Eine neue antikapitalistische, klassenkämpferische Front im Spanischen Staat

07.04.2016, Lesezeit 9 Min.
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Mehr als 120 Personen kamen am vergangenen Samstag in Madrid zum zweiten landesweiten Treffen des Bündnisses „No Hay Tiempo Que Perder“ („Es gibt keine Zeit zu verlieren“, NHTQP). Ein weiterer Schritt hin zum Aufbau einer antikapitalistischen, klassenkämpferischen Front.

In einem Madrider Theatersaal sind Mitglieder verschiedener linker Organisationen wie Clase contra Clase (Schwesterorganisation von RIO im Spanischen Staat), IZAR, Acción Anticapitalista oder die Grupo de Comunistas Internacionalistas zusammengekommen, genauso wie kritische Aktivist*innen von Podemos und Izquierda Unida. Beim ersten Treffen Ende November in Málaga wurde das Ziel formuliert, zum Aufbau einer neuen antikapitalistischen und klassenkämpferischen Front voranzuschreiten, um eine Alternative zu den neoreformistischen Varianten von Podemos und Izquierda Unida zu schaffen.

Aus diesem ersten Treffen entstand der Aufruf zu einem zweiten Treffen in Madrid und eine Kommission, die einen Programmvorschlag erarbeiten sollte. Das Projekt wurde in verschiedenen Städten des Spanischen Staates (Almería, Barcelona, Burgos, Granada, Madrid, Málaga, Sevilla, Vigo und Zaragoza) vorgestellt. Daran nahmen mehr als 200 Menschen teil, um dieses zweite Treffen vorzubereiten, welches ein Schlüsselereignis im Aufbau dieser neuen antikapitalistischen Alternative sein sollte.

Den Auftakt zum zweiten Treffen in Madrid machten die Antirepressions-Aktivistin Lucia Nistal und die Feministin Yolanda Lusa. Als Vertreterinnen des Bündnisses „No Hay Tiempo Que Perder“ (NHTQP) stellten sie den Ablauf des Treffens vor und begrüßten die mehr als 120 Anwesenden, die aus Andalusien, Aragón, Katalonien, Galizien, Castilla y León, Valencia und Madrid angereist waren.

Das Podium des Treffens setzte sich aus Vertreter*innen der unterschiedlichen Orte zusammen: Yolanda Lusa aus Madrid; Santiago Lupe aus Barcelona; Antea Izquierdo aus Burgos; Ángel Carrique aus Sevilla; Sara Povo aus Zaragoza y Javier Castillo aus Granada. Die sechs Vertreter*innen koordinierten die Debatten über das Programm, die Organisation und die politischen Resolutionen dieses mehr als zehnstündigen Treffens, welches auch im Internet gestreamt und von Dutzenden Menschen aus verschiedenen Orten verfolgt wurde.

Ein antikapitalistisches Programm für einen Ausweg der Arbeiter*innen aus der Krise

Der erste Tagesordnungspunkt war die Vorstellung des Programmentwurfs durch drei Vertreter*innen der Redaktionskommission. Sie eröffneten eine erste Debatte über die politische Situation und die Dynamik des Aufbaus der Initiative in den Monaten vor dem Madrider Treffen. Die Diskussion über den Entwurf wurde begleitet von der Vorstellung von mehr als 50 Änderungsanträgen verschiedener Aktivist*innen aus dem gesamten Staatsgebiet. Sie wurden eine nach dem anderen in einer intensiven Debatte präsentiert.

Die Änderungsanträge organisierten sich nach den acht Abschnitten des Dokuments sowie nach einem besonderen Block über Anträge in Bezug auf die Geschlechterfrage – ein zentraler Aspekt, der gemeinsam mit der Debatte über demokratische Forderungen und die Nutzung der Forderung nach einer „Verfassungsgebenden Versammlung“ im Rahmen eines antikapitalistischen Programms zu den zwei intensivsten Punkten der Diskussion gehörte.

