung in Deutschland macht diese Perspektive weder selbstverständlich noch leicht umzusetzen – unabdingbar ist sie dennoch. Diese Verbindung versuchte die Gruppe Refugee Struggle for Freedom selbst aufzubauen, als sie das DGB-Haus Berlin-Brandenburg besetzte. Leider erfuhr sie auffällig wenig Unterstützung aus dem autonomen Spektrum, aber auch der traditionellen Linken, bis hin zur offenen Ablehnung durch die SDAJ, die ihren Stand in der Bürokratie gefährdet sah. Aber auch die gewerkschaftlich orientierte Linke konnte nicht genügend Unterstützung aufbringen.

Die Räumung des besetzten DGB-Hauses durch die Polizei war deshalb eine schwere Niederlage. Da die Geflüchteten weitgehend isoliert waren, konnte die Gewerkschaftsbürokratie rücksichtslose Gewalt anwenden, um sich den ungemütlichen VerhandlungspartnerInnen zu entledigen. Damit trat sie die Interessen der ArbeiterInnenklasse, die selbst keine Grenzen kennt, mit Füßen. Die gewerkschaftliche Perspektive ist nach dieser Erfahrung innerhalb der Refugee-Bewegung erst recht marginal und ihre Umsetzung wird viel Geduld brauchen. Aber sie ist ein gangbarer Weg, wenn bewusste Teile der ArbeiterInnenklasse für sie gewonnen werden können.

Die Refugee-Bewegung ist ein Jahr nach der „O-Platz“-Räumung spürbar geschwächt, aber sie lebt. Sie kann auch nicht als Ganzes und politisch „geräumt“ werden, so lange ihre objektiven Bedingungen, die Flucht und der staatliche Rassismus, weiter existieren. Ihr gerechter Kampf geht deshalb weiter und unsere Solidarität ist weiterhin unabdingbar.

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