Neuwahlen im Spanischen Staat: Die „zweite Runde“ verspricht keine Überraschungen

30.04.2016, Lesezeit 8 Min.
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König Felipe VI. teilte dem Kongress nach einer dritten gescheiterten Gesprächsrunde mit, dass kein Kandidat die nötige Unterstützung für eine Regierungsbildung zusammenbringt. Am 26. Juni finden Neuwahlen statt.

Es gibt keinen Kandidaten, der neuer Regierungschef im Spanischen Staat werden kann. Das ist die Schlussfolgerung, zu der König Felipe VI. nach der dritten Gesprächsrunde mit den Vorsitzenden der vier stärksten Parteien gelangte. Am Dienstag Abend teilte er sie dem Kongresspräsidenten Patxi López von der sozialdemokratischen PSOE mit.

Die Stellungnahme des Königshauses macht keinen Aufruf zu Neuwahlen, sondern sagt, dass der König „dem Kongresspräsidenten keinen Kandidatenvorschlag vorgelegt hat, so wie es im Artikel 99 der Verfassung vorgesehen ist“.

Die spanische Verfassung legt fest, dass der König zwei Monate nach der ersten Abstimmung im Kongress, sollte kein*e Kandidat*in die nötige Unterstützung bekommen haben, den Kongress und den Senat auflöst und gemeinsam mit dem Kongresspräsidenten zu Neuwahlen aufruft.

Dieser Zeitraum wird am 2. Mai um Mitternacht beendet sein. Nur ein bisher unmöglich erscheinender Deal in letzter Minute könnte den König davon abhalten, das Parlament am kommenden Dienstag aufzulösen und zu Neuwahlen am 26. Juni aufzurufen.

Pedro Sánchez, Vorsitzender der PSOE, hatte schon bei Abstimmungen am 2. und 4. März versucht, eine Regierung zu bilden. Beide Versuche scheiterten: Er erhielt nur 131 von 350 Stimmen, also von seiner eigenen Partei, der neoliberalen Ciudadanos (mit der er einen Pakt schließen konnte, der noch zu Beginn dieser Woche gültig war) und der Kanarischen Koalition.

Trotz der intensiven Verhandlungen zwischen der PSOE, Ciudadanos und Podemos in den vergangenen Wochen und selbst noch am Dienstag Nachmittag veränderte sich diese Situation nicht.

Die Nachahmung des Valencia-Abkommens

Am Dienstag Morgen machte die Partei Compromís, ein linkes Wahlbündnis aus Valencia, einen letzten Vorschlag: Die PSOE, Podemos, Izquierda Unida (IU) und die linken regionalen Wahlbündnisse sollten eine Regierung „valencianischer Art“ bilden. Das Dokument, das der Vorsitzende von Compromís, Joan Baldoví, auch dem König überreichte, basierte auf einem Abkommen, dass die PSOE, Podemos und Compromís in Valencia unterzeichnet hatten. Dabei handelt es sich um einen kuren Text mit 30 Programmpunkten, die Podemos in den Verhandlungen mit der PSOE zur Regierungsbildung vorgeschlagen hatte.

Kurz darauf folgten die Antworten. Der Vorsitzende von Ciudadanos, Albert Rivera, lehnte den Vorschlag ab und warnte Sánchez: Wolle er „mit sechs Parteien“ regieren, könnte er nicht mit Ciudadanos rechnen. Podemos, die offensichtlich hinter der Initiative standen, unterstützten demgegenüber den Vorschlag, Sánchez zum Ministerpräsidenten zu machen und Teil einer Regierung mit einem „Minimalprogramm“ zu sein.

Die PSOE sagte, dass sie 27 der 30 Forderungen unterstütze. Doch bei den letzten drei handelte es sich um wichtige Forderungen wie die der Plattform gegen Häuserräumungen (PAH), die Umstrukturierung der Schulden und die Rücknahme der Arbeitsmarktreform des Ex-Präsidenten Zapatero der PSOE. Wäre auch die Forderung nach einem Referendum in Katalonien Teil des Vorschlags gewesen, hätte die PSOE eine vierte Ablehnung aussprechen müssen.

Doch das war nicht der Hauptgrund für das Scheitern dieses gewagten Manövers, sondern die Frage der Regierungsbildung selbst. Die Anforderungen der PSOE, die sie durch ihren Sprecher Antonio Hernando mitteilte, waren hoch: Die unterzeichnenden Gruppen sollten nicht nur zwei Haushaltspläne mittragen, sondern auch eine Regierung unterstützen, die von der PSOE gemeinsam mit „unabhängigen Personen“ gebildet werden sollte. Dieser Vorschlag roch zu sehr nach Technokratie, aber vor allem schloss er auch Podemos aus.

„Es ist eine Beleidigung, dass die PSOE mit 90 Abgeordneten alleine regieren will“, sagte Mónica Oltra, Sprecherin von Compromís. Pablo Iglesias legte nach seinem Treffen mit dem König noch eins drauf: „Dieser Vorschlag ist genau das, was wir seit Monaten gefordert haben. Es hätte uns gefallen, wenn er umgesetzt worden wäre, doch leider hat die PSOE mit Nein geantwortet.“

Der Rest dieses Dienstag Nachmittags verging mit Anschuldigungen und Antworten und endete in der erwähnten Erklärung von Felipe VI. Diese Debatte war zu erwarten, schließlich geht es darum, wer von der Öffentlichkeit als Verantwortliche*r für die Neuwahlen wahrgenommen wird.