Die Debatte gipfelte in der endgültigen Abstimmung zum politisch-programmatischen Dokument der Initiative. Ein Programm, welches in seinen verschiedenen Abschnitten sowohl eine Charakterisierung der kapitalistischen Krise und des Regimes von 1978 enthält, als auch eine Bilanz der reformistischen Linken (Podemos und Izquierda Unida) seit der 15M-Bewegung bis zu den Parlamentswahlen im Dezember. Das Programm vereinigt ein System von Forderungen für einen „Ausweg der Arbeiter*innen und der Massen aus der Krise des Kapitalismus und des politischen Regimes“, mit Hilfe einer “Strategie, die auf der sozialen Mobilisierung mit der Arbeiter*innenklasse an der Spitze beruht.“ Auf der Grundlage dieses Programms nimmt sich die Initiative vor, eine neue politische Front aufzubauen, die antikapitalistisch, antipatriarchal, internationalistisch und klassenkämpferisch ist.

Ein großer Schritt nach vorn zu einer antikapitalistischen und klassenkämpferischen Front im gesamten Spanischen Staat

Das Treffen ging weiter mit der Debatte über die organisatorische Resolution, welche gemeinsam von Clase contra Clase und IZAR, den beiden wichtigsten veranstaltenden Organisationen, vorgestellt wurde. Die einstimmig angenommene Resolution resümiert, dass NHTQP in sehr kurzer Zeit wichtige Schritte getan hat, “wo unterschiedliche antikapitalistische und revolutionäre Organisationen verschiedener Orte im Staatsgebiet gemeinsam mit unabhängigen Aktivist*innen zusammengekommen sind.“

Das ist die Grundlage, so die Resolution,

„um durch eine gemeinsame Erfahrung und die Überprüfung des Programms und der erreichten politischen Übereinstimmungen durch die tägliche Praxis voranzuschreiten.“Deshalb geht NHTQP“einen Schritt weiter und strukturiert sich territorial, um eine gemeinsame Praxis im Klassenkampf und der politischen Intervention der teilnehmenden Organisationen und unabhängigen Aktivist*innen zu entwickeln. Dazu werden wir NHTQP-Komitees anstoßen, um zum Aufbau einer antikapitalistischen und klassenkämpferischen Front voranzuschreiten, die zu einer politischen Alternative zum Reformismus und der Krise des Regimes von ’78 werden kann.“

Mit diesem Ziel beschloss das Treffen einen Aufruf zu einem dritten landesweiten Gründungstreffen im Oktober, wo auch der Name der Front beschlossen werden wird. Als Teil der organisatorischen Resolution wurde festgelegt, ein provisorisches System der territorialen Organisierung zu etablieren, mit einer föderativ gewählten landesweiten Koordinierung sowie einem internen und öffentlichen Kommunikationssystem.

Politische Resolutionen

Zum Ende des Treffens, welches mehr als zehn Stunden dauerte, wurden eine Reihe von politischen Resolutionen und Kampagnen sowie Interventionen in den Klassenkampf besprochen, die die junge Organisation sich von jetzt an vornimmt.

Darunter fällt die Resolution über die „Intervention in den Klassenkampf“, die vorschlägt, dass

“NHTQP sich in ein starkes Werkzeug zur Intervention in den Klassenkampf verwandeln muss. Eine Front, um unsere Aktivitäten in der Arbeiter*innenbewegung und der Jugend zu koordinieren, mit einer eigenen Aktivität und Kapazität, praktische Antworten auf die Aufgaben zu geben, die wir Antikapitalist*innen und Revolutionär*innen in dieser Periode vor uns haben.“

Zu diesem Zweck schlägt die Resolution eine Reihe von konkreten Zielen und Aufgaben vor, darunter die Verbreitung des NHTQP-Programms unter Arbeiter*innen, Frauen und der Jugend, im Kampf mit den reformistischen politischen und gewerkschaftlichen Führungen. Es wurde auch eine gemeinsame Intervention “bei großen Mobilisierungen und bei sektoralen Kämpfen in der Arbeitswelt, der Studierendenbewegung, der feministischen Bewegung etc.“ beschlossen, wie beispielsweise am 1. Mai oder den „Märschen für die Würde“ am kommenden 28. Mai.

