Nach der Wahl – AfD überall?

13.09.2017, Lesezeit 6 Min.
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Am 24. September wird mit der AfD zum ersten Mal seit den 1950er Jahren eine Partei rechts der Union in den Bundestag einziehen. In den Talkshows und selbst im TV-Duell Merkel-Schulz ist sie bereits angekommen. Mit den neuen Geldern wird sich auch stärker in das tägliche Leben der Stadtviertel und Universitäten eindringen.

„Deutschland schafft sich ab“ schaffte es 2010 in sämtliche Buchhandlungen und TV-Runden. Das kontrovers diskutierte Machwerk von Thilo Sarrazin gab der bis dahin zersplitterten radikalen Rechten neuen Mut. Der Weg begann von den Stammtischen, Kommentarspalten und rechtsradikalen Blogs in die organisierte Politik. 2013 formierte sich allmähliche die AfD mit Konrad Adam, Bernd Lucke, Alexander Gauland und weiteren. Befeuert von einer chauvinistischen Hetze gegen „faule Griechen“ und einer Ablehnung der Euro-Politik Merkels, gelang es der jungen Partei schnell, verärgerte Kleinbürger*innen um sich zu scharen. Damals verfehlte sie mit 4,7 Prozent noch knapp den Einzug in den Bundestag.

Aber die zentralen Richtungsentscheidungen, die den weiteren Aufstieg ebnen sollten, standen noch aus. Schnell wurde die Partei zum Sammelbecken von radikalen Rechten. Die islamfeindliche Kleinstpartei „Die Freiheit“ trat fast geschlossen zur AfD über. Bernd Lucke, der die rechtspopulistischen Töne selbst genährt und um Thilo Sarrazin geworben hatte, wurde überrumpelt. Ihm schwebte eigentlich eine rechtskonservative, marktradikale Partei vor. Durch den wachsenden Einfluss offen islamfeindlicher Positionen, sah sich der Lucke-Flügel beim Essener Parteitag im Juli 2015 aus der Partei gedrängt.

Der Weg hin zu einer Partei, die offen gegen Migrant*innen, Muslime*a und Geflüchtete hetzt, war schon in der Geburtsstunde mit dem geistigen Vater Thilo Sarrazin angelegt. Ihre zweite Geburt mit der Konsolidierung der rechtsradikalen Positionen erlebte die AfD durch den Aufstieg von Pegida im Winter 2014/15 sowie durch die Ankunft von Hunderttausenden Geflüchteten im Sommer 2015.

AfD schwimmt im Rechtsruck

Wahrend Pegida zumindest in Dresden einen Masseneinfluss hatte, war die Bewegung gesamtgesellschaftlich doch noch isoliert. In den Monaten darauf gelang es der AfD, die Unruhe der Pegida-Anhänger*innen aufzunehmen und ihr einen organisierten Ausdruck in Talkshows, Veranstaltungen und Wahlen zu geben.

Mit ihren Positionen ist sie mittlerweile in der breiten Öffentlichkeit angelangt. Während es vor zwei Jahren noch große Proteste gegen Pegida gab, die Zehntausende mobilisieren konnte, fällt die jetzige Ablehnung gegen die AfD deutlich passiver aus. Im aktuellen Bundestagswahlkampf wird die AfD häufig lächerlich dargestellt, indem zum Beispiel auf die verbalen Verfehlungen und Widersprüchlichkeiten von AfD-Politiker*innen hingewiesen wird. Aber eine aktive Politik auf der Straße, etwa gegen Wahlkampfauftritte, ist kaum zu beobachten.

Gewiss ist die AfD auf der Straße aktuell weniger präsent und gewalttätig als Pegida, was die fehlenden Gegenproteste ein Stück weit erklärt. Doch gibt es in der inhaltlichen Ausrichtungen viele Überschneidungen: Gegen Linke, Geflüchtete und „Islamisierung“. Dass es dagegen keine großen Proteste gibt, hat viel mit dem allgemeinen Rechtsruck der politischen Landschaft zu tun. Während in der Öffentlichkeit von der Euro-Krise mittlerweile kaum noch die Rede ist, vergeht kein Tag, ohne neue Hetze gegen Geflüchtete auf den Titelseiten von Springer und Co. Als beim TV-Duell zwischen Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) der SAT.1-Vertreter Claus Strunz unwidersprochen fragen konnte „Wann sind die weg?“ (bezogen auf Geflüchtete ohne Aufenthaltserlaubnis), merkten die Zuschauer*innen: Die AfD sitzt mit in der Diskussion.

