Perspektiven nach der Hörsaal-Besetzung an der LMU

23.12.2022, Lesezeit 8 Min.
1

Die Räumung der Hörsaal-Besetzung an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), die Präsident Huber nach nur wenigen Stunden durch die Bereitschaftspolizei durchsetzen ließ, steht exemplarisch für die repressiven Verhältnisse an bayerischen Universitäten. Dabei geht es vor allem darum, die hochschulpolitische Mitbestimmung von Studierenden und Beschäftigten massiv einzuschränken.

Nachdem Studierende der LMU am Dienstag letzte Woche einen Hörsaal besetzten, gab Präsident Huber ihnen gerade einmal eine Viertelstunde, um die Besetzung freiwillig aufzulösen. Als dies nicht geschah, räumte die Bereitschaftspolizei die Versammlung und nahm Personalien auf mit der Ansage, dass alle Beteiligten eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und für den restlichen Tag Hausverbot erhielten. In einer späteren Stellungnahme von Seiten der Hochschulleitung hieß es dann, dass die LMU auf eine Anzeige verzichten werde. Zugleich bekräftigte sie aber, dass die Besetzung rechtswidrig sei und ein solches Verhalten nicht geduldet werde. Die Vorgehensweise der Universität sowie der Polizei muss in einem Zusammenhang mit verschiedensten Repressionen verstanden werden, mit denen eine echte Mitbestimmung von Studierenden und auch Beschäftigten seit Jahrzehnten verhindert wird.

Jungbürokrat:innen statt Studierendenbewegung

Seit 1974 gibt es in Bayern keine Verfasste Studierendenschaft (VS) und damit auch keinen Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) – eine Art studentische Regierung – mehr. Abgeschafft wurde die VS durch das Bayerische Hochschulgesetz mit der Begründung des damaligen Kultusministers Hans Maier, man wolle „den linken Sumpf an den Universitäten trockenlegen.“ Zwar existiert seitdem eine Studierendenvertretung; deren Rechte sind jedoch extrem eingeschränkt und kommen einer Fremdbestimmung sowie Entmündigung gleich: Studierende haben beispielsweise keine Verfügung über die Mittelverwendung und keinen Einfluss auf die Zusammensetzung, sowie Aufgabenbereiche der Studierendenvertretung. Studierende werden so zu Bittsteller:innen gemacht, die an der universitären Hochschulbürokratie in einem engen Rahmen teilhaben dürfen – mit echter Mitbestimmung hat das alles dagegen nichts zu tun.

Bedauerlicherweise haben diese Maßnahmen inzwischen Wirkung gezeigt. Die harte Repression und rechtliche Einschränkungen haben allen politischen Kampf aus diesen offiziellen Studierendenvertretungen getrieben und die lächerlich niedrigen Wahlbeteiligungen zeigen, dass es bei diesen Gremien letztlich um nichts geht. Die Studierendenvertretungen in Bayern haben momentan nichts zu verlieren, außer ihre Ketten. Allerdings existiert eine Instanz, die das ganz anders sieht: Die Landesstudierendenvertretung Bayern, die etwas irreführend immer noch als Landes-ASten-Konferenz (LAK) bezeichnet wird. In einer Stellungnahme zum Hochschulinnovationsgesetz lobt sie die gesetzliche Verankerung eben jener Vertretung und bewirbt die „gute Zusammenarbeit mit dem Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst (StMWK), dem Bayerischen Landtag und verschiedenen hochschulpolitischen Verbänden.” Zugleich wird darauf verwiesen, dass die LAK im Gegensatz zu anderen Bundesländern keine eigene Rechtspersönlichkeit anstrebe, da der Charakter eines überregionalen, hochschulartübergreifenden Zusammenschlusses der Studierendenvertretungen beibehalten werden solle. Dazu passe auch keine Ausweitung des Mandats auf allgemeinpolitische Themen – offensichtlich eine Selbstzensur.

Diese ist jedoch nicht unbedingt verwunderlich, wenn man die gängige Praxis mit dem hochschulpolitischen Mandat kennt. Professor Huber sprach, bevor er die Besetzung durch die Polizei räumen ließ, noch davon, dass die Hochschule kein politischer Ort sei. Das hochschulpolitische Mandat wird genutzt, um linke Stimmen, die auf gesellschaftliche Probleme verweisen, innerhalb der Studierendenvertretungen zu zensieren und jedweden Protest an den Hochschulen zu unterbinden. Das heißt auch, dass rechte Studierende das hochschulpolitische Mandat nutzen können, um linke Studierende aus den Studierendenvertretungen auszuschließen oder mundtot zu machen, um ihre Mehrheiten in verschiedenen Strukturen aufrechtzuerhalten. Die LAK bekam, was sie wollte. So heißt es etwa in Art. 28 Abs. 2 des beschlossenen BayHIG: „Der Landesstudierendenrat hat das Recht, im Rahmen seiner Aufgaben zu grundlegenden, die Studierenden betreffenden hochschulischen Angelegenheiten durch das Staatsministerium informiert und angehört zu werden sowie Anregungen und Vorschläge an das Staatsministerium zu richten.” Lediglich die Bezeichnung „Landesstudierendenrat” monierte die LAK im Vorfeld. Was im Gesetzestext als Recht begriffen wird, ist faktisch die Festschreibung eines Bittens und Bettelns um das absolut Mindeste. Diese sogenannte Vertretung zeigt immer wieder, auf wessen Seite sie steht. Unter den momentanen Bedingungen sind unsere sogenannten Vertretungen der verlängerte Arm der Staatsregierung und der Hochschulpräsidien in den eigenen Reihen. Daher sind sie auch nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die materielle Auswirkungen hätten. Stattdessen werden vielmehr die Hände wichtiger Persönlichkeiten in Politik, Akademie und Wirtschaft geschüttelt, die sich zukünftig möglicherweise als lukrative Kontakte erweisen.