Um die Debatte zu vertiefen, wurde die Organisierung von „offenen Tagen der politischen Debatte“ in Madrid beschlossen, “um an einem Wochenende über die aktuelle politische und soziale Situation, die Wirtschaft, die internationale Politik sowie über theoretische und strategische Debatten zu diskutieren, die uns antikapitalistische Revolutionär*innen in der heutigen Zeit betreffen.“

Eine weitere bedeutende Resolution des Treffens handelte von „möglichen Neuwahlen“, in deren Fall NHTQP “die konkreten Möglichkeiten erkunden soll, eine einheitliche antikapitalistische und klassenkämpferische Kandidatur auf der Basis des beim zweiten landesweiten Treffen beschlossenen Programms voranzutreiben.“ Dazu sollen alle Sektoren angesprochen werden, die die gleiche politische Perspektive vertreten.

Die Geschlechterfrage, die in den Programmdiskussionen sehr präsent war, drückte sich auch als politische Resolution aus: Zwei Aktivistinnen der Frauenorganisation Pan y Rosas präsentierten einen Aufruf zum „Aufbau einer großen antipatriarchalen und antikapitalistischen Frauenbewegung“, die es erlaubt, die „Organisierung, Mobilisierung und den Kampf der Frauen mit der Perspektive des Sturzes dieses Systems der Ausbeutung voranzutreiben und die Grundlage für die vollständige Emanzipation der Frauen zu legen.“

Schließlich nahm das Treffen zwei wichtige internationalistische Resolutionen an. Einerseits eine „große internationalistische Kampagne gegen Krieg, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“, ausgehend von der Ablehnung des EU-Türkei-Paktes zur Abschiebung von Geflüchteten und Immigrant*innen, den die Resolution als „fremdenfeindlich, rassistisch und verbrecherisch“ verurteilt. Die Resolution fordert volle Rechte für Immigrant*innen und Geflüchtete, die Schließung der Registrierungszentren, die Abschaffung der Grenzbeschränkungen und die völlige Bewegungsfreiheit für alle Menschen. Gleichzeitig verurteilt sie die imperialistische Einmischung in Afrika und im Nahen Osten und lehnt „die reaktionären Methoden des IS“ genauso ab wie „alle Versuche, die Attentate zu instrumentalisieren, um die Repressivmaßnahmen und die Einschränkung demokratischer Freiheiten zu verschärfen.“

Außerdem erklärte das Treffen seine „Solidarität mit den Völkern im Kampf um ihre Souveränität“, besonders im Bezug auf das saharauische Volk, “welches seit 40 Jahren für eine Lösung auf der Grundlage der Selbstbestimmung und der Unabhängigkeit der Westsahara kämpft“, sowie im Bezug auf Palästina, welches vom Staat Israel unterdrückt wird.

Es gibt keine Zeit zu verlieren

Der intensive Tag politischer Debatten endete damit, dass alle Anwesenden die internationale Hymne der Arbeiter*innenklasse sangen, die Internationale. Die mehr als 120 Menschen, die am zweiten landesweiten Treffen von NHTQP teilnahmen, verabschiedeten sich mit dem lebhaften Gefühl, dass „wir aufgehört haben, Zeit zu verlieren“, wie ein Teilnehmer sagte, und dass die Anstrengung es wert war, um die Grundlage für den Aufbau einer großen antikapitalistischen Front der Arbeiter*innen im Spanischen Staat zu setzen.

Dieser Artikel bei IzquierdaDiario.es

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