Nach dem Waffenstillstand

17.11.2014, Lesezeit 5 Min.
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// Die politischen AkteurInnen sichern sich ihre Stellungen nach dem Ukraine-Krieg. //

Am 5. September unterzeichneten die VerhandlungsführerInnen der ukrainischen Regierung, Russ­lands, der OSZE und der RebellInnen aus Donezk und Lugansk einen Waffenstillstand für die Ostu­kraine. Auch wenn es vereinzelt immer wieder Gefechte gibt, so ist die große militärische Konfron­tation vorerst beendet. Die Bilanz des Krieges: mehr als 3.000 Tote und circa 600.000 Geflüchtete.

Die Aufmerksamkeit der politischen AkteurInnen in der Ukraine lag in letzter Zeit auf der Vorbereitungen für die Parlamentswahlen am 26. Oktober. Wie zu erwarten war, hat sich die Partei des Oligarchen und amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko, der „Block Petro Poroschenko“, als stärkste Kraft durchgesetzt.

Russisches Militär

Nachdem die Volksrepubliken Donezk und Lugansk militärisch zwischen Juni und August immer weiter in die Defensive gerieten, konnten sie mit dem aktiven Eingreifen des russischen Militärs Ende August eine Offensive starten, die den ukrainischen Kräften herbe Verluste zufügte, zu Um­zingelungen führte und Nachschubwege abschnitt. Somit war es den ukrainischen Truppen nicht möglich die militärische Kontrolle über Donezk und Lugansk zu gewinnen.

Angesichts der militärischen Lage ist die ukrainische Regierung mit dem Waffen­stillstand gut be­dient. Keine einzige Hauptforderung der russischen Seite wurde erfüllt, weder der Abzug ukraini­scher Truppen aus dem Donbass, noch die Anerkennung der Volksrepubliken, die im Abkommen nicht einmal als solche erwähnt wurden. Der Waffenstillstand ist ein Versuch der ukrainischen Re­gierung, ihre Truppen neu zu sortieren und sich mit politischen Mitteln Vorteile zu verschaffen. Poroschenko brauchte zudem eine Stabilisierung der Lage, um seine Macht in den Parlamentswahlen zu festigen. Der Donbass dürfte nun auf absehbare Zeit verloren sein, was den Druck von rechts auf Poroschenko erhöht.

Auch wenn die Volksrepubliken weiterhin formal Teil der Ukraine sind, so ist Poroschenko doch bereit ihr weitgehende Autonomie zu gestatten, da er ohnehin keinen Einfluss mehr auf sie hat. Un­ter den RebellInnen steht auch das russisch-nationalistische Projekt einer Abspaltung unter dem Namen „Neurussland“ in hohem Kurs. Eine Angliederung des Donbass an Russland ist aber aufgrund der hohen wirtschaftlichen und politischen Kosten für den Kreml ausgeschlossen.

Der Waffenstillstand schafft auch für die RebellInnen Möglichkeiten für eine politische Lösung. Dies ist für sie entscheidend, da Putin niemals eine Ausweitung der Offensive plante, die für Russland militärisch und politisch mit hohen Risiken behaftet gewesen wäre. Mit der Einigung konnte Russ­land weiteren Sanktionen der EU vorbeugen und hat mit der Kontrolle über den Donbass sein wich­tigstes Ziel erreicht: einen NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern. Putin will eine „neutrale“ Ukrai­ne, die er allerdings durch Handelsbeziehungen, insbesondere durch Gaslieferungen in Ab­hängigkeit halten möchte.

Deutsche Interessen

Trotz des Konflikts ist es durchaus wahrscheinlich, dass das EU-Assoziierungsabkommen zustande kommen wird. In dieser Hinsicht konnte Deutschland einen Erfolg verbuchen. In der heißen Phase des Konflikts war es noch getrieben von den USA. Durch die militärische Eskalation hatte Deutsch­land seine eigenständige Position aufgeben müssen, die auf einem Ausgleich mit Russland bedacht war. Die moderierende Haltung hätte bedeutet, sich gegen die USA zu stellen, die mit einer aggres­siven Linie sowohl Russland isolieren, als auch Deutschland auf seinen Platz verweisen wollten. Es zeigte sich, dass Deutschland tatsächlich nicht aus dem Schatten der USA treten konnte und so trug es immer neue Sanktionen gegen Russland auf Druck der USA hin mit.

Mittlerweile hat sich der militärische Konflikt allerdings gelegt und der deutsche Spielraum für eine von den USA unabhängige Politik dürfte wieder steigen. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine war von Deutschland ohnehin noch nie gewollt und konnte mit dem Krieg – allerdings auf Kosten der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu Russland – abgewendet werden.

Die Parlamentswahlen erlauben nun eine bessere Einschätzung der Kräfteverhältnisse nach dem Krieg. Die pro-westlichen Parteien haben die überwiegende Mehrheit der Stimmen gewonnen, wenngleich die Wahlbeteiligung relativ niedrig ausfiel. Die Partei von Petro Poroschenko, die eine Annäherung an die EU vollzie- hen möchte ist gleichauf mit der „Volksfront“ des Vor- sitzenden und amtierenden Ministerpräsidenten Arsenji Jazenjuk der als Kandidat der USA gilt die stärkste Kraft.Die pro-westlichen Parteien werden voraussichtlich eine gemeinsame Regierungskoalition bilden, wodurch die Ämter von Präsi­dent und Ministerpräsident weiterhin an Poroschenko und Jazenjuk gehen dürften.

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