Verfassungstreueprüfung und weitere Repressionen

Aber auch für Beschäftigte behält sich die bayerische Politik besondere Maßnahmen vor: So werden sie einer sogenannten Verfassungstreueprüfung unterzogen, in der die Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung von Gruppen abgefragt wird, die vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet werden. Bis heute wirkt also der Radikalenerlass von 1972 nach, der ein Berufsverbot für eine Vielzahl von Beschäftigten im öffentlichen Dienst nach sich zog und insbesondere gegen das linke Spektrum gerichtet war. Ein solches Berufsverbot wird durch die Verfassungstreueprüfung aufrechterhalten. Erst im April dieses Jahres stellte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe fest, dass das bayerische Verfassungsschutzgesetz in Teilen rechtswidrig ist. Geklagt hatte unter anderem Kerem Schamberger, dessen Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter zunächst monatelang verhindert wurde. Mehr als deutlich wird, dass in Bayern hochschulpolitisch die ‚rote Angst‘ fortbesteht. Die LMU stellt sich diesbezüglich nicht etwa auf die Seite der Studierenden und Beschäftigten, sondern hinter die bayerische Landesregierung. Auch im Fall des Hochschulinnovationsgesetzes, das trotz massiver Kritik 2022 beschlossen wurde, wird dies deutlich. Präsident Huber hielt dazu lediglich eine Zoom-Konferenz ab, die einer Farce gleichkam. In dieser ignorierte er kritische Nachfragen bzw. Einsprüche gezielt. Lediglich die Umstrukturierung der Uni-Verwaltung wurde im Vergleich zum ursprünglichen Gesetzesentwurf gekippt. Diese hätte eine noch stärkere Aushöhlung der Mitbestimmung bedeutet. Verbesserungen gibt es diesbezüglich jedoch auch nicht, wie die GEW in einer Stellungnahme schreibt: „Das Wissenschaftsministerium lässt erneut die Chance verstreichen, demokratische Mitbestimmung für alle Mitgliedsgruppen der Hochschule zu stärken. Anstatt eine verfasste Studierendenschaft und Viertelparität in Gremien einzuführen, bleibt Bayern in puncto Hochschuldemokratie bundesweites Schlusslicht.“

Nicht nur in Bezug auf die Hochschulpolitik sieht es in Bayern besonders düster aus. Durch das 2018 beschlossene und 2021 noch erweiterte Polizeiaufgabengesetz (PAG) können Menschen ohne Prozess bis zu zwei Monate in Präventivhaft genommen werden, wie es Anfang November mit Klima-Aktivist:innen der Letzten Generation geschah und noch viel häufiger Geflüchtete betrifft, was bereits seit 2017 durch das „Gefährdergesetz” Praxis ist. Im April 2022 kam es zu Razzien in Wohnungen, einer Druckerei und der anarchistischen Bibliothek Frevel in München. Den Beschuldigten wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB vorgeworfen. Dabei beschlagnahmte das USK die Druckmaschine samt Zubehör, Sortier-, und Klebemaschinen, tausende Bücher, Broschüren und Zeitungen, 50.000 Bögen unbedrucktes Papier sowie Tinte. Weiterhin setzten die Bullen den Vermieter so sehr unter Druck, dass dieser den Mietvertrag der Bibliotheksräume kündigte und Frevel Anfang Dezember dort ausziehen musste. Razzien gab es auch am Tag der Hörsaal-Besetzung bei Mitgliedern der Letzten Generation. Es mag ein bloßer Zufall sein, dass der Staat gerade am 13.12., also dem Tag, dessen Datum in Buchstaben übersetzt A.C.A.B. ergibt und an dem üblicherweise linke Demos gegen Polizeigewalt stattfinden, mal wieder seine Repression zur Schau stellte. Ob Zufall oder nicht, es handelt sich nicht um eine Ausnahme, dass die Hörsaal-Besetzung auf diese Weise beendet wurde.

Für eine Uni unter Kontrolle der Studierenden und Beschäftigten

Die Repressionen dürfen nicht dazu führen, dass Kämpfe und Proteste immer weiter eingeschränkt werden. Die Hörsaal-Besetzung zeigt, dass es auch an der LMU eine Basis gibt, die sich eine andere Uni vorstellt. Auf die Politik zu vertrauen oder an die Hochschulbürokratie zu appellieren, ist kein Weg, da sie es sind, die Mitbestimmung mit allen Mitteln verhindern wollen. Stattdessen müssen sich Studierende, wissenschaftliche ebenso wie nicht-wissenschaftliche Beschäftigte zusammenschließen, um selbst darüber nachzudenken, wie sie die Uni einerseits als Ort des Lernens und Lehrens und andererseits als politischen Raum gestalten wollen. Sie müssen durch Proteste, Presse und auch in wissenschaftlichen Arbeiten aufzeigen und anklagen, wie undemokratisch die Verhältnisse an der Uni derzeit sind.
Dies kann in Vollversammlungen und Komitees geschehen, um eine basisdemokratische Selbstorganisierung aufzubauen. Hier können die Kampfmittel entwickelt werden, die notwendig sind, um die Uni unter die Kontrolle der Studierenden und Beschäftigten zu bringen. Denn nicht weniger sollte unser Ziel sein – wir als Studierende und Beschäftigte bilden die Mehrheit an der Uni und verfügen dennoch über die wenigsten Mitbestimmungsrechte. Und trotzdem konnten wir uns zumindest für ein paar Stunden den Raum erkämpfen, der uns zusteht. Dies sollte Motivation und Bestätigung genug sein, um die weiteren anstehenden Kämpfe zu führen!

Mehr zum Thema