Niederlande: Im „Schleppnetz“ der Geheimdienste

07.05.2018, Lesezeit 6 Min.
Gastbeitrag

Mit dem „Wiv 2017“ (Wet op de inlichtingen- en veiligheidsdiensten), dem „Gesetz für die Nachrichten- und Sicherheitsdienste“, das am 1. Mai in Kraft trat, plant auch die Niederlande den Ausbau der staatlichen Überwachung.

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Mandatory Credit: Photo by Action Press/REX/Shutterstock (4490637r) Mark Rutte Dutch prime minister Mark Rutte in The Hague, The Netherlands - 03 Mar 2015

Lange Vorbereitung

Bereits im Jahr 2011 wies der „Kontrollausschuss für die Nachrichten- und Sicherheitsdienste“ (CTIVD) die niederländische Regierung darauf hin, dass die Befugnisse der Geheimdienste, aufgrund der weltweit fortschreitenden Technik, erneuert und angepasst werden müssen. Zwei Jahre darauf sprach sich schließlich auch eine eigens für diesen Vorschlag gegründete Kommission dafür aus und empfahl ein verstärktes Abhören und Aufzeichnen insbesondere der Telekommunikation. Nun, vor wenigen Tagen trat das Gesetz, das bereits 2017 von der Ersten und Zweiten Kammer abgesegnet wurde, offiziell in Kraft, getragen von der rechten Regierung unter Ministerpräsident Mark Rutte.

Widerstand und Verbot von Referenden

Dabei gab es eine breite Kampagne des Widerstands, die von Nichtregierungsorganisationen, Parteien und natürlich von der Bevölkerung getragen wurde. Zahlreiche Demonstrationen wurden organisiert, Petitionen gestartet und im Zuge der Gemeindewahlen am 21. März sogar ein Referendum angesetzt. Diesem ging eine Unterschriftensammlung voraus, welche von fünf Student*innen angestoßen wurde. Gemeinsam mit Organisationen wie Amnesty International und Bits of Freedom konnten sie in sechs Wochen die Mindestanzahl von 300.000 Unterschriften erfüllen und sammelten bis zuletzt sogar knapp 400.000. Das Referendum selbst verlief mit 49,4% Nein-Stimmen zu Gunsten der Gegner*innen des „Wiv 2017“. Da das Ergebnis des Referendums aber nicht bindend, sondern nur beratend war, hat sich die Regierung über dieses hinweggesetzt und es trotzdem verabschiedet. Um wenigstens einen Anschein der Auseinandersetzung mit dem Ergebnis zu machen, haben sie leichte Veränderungen vorgenommen. Doch die Hauptforderung der verstärkten Überwachung blieb unangetastet.

Was das „Wiv 2017“ vorsieht

Befürworter*innen behaupten, dass sich das „Wiv 2017“ kaum von seinem Vorgänger „Wiv 2002“ unterscheide. Doch diese Behauptung ist falsch. Warum wurde dann so vehement auf dem „Wiv 2017“ bestanden?

Der Kern des Gesetzes sieht eine Ausweitung der Kompetenzen des Allgemeinen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes (AIVD), sowie des Militärischen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes (MIVD) vor, welche Verschärfungen und Ausweitungen insbesondere in der Überwachung von Telefon, Email und Internet ermöglichen. Die Grenzen sind dabei bewusst sehr vage gehalten. Die Geheimdienste sind zwar offiziell dazu verpflichtet nur gezielte Überwachungen durchzuführen, doch bei Bedrohung der nationalen Sicherheit darf dies aufgehoben werden. Ganze Viertel und Straßen können überwacht werden. Die gewonnenen Informationen dürfen schließlich bis zu drei Jahre gespeichert und außerdem an andere Geheimdienste weitergegeben werden. Viele Gegner*innen sorgen sich in diesem Fall zu Recht um eine Zusammenarbeit mit Geheimdiensten aus Staaten wie der Türkei. Auch medizinische Informationen über Personen dürfen, wenn sie den Ermittler*innen als wichtig erscheinen, gesammelt werden. Der Erhalt der nationalen Sicherheit rechtfertigt sogar den Eingriff in die Arbeit von Journalist*innen. Auch hier besteht die Möglichkeit der Weitergabe von Informationen an ausländische Geheimdienste.

