Nach dem Terror von Paris

11.02.2015, Lesezeit 5 Min.
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// FRANKREICH: Die europäischen Bourgeoisien mobilisieren zu einer nationalen Einheit.Sie nutzen die Terroranschläge, um antidemokratische Maßnahmen voranzutreiben. //

Je suis Charlie – nach den Anschlägen auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo und auf einen jüdischen Supermarkt am 7. und 9. Januar eint dieses Motto nahezu das gesamte Frankreich. Am anschließenden Sonntag gedachten über eine Million Menschen auf einem „republikanischen Marsch“ in Paris den 17 Todesopfern. Mit dabei: Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt, darunter Präsident François Hollande, Angela Merkel und VertreterInnen der EU.

Von führenden Medien und Politiker­Innen ist in diesen Tagen immer wieder zu vernehmen, die Anschläge seien ein Angriff auf die westlichen Grundwerte von Freiheit und Demokratie. Unter Führung der internationalen Bourgeoisien versammeln sich christliche, muslimische und jüdische Glaubensgemeinschaften, rechte wie linke Parteien, unter anderem die eurokommunistische Front de Gauche, sowie Gewerkschaften und Verbände. Die linksradikale Nouveau Parti Anticapitaliste beteiligt sich hingegen nicht; der rechtsextreme Front National wird von der Großdemonstration ausgeschlossen.

Mit der Demo will die Bourgeoisie ein Zeichen setzen: Frankreich lässt sich von islamistischen TerroristInnen nicht spalten. Unter Bezugnahme auf die Demokratie stellen sie eine nationale Einheit her, mit dem sonst so ungeliebten Präsidenten Hollande an der Spitze. Auf diese Weise versucht die französische Bourgeoisie, das Vertrauen in ihre Institutionen wiederherzustellen.

Produkt des Imperialismus

Was sie nicht sagt: Frankreich ist sehr wohl gespalten. Die viel beschworene Demokratie drückt sich für Geflüchtete in Schikane und Abschiebungen aus. Migrantische Jugendliche sind täglich dem gesellschaftlichen wie staatlichen Rassismus ausgesetzt. Die Arbeitenden sehen sich durch Arbeitslosigkeit und Angriffe auf ihre Lebensbedingungen bedroht. Diese sozialen Widersprüche versucht die Regierung mit der nationalen Einheit zu kaschieren. Auf diesem Boden kann der Terrorismus überhaupt erst gedeihen.

Die Unterdrückung nach innen findet ihr außenpolitisches Äquivalent im französischen Imperialismus. Zur großen Gedenkdemo in Paris kamen nicht umsonst auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Präsidenten ehemaliger französischer Kolonien wie Mali, Niger und Gabun sowie der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu, ein Symbol imperialistischer Politik im Nahen Osten.

Eben im Nahen Osten treibt der „Islamische Staat“ momentan sein Unwesen. Er ist aber selbst nicht vom Himmel gefallen, sondern das Produkt von über 100 Jahren imperialistischer Unterdrückung, mit den jüngsten Militärinterventionen in Syrien, dem Irak und Afghanistan.

Ausbau der Repression

Die demokratischen Grundwerte zu verteidigen, heißt für die Bourgeoisien Europas jetzt aber nicht nur Sonntagsmärsche abzuhalten, sondern insbesondere auch polizeistaatliche Maßnahmen zu treffen. In den Tagen nach dem ersten Anschlag waren in Frankreich 122.000 PolizistInnen und SoldatInnen mobilisiert worden, um die TäterInnen ausfindig zu machen und um im öffentlichen Raum Präsenz zu zeigen.

10.000 SoldatInnen sollen nun jederzeit für militärische Einsätze im Inland bereit stehen. 2.680 neue Stellen in Militär und Geheimdiensten sollen geschaffen werden. Und etwa 3.000 Personen sollen direkt staatlich überwacht werden, unter anderem mit Hilfe neuer Gesetze, die es Geheimdiensten erlauben, Computer auszuspähen und Wohnungen zu verwanzen.

Diese Maßnahmen richten sich nicht nur gegen IslamistInnen, sondern sind auch eine Vorsichtsmaßnahme der Bourgeoisie gegen soziale Unruhen. In den letzten Jahren hatte es in imperialistischen Zentren immer wieder Aufstände der an den Rand gedrängten Bevölkerungsteile gegeben. Dieses Jahr erlebten die USA in Ferguson Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt, 2011 ging durch England eine Serie von Plünderungen und 2005 lieferten sich in Frankreich Jugendliche aus den migrantisch geprägten Vororten wochenlange Straßenschlachten mit der Polizei. Auch kürzlich gab es wieder teils militante Jugendproteste in Frankreich, ausgelöst dadurch, dass der Umweltaktivist Rémi Fraisse durch eine Polizeigranate getötet wurde. Diese Unruhen hatten ihren Ursprung in Rassismus, Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und Staatsgewalt.

Auch in Deutschland

Prompt nach den Anschlägen in Paris erschallten auch in Deutschland wieder die reflexhaften Forderungen nach einem stärkeren Polizeistaat. Die Unionsparteien sowie die Innenminister von Bund und Ländern sind geschlossen für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Dies wird begleitet von Diskussionen zum Ausbau von Geheimdiensten und Polizeiapparat.

Nach den Anschlägen von Paris verzeichnete zudem Pegida weiteren Zulauf. Auch hier bildete das deutsche Regime eine nationale Einheit gegen Pegida, während es gleichzeitig die rassistische Stimmung nutzte, um die Abschiebepraxis in Sachsen und Bayern zu verschärfen. Für die geplante Pegida-Demonstration am 19. Januar reichte der Polizei eine anonyme Morddrohung gegen Organisator Lutz Bachmann auf einem arabischsprachigen Twitter-Profil, um alle Demonstrationen in Dresden zu verbieten. Hier zeigt die deutsche Bourgeoisie wieder einmal, wie wichtig ihr die sonst so stark betonte Demokratie tatsächlich ist.

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