Keine Neuigkeiten in der „zweiten Runde“ zu erwarten

Es deutet alles darauf hin, dass am 26. Juni Neuwahlen stattfinden werden, doch man kann nichts Neues von dieser „zweiten Runde“ erwarten. Die konservative PP hat eine zweite Chance bekommen, obwohl sie einen Korruptionsskandal nach dem nächsten überstehen musste. Auch wenn sie sich in einer großen Krise befindet, hofft die PP-Führung um Ex-Ministerpräsident Mariano Rajoy, dass bei neuen Wahlen auch die Möglichkeit einer „großen Koalition“ erneut diskutiert werden kann. Eine unwahrscheinliche Variante, die zudem ein Ende von Rajoys Karriere bedeuten würde und die Zuspitzung der Spannungen innerhalb der PSOE zur Folge hätte. Nichtsdestotrotz ist sie die von der herrschenden Klasse bevorzugte Variante.

Ciudadanos startet den Wahlkampf in besseren Bedingungen, als sie nach der Wahlniederlage Ende Dezember erwartet hatten. Sie konnte sich als vielseitige neurechte Formation beweisen, die sowohl mit der PP (wie in Madrid) zusammenarbeiten kann als auch mit der PSOE (um an die Regierung zu kommen). Doch ihr Pakt mit den Sozialdemokrat*innen und die allgemeine Instabilität könnten auch dazu führen, dass sich die rechten Stimmen auf die PP konzentrieren. Auch ihre Beteiligung an illegalen Finanzgeschäften und den Panama Papers könnte Einfluss auf die Performance von Ciudadanos haben.

In der PSOE fordert die Mehrheit der Parteiführung den Rücktritt von Sánchez. Das war zwar schon vor den Wahlen so, doch in der Zwischenzeit scheiterten die Verhandlungen mit Podemos (trotz der großen Zugeständnisse der jungen Partei) und er verlor zwei Abstimmungen im Parlament zur Regierungsbildung. Doch trotz dieser Spannungen in den eigenen Reihen kann Sánchez darauf setzen, dass der neue Deal zwischen Podemos und IU, die gemeinsam zu neuen Wahlen antreten werden, die konservativen Wähler*innen von Podemos (die nicht wenige sind) wieder zur PSOE zurückbringen kann.

Das einzig wirklich Neue ist eben dieses Wahlabkommen zwischen Podemos und IU, von dem noch keine Details bekannt geworden sind. Es gibt zahlreiche Gründe für diese „Zweckehe“. Podemos verlor in den letzten Umfragen und IU, die dazugewinnen konnten, sind ohne Podemos keine Wahlalternative und haben zu viele Schulden, um noch einmal nicht an die Subventionen des Kongresses heranzukommen.

Eine gemeinsame Kandidatur von Podemos und IU wird wahrscheinlich die Hoffnungen von vielen Arbeiter*innen und Jugendlichen erwecken, die ernsthaft einen linken Ausweg suchen. Sie könnte sogar die schmerzlichen Erfahrungen der Verhandlungen der vergangenen Monaten kurzzeitig vergessen machen.

Doch dieses mögliche Abkommen basiert auf dem Fehlen jeglicher programmatischen Debatte, da es keine grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Parteien gibt, und der Verteidigung einer graduellen Strategie, die der PSOE die Hand reicht, um gemeinsam eine „Regierung des Fortschritts“ zu bilden.

Iglesias hat immer wieder betont, dass seine Partei der Sozialdemokratie nach den Wahlen die „Hand ausstrecken“ wird, und Garzón rief die PSOE am Dienstag dazu auf, nach links zu schauen.

Diese mögliche Front, die von vielen als linke Alternative dargestellt wird, soll bessere Bedingungen dafür herstellen, dasselbe zu erreichen: eine Regierung mit der sozial-liberalen PSOE. Also mit einer Partei, die harte Kürzungen und neoliberale Sparmaßnahmen gegen die arbeitende Bevölkerung durchführte, die eine der Stützen des politischen Regimes seit 1978 und Vertreterin der korrupten „politischen Kaste“ ist.

Die neoreformistische Strategie von Podemos und IU und ihr Vorschlag einer „Regierung des Wandels“ mit der PSOE soll eine bürgerliche politische Erneuerung des verkommenen Regimes von 1978 erreichen. Sie schüren Hoffnungen darin, dass Veränderungen mit dieser sozial-liberalen Partei erreicht werden können. Diese Strategie wiederholt die alte Entwicklung der Sozialdemokratie, die als einzige Alternative zu den Konservativen dargestellt wird. Eine Bestätigung des „Niedergangs der Illusionen“, die mit der „Empörtenbewegung“ aufkamen.

Angesichts dieses Niedergangs des Neoreformismus wird es immer wichtiger, dass eine neue antikapitalistische und revolutionäre Alternative entsteht. Glücklicherweise entstehen neue Intiativen wie No hay tiempo que perder , die unter anderem von Clase contra Clase und Izquierda Diario angestoßen wird, und beginnen, Menschen um ein antikapitalistisches und klassenkämpferisches Programm zu gruppieren.

Dieser Artikel erschien zuerst am 26. April bei IzquierdaDiario.es.

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