Münster: Rettet das Paul-Gerhardt-Haus!

28.06.2023, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Oli Medina

In Münster demonstrierten am vergangenen Freitag Hunderte für den Erhalt eines sozialen Zentrums und gegen Stadtentwicklung im Dienste der Investor:innen.

Eine außergewöhnliche Demonstration fand am Freitag in Münster statt. Politische Redebeiträge und elektronische Musik wechselten sich auf einem Lastwagen ab und sorgten für eine heitere und ausgelassene Stimmung bei den Demonstrierenden. Hinter diesem vermeintlich fröhlichen Spektakel verbirgt sich jedoch ein ernstes Anliegen. Unter dem Motto „Für subkulturelles Leben“ versammelten sich etwa 600 Menschen unterschiedlicher Hintergründe zu einer Tanz-Demonstration. Ihr Ziel war es, die Missstände in der Münsteraner Stadtpolitik anzuprangern und klare Forderungen an die Stadtverwaltung zu stellen.

Initiativen wie das Hansa-Forum, die Initiative „Rettet das PG“ und verschiedene Party-Kollektive sind zunehmend frustriert über die Verdrängung und Einschränkung von Freiräumen im Zuge einer investor:innenfreundlichen Politik. Sie setzen sich für eine Stadtentwicklung ein, die auf den Bedürfnissen und Interessen der Menschen basiert, soziale Teilhabe ermöglicht, soziale Räume schützt und demokratische Mitbestimmung bei städtischen Entscheidungen gewährleistet.

Ein Beispiel für diese Entwicklung ist der geplante Abriss des Paul-Gerhardt-Hauses. Das Paul-Gerhardt-Haus ist seit über 40 Jahren ein wichtiger sozialer Treffpunkt für Jugendliche in der gesamten Stadt. Mit Angeboten wie Arbeit mit Geflüchteten, Hausaufgabenhilfe, Musik und Theater bietet es vielfältige Möglichkeiten der Begegnung und Unterstützung. Der Abriss würde den Verlust dieses sozialen Treffpunkts bedeuten und würde zu einer weiteren Einschränkung der Ressourcen und Möglichkeiten für junge Menschen führen, insbesondere für solche, die keine Lobby haben und Unterstützung benötigen.

Das PG-Haus ist im Besitz der evangelischen Kirche, die aufgrund stetig sinkender Mitgliederzahlen und schrumpfender Kirchensteuerbeiträge das Haus nicht länger finanzieren will. Es soll bereits 2024 abgerissen werden und dann nach 3 Jahren Neubauzeit, in der keine Alternativen für die Jugendlichen und Mitarbeiter:innen geplant sind, ersetzt werden durch einen „Bildungs- und Begegnungscampus“. Dieser soll in Zusammenarbeit mit der Franziskusstiftung finanziert werden. Diese Stiftung ist zugleich Trägerin eines kirchlichen Krankenhauses in Münster. Das ganze Projekt ist eine große Mogelpackung. Es wird zwar am Ende versprochen, ein neues, schönes Gebäude mit verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten, unter anderem eine Pflegeschule zu errichten, aber letztendlich läuft es auf die fast vollständige und ersatzlose Liquidierung des Jugendtreffs hinaus. Damit geht dann auch die Entlassung eines Großteils des Teams einher. Das Ganze ist nichts anderes als die Errichtung eines weiteren sehr kostspieligen Münsteraner Prestigeprojektes ohne Rücksicht auf die realen Bedürfnisse der Bevölkerung.

Die Mitarbeiter:innen selbst stehen vor dem Problem, dass sie wegen der restriktiven Arbeitsgesetzgebung bei kirchlichen Trägern z.B. nicht für ihre Interessen streiken dürfen, keinen Tarifvertrag haben und die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Organisierung sehr begrenzt sind. All dies erschwert nun den Widerstand gegen den geplanten Abriss. Umso wichtiger, dass Solidarität aus der Bevölkerung kommt. Die Initiative „Rettet das PG“ ruft zur Unterzeichnung einer Petition auf, welche zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels bereits 4368 Unterschriften hat.

Münster, ein El Dorado für das Immobilien-Kapital

Man könnte meinen, dass die Menschen, die in Münster leben, arbeiten und feiern, auch über die Entwicklung ihrer Stadt entscheiden können. Doch auch hier sollten wir einen kritischen Blick auf die Eigentumsverhältnisse in Münster werfen. Ein Großteil der Stadt gehört einer Clique einflussreicher Investor:innen mit engen Verbindungen zur CDU. Zu diesen gehören unter anderem Andreas Deilmann, der das Metropolis-Hochhaus, das Servatii-Hochhaus und weitere Immobilien und Hotels besitzt. Als sich die Gäste über den Lärm beschwerten, kaufte er kurzerhand alles drumherum auf und kündigte den bisherigen Mieter:innen.

Auch andere Investor:innen wie die Gebrüder Stroetmann sowie Unternehmen wie Pro Urban und die Landmarken AG prägen das Stadtbild mit ihren Bauprojekten. Denn in Münster lassen sich mit Immobilien hohe Profite erzielen. Mit dem erwirtschafteten Gewinn kaufen sie immer größere Teile der Stadt auf und gestalten sie nach ihren Wünschen und Interessen um. Leider sind dies in der Regel nicht die Interessen und Wünsche der Menschen, die dort wohnen.

Die Demonstration in Münster war nicht nur ein Appell für den Erhalt von Freiräumen und subkulturellem Leben, sondern auch ein Protest gegen eine Stadtentwicklung, die den Interessen der Investor:innen folgt und die Bedürfnisse der Menschen vernachlässigt. Der Einfluss dieser Investor:innen auf die Stadtplanung führt dazu, dass hochpreisiger Wohnraum entsteht, während bezahlbarer Wohnraum, soziale Räume und Grünflächen immer knapper werden.

Eine investor:innenenfreundliche Politik der Stadtverwaltung ist jedoch nicht alternativlos. Es ist an der Zeit, unsere Stadt zurückzufordern und sicherzustellen, dass die Planung und der Bau nach den Bedürfnissen aller erfolgen und nicht nach den Profitinteressen einiger weniger. Das wäre dann echte Demokratie.

Bei allem Lob an den Kernanliegen der Demonstration haben wir aber auch Kritik an der Veranstaltung. Die Form des Protests prägt auch seinen Inhalt. Wir glauben, dass eine kämpferische Demo mit lauten und klaren Slogans ein polarisierender Ort gewesen wäre, der den Ernst der Lage besser aufgegriffen hätte. Personen, die die Demonstration besuchten, empfanden es als bedauerlich, dass die Veranstaltung von außen eher wie eine Party wahrgenommen wurde und die Redebeiträge aufgrund der lauten Musik kaum zu verstehen waren.

Auch die Forderungen der Reden griffen unserer Meinung nach zu kurz. Der Schutz sozialer Räume und die demokratische Mitbestimmung in Wohnquartieren sind wichtige Anliegen, aber sie bleiben untrennbar mit der Frage nach Verdrängung, Gentrifizierung und der schädlichen Rolle privater Immobilienkonzerne verbunden. Es ist nicht nur erforderlich, dass die Stadt ihren Sparkurs in Bezug auf kulturelle, sportliche und Jugendeinrichtungen beendet und freien Zugang zu allen Arten von Kultureinrichtungen ermöglicht. Sondern es ist ebenso von zentraler Bedeutung, dass die Macht der Investor:innen in der Stadtplanung gebrochen wird. Dafür müssen ihre Immobilien enteignet und verstaatlicht werden. Demokratische Gremien, bestehend aus Bewohner:innen und denjenigen, die täglich in den Gebäuden arbeiten, könnten dann die Verwaltung übernehmen und sie anhand ihrer eigenen Bedürfnisse organisieren.

Dieser Schritt ist nicht einfach, da die großen Immobilienkonzerne über eine starke Lobby verfügen, aber es geht kein Weg an ihm vorbei. Das ist auch kein Problem, welches nur auf Münster begrenzt ist, es sieht in den meisten größeren Städten nicht viel anders aus. In Berlin zum Beispiel steigen die Mieten seit Jahren und es herrscht akuter Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Dagegen haben sich Menschen organisiert und den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co Enteignen“ zur Abstimmung gestellt. 59 Prozent der insgesamt 611.000 abgegebenen Stimmen sprachen sich für eine Enteignung aus. Doch die damalige Berliner Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) weigerte sich, den Volksentscheid durchzusetzen. Hier erleben wir deutlich, wie die Interessen einiger weniger mächtiger Konzerne über die Mehrheit der Bevölkerung überwiegen. Bevor wir also die Macht dieser Konzerne im Großen nicht gebrochen haben, ist jeder Sieg im Kleinen nur ein Tropfen auf den heißen Stein einer Gesellschaft, die nach den Interessen des Kapitals gestaltet wird und nicht nach unseren.

Widerstand organisieren

Das bedeutet aber nicht, dass lokale Kämpfe sinnlos wären, im Gegenteil. Jede Bewegung, die die Investor:innen und Immobilienkonzerne herausfordert und die Frage der Eigentumsordnung aufwirft, ist aus unserer Sicht sehr wichtig, denn hier lernen wir wichtige Lektionen für die bevorstehenden Kämpfe. Die Verstaatlichung des Paul-Gerhardt-Hauses unter der Kontrolle und Verwaltung der Einrichtung durch ein Komitee, bestehend aus Nutzer:innen und Mitgliedern des PG-Teams, könnte dieses wertvolle Jugendzentrum erhalten und es würde die Rechte der Mitarbeiter:innen stärken. Gewerkschaftliche Organisierung, Streikrecht und Tarifvertrag, wären dann möglich. Gleichzeitig könnte es als Beispiel dienen, wie wir als Gesellschaft in Zukunft unser Leben und Arbeiten organisieren wollen. Bei Bitten an die konservative Stadtverwaltung oder die kirchlichen Träger kann es nicht bleiben, sie müssen gezwungen werden, das Haus zu erhalten. Das kann nur durch genügend Druck von unten geschehen. Nach der richtigen Initiative, eine Demonstration zu organisieren und eine Petition zu starten, müssen nun weitere Schritte geplant werden. Diskutiert werden sollte auch eine mögliche Besetzung des PG-Hauses, um den Druck auf die Kirche als Eigner und die Stadt noch weiter zu erhöhen.

Die Demonstration hat gezeigt, dass es Ansätze des Widerstands gegen die aktuellen Entwicklungen in der Stadtpolitik gibt und dass viele Menschen bereit sind, sich für eine gerechtere und demokratischere Stadt einzusetzen. Obwohl ein Gesprächsangebot mit dem Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) gemacht wurde, wird dies allein nicht ausreichen, um die gewünschte Veränderung herbeizuführen. Jeder Kompromiss mit Lewe, der Rot-Grün-Violetten Ratskoalition oder der Kirche wäre stattdessen ein weiterer Schritt in Richtung der Umgestaltung unserer Stadt im Interesse der Investor:innen. Es ist an der Zeit, dass die Stimmen der Menschen in Münster gehört werden und eine Stadtentwicklung nach ihren Bedürfnissen und Interessen erfolgt, und nicht nach den Interessen einiger schwerreicher Investor:innen und Miethaie.

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