Ausdruck des weltweiten Rechtsrucks

Darüber hinaus spielt der Zeitpunkt, zu welchem dieses Gesetz in den Niederlanden verabschiedet wurde, eine tragende Rolle. Es fällt nämlich in eine Phase des weltweiten Rechtsrucks, in der Gesetzesverschärfungen vor allem gegen Geflüchtete und Migrant*innen, sowie zur Wahrung der eigenen Werte und der Kultur eingesetzt werden sollen. Die USA haben mit dem sogenannten „Patriot Act“ bereits 2001 vorgelegt. Die Telefon- und Internetüberwachung wurde daraufhin massiv ausgebaut, Hausdurchsuchungen können stattfinden, ohne, dass der*die Betroffene anwesend ist und Nicht-Amerikaner*innen dürfen leichter abgeschoben werden. Zwar liefen Teile dieses Gesetzes 2015 aus, sie fanden mit dem „US Freedom Act“ aber sofort wieder Anwendung. Im Zuge der Krise des Kapitalismus, welche immer wieder zynisch als „Flüchtlingskrise“ bezeichnet wird, zogen schließlich auch weitere Länder nach. Die rechts-nationalistische PIS Partei in Polen hat 2016 das Berufsgeheimnis von Ärzt*innen, Journalist*innen und Anwält*innen aufgehoben und eine breite elektronische Überwachung eingeführt. Frankreich hat den Ausnahmezustand, unter welchem insbesondere das Demonstrationsrecht starke Einschränkungen erfuhr, im November 2017 zwar offiziell für beendet erklärt, doch unter Macron wurden weite Teile davon in einem weiteren Sicherheitsgesetz verankert. Und auch in Deutschland finden stets weitere Verschärfungen statt. Ausgangspunkt war in den letzten Jahren sicherlich Bayern, wo die CSU sogenannte Integrations- und Gefährder*innengesetze erlassen hat. Im Mai soll zudem das Polizeiaufgabengesetz verabschiedet werden, welches der Polizei und dem Staat im Allgemeinen weitreichende Befugnisse zur Überwachung verschafft. Bundesinnenminister Seehofer plant diese Kriminalisierung auf ganz Deutschland auszuweiten.

All das ist Ausdruck eines weltweiten Rechtsrucks. Diese Gesetze, welche offiziell den demokratischen Staat und das Zusammenleben der Bürger*innen vor terroristischen Gefahren schützen sollen, dienen dazu, sich dem rechten Wähler*innenspektrum anzubiedern. Mark Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD), sowie seine Koalitionspartner*innen, glauben ihre „Flanke nach rechts öffnen“ zu müssen, wenn sie die rassistische Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders schwächen möchten.

Betroffen sind alle

Die Gegner*innen in den Niederlanden bezeichnen dieses Gesetz zurecht als „Schleppnetz“-Gesetz (sleepnet-vet), da nicht nur einzelne Personen betroffen sind, sondern jede*r als potenzielle*r Verdächtige*r Opfer der staatlichen Angriffe und Überwachung werden kann. Erneut wird mit dem Vorwand der Terrorbekämpfung ein Instrument geschaffen, mit dem Demokrat*innen, Schüler*innen, und Studierende in ihren Lebensweisen eingeschränkt und kriminalisiert werden. Diese Gesetzesverschärfungen richten sich zudem gegen die Arbeiter*innen. Emanuel Macrons Sicherheitsgesetz zeigt dies wohl am beispielhaftesten. Durch Privatisierungen, schlechteren Kündigungsschutz und spätere Renten werden ihre Rechte angegriffen. Aktuell betrifft dies vor allem die Eisenbahner*innen, doch gemeint sind alle Arbeitenden. Die Verschärfungen von Gesetzen der Sicherheit wegen werden aber auch in anderen Ländern zu Verschärfungen der Rechte der Arbeiter*innen führen.

Das „Wiv 2017“ wird aber insbesondere Geflüchtete und Migrant*innen betreffen. Natürlich waren sie schon vor diesen Verschärfungen mit am Stärksten von staatlicher Repression betroffen, doch nun wird es weitere Angriffe auf sie geben. Mark Rutte hatte sich schon 2017 während des Wahlkampfes zur Wahl der Zweiten Kammer für mehr und konsequentere Abschiebungen ausgesprochen. In einem offenen Brief forderte er alle Geflüchtete, die sich „nicht normal benehmen“, auf, das Land zu verlassen und mahnte zur „Verteidigung unserer Werte“.

Wie diese Verteidigung aussieht, wird die Verschärfung der Geheimdienstgesetze zeigen.

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