Pakte zwischen Union und AfD?

Mit den fortdauernden Abschiebungen, immer neuen Repressalien gegen Geflüchtete und der verstärkten inneren Militarisierung hat die Bundesregierung mittlerweile viele der Forderungen der AfD erfüllt. In der Zeit der Passivität der Arbeiter*innen und Linken, haben sich sämtliche Parteien weiter rechts aufgestellt als bei der Bundestagswahl vor vier Jahren. Den rechten Druck von AfD und Pegida hat die Große Koalition erfolgreich genutzt, um ihre eigene Agenda durchzusetzen. Mit der rassistischen Spaltung, die Arbeiter*innen paralysiert und Unterdrückte isoliert, kann sie neue Angriffe auf soziale Standards vorbereiten und das deutsche Kapital nach Außen stärken.

Die Union gibt vor, eine Regierungsbeteiligung wegen den zu rechten Positionen der AfD abzulehnen. Dabei haben sie bei vielen Themen eine ähnliche Haltung. In Sachsen-Anhalt hat die CDU erst kürzlich gemeinsam mit der AfD eine Enquette-Kommission zum Thema „Linksextremismus“ beschlossen. Es ist durchaus zu erwarten, dass Union und AfD zumindest auf Landesebene häufiger gemeinsam stimmen werden. Aber auch im Bund wird die AfD mit dem Einzug ins Parlament neue Legitimität gewinnen. Die Berührungsängste der CDU liegen nicht auf der Ebene der zu schrillen Töne oder zu radikaler rechter Forderung aus AfD-Reihen.

Tatsächlich liegt insbesondere in der Außenpolitik aktuell noch eine große Schranke der AfD auf dem Weg zu einer Regierungsbeteiligung. Mit ihrer kleinbürgerlichen Basis steht sie für einen nationalistischen und protektionistischen Wirtschaftskurs und für eine Annäherung an Russland. Während die GroKo als Vertreter*in des Großkapitals für die Unterjochung Europas unter deutscher Vorherrschaft steht, sehen die Professor*innen, kleinen Ladenbesitzer*innen und Wutbürger*innen nicht sonderlich viel von den deutschen Außenhandelsüberschüssen. Um Koalitionsaussichten zu erhalten, müsste die AfD auf die Wünsche des Großkapitals in der internationalen Konkurrenz eingehen. Dass sich das deutsche Kapital stärker an Putin und Protektionismus orientiert, ist aktuell nicht zu erwarten. Damit bliebe die AfD vorerst eine rechte Opposition gegen Merkel, die aber viele ihrer undemokratischen und rassistischen Vorstellungen erfüllt bekommt.

AfD wird zum Alltag

Die AfD und ihre Themen sind schon jetzt überall. Der Einzug in den Bundestag wird ihr zusätzlich die Legitimität des demokratischen Mantels bescheren und starke materielle Möglichkeiten bieten. Sie wird in vielen Städten neue Parteibüros und Lokale eröffnen können, eine Stiftung gründen können, die Stipendien an Studierende verteilt und ihre Medienarbeit weiter ausbauen und professionalisieren können. Wenn sie stärkste Oppositionspartei im Bundestag wird, kann sie in Debatten als erste Fraktion nach der Regierung sprechen und eine starke Position in den Ausschüssen einnehmen. Die Präsenz der AfD auf den Straßen, in den Medien und Gremien dürfte in den kommenden vier Jahren zur Normalität werden.

Doch mit ihrer rassistischen, LGBTI*- und frauenfeindlichen Politik, wird sie auch immer wieder den Zorn von Jugendlichen, Arbeiter*innen und Unterdrückten auf sich ziehen. Während die etablierten Parteien ihre Hemmungen gegenüber der AfD allmählich verlieren und sie als normalen Gesprächspartnerin akzeptieren, wird der Widerstand gegen ihre Präsenz auf der Straße, an den Unis und in den Vierteln eine größere Notwendigkeit.

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