Münster: Polizeigewalt bei Pro-Palästina-Demonstration

09.11.2023, Lesezeit 9 Min.
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Bild: Oli Medina

Am vergangenen Samstag kam es gegen die Demonstration “Gemeinsam laut für Gaza” zu gewaltsamen Ausschreitungen durch die Polizei. Es wurden 4 Personen festgenommen, eine von ihnen landete im Krankenhaus. Insgesamt wurden 11 Strafanzeigen gestellt.

Es begann bereits ganz zu Beginn der Demonstration. Das Polizeiaufgebot hatte sich im Vergleich zur ersten Gaza-Demonstration vor zwei Wochen noch einmal erhöht, dieses Mal kamen die Beamten auch mit schweren Helmen. Kurz nachdem die Veranstaltung am Hauptbahnhof eröffnet worden war, umringten ein halbes Dutzend Polizist:innen bereits eine einzelne junge Demonstrantin, drängten sie vom Ort der Versammlung ab und sprachen ihr einen Platzverweis aus. Der Grund: sie führte ein Schild mit sich, auf welchem “ethnische Säuberung” zu lesen war. Auch anderen Teilnehmer:innen erging es so. Das Wort “Genozid” auf Schildern oder Transparenten zu verwenden, war verboten. Auch schienen sich die Beamten besonders für die Fahnen der Teilnehmer:innen zu interessieren. Die Fahne von “Waffen der Kritik” wurde beispielsweise von der Polizei genau in Augenschein genommen und fotografiert. Wahrscheinlich erwartete die Polizei verfassungsfeindliche Symbole oder Symbole jüngst verbotener Organisationen wie Samidoun.

Ausweitung der Parolenverbote

Der Demozug selbst verlief anschließend ohne weitere Störungen. Trotz strömenden Regens hatten sich bis zu 700 Teilnehmer:innen zusammengefunden, um ihre Kritik an der deutschen Unterstützung des hemmungs- und rücksichtslos geführten Krieges Israels gegen Gaza zu äußern. Die Polizei sprach von 400 Teilnehmenden, eine bewusste Untertreibung. Die Parole “Deutschland finanziert, Israel bombardiert” war dieses Mal offenbar nicht mehr verboten. Und das, obwohl auf der Demonstration vom 21. Oktober eine Person unter dem Vorwand festgenommen wurde, sie habe genau diese Parole gerufen. Die Polizei scheint also ihre eigenen Auflagen nicht richtig gekannt zu haben, oder hatte andere Gründe für die Verhaftung. Erneut verboten waren am 4. November jedoch wieder die Parolen “From the River to the Sea, Palestine will be free!” Dahinter vermuteten die Polizist:innen offenbar einen verklausulierten Aufruf zur Vernichtung aller Jüd:innen “vom Fluss bis ans Meer.” Da sich die Demonstration in all ihren Redebeiträgen sehr eindeutig vom Antisemitismus abgegrenzt hat und bereits im Vorfeld klar gemacht wurde, dass antisemitische Aussagen nicht erwünscht seien, erscheint diese Interpretation der Polizei sehr fragwürdig und zeugt von ihrer Ignoranz, das wahre Anliegen der Demonstrierenden zu begreifen, nämlich gleiche Rechte für alle Menschen, also auch für die jüdische Bevölkerung, “vom Fluss bis ans Meer” und das Recht der Palästinenser:innen auf gleiches Recht, Freiheit von Unterdrückung und nationale Selbstbestimmung zu fordern. Nur diejenigen, die an Aparheid, Vertreibung und Genozid am palästinensischen Volk festhalten wollen, können diese Parole als Bedrohung betrachten.

Ebenfalls verbot die Polizei die Parole “Kindermörder Israel”. Im Angesicht von bereits über 4000 getöteten Kindern im Gazastreifen in weniger als einem Monat, ist das Verbot dieser Parole geradezu grotesk. Man erinnere nur an die moralische Empörung über die Kidnappings ukrainischer Kinder durch die russische Armee im Februar 2022. Damals war Putin nicht nur höchstpersönlich Kindermörder, Kinderschänder usw., sondern Russland war zudem noch ein faschistischer Staat der einen Genozid an den Ukrainer:innen anrichte, so zumindest die ukrainische Regierung und die westlichen Leitmedien. Doch uns ist von damals kein Verbot bekannt, welches das Rufen “Kindermörder Russland” oder “Kindermörder Putin” auf Demonstrationen verboten hätte und das obwohl solche und andere viel schwerwiegendere Aussagen auf pro Ukraine Demonstrationen durchaus Gang und Gäbe waren.

Wieso besteht hier also ein Unterschied in der rechtlichen Bewertung? Offenbar betrachtete die Polizei Israel irgendwie als “kollektiven Gesamtjuden”, wie sonst ließe sich aus der Parole “Kindermörder Israel” Antisemitismus ableiten? Vielmehr ist eben jener Gedanke, der für die Staatsgewalt hier offenbar handlungsleitend war, im Kern eine antisemitische Gleichsetzung der jüdischen Bevölkerung mit dem Staat Israel. Egal wie populistisch die Kritik am Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen formuliert wird, sie ohne weiteren Kontext pauschal als Antisemitismus hinzustellen, kann demnach nur als Versuch bewertet werden, den Kern der Kritik selbst zu delegitimieren. Eine Strategie, die nicht funktionieren wird. Aller Welt ist das Ausmaß der Zerstörung und des Todes in Gaza bekannt. Die Wahrheit kann nicht verschwiegen werden, auch wenn das Schweigen mit dem Knüppel durchgesetzt wird.

Die Prügel-Polizist:innen griffen gemeinsam an

Als die Demonstration zu ihrer Endstation gelangt war und man mit abschließenden Redebeiträgen beginnen wollte, begann die Polizei sich gewaltsam Wege in die Menschenmenge zu bahnen und einzelne Demonstrant:innen gewaltsam festzunehmen. Eine Person, die die Ereignisse hautnah miterlebte berichtete uns darüber wie folgt:

Nachdem wir den Ludgerikreisel und die Ludgeristraße friedlich passierten und schließlich an der Stubengasse angekommen waren, stürmten mehrere Polizeikräfte mit Körpereinsatz auf die Demonstranten. Erneut zog man einzelne Personen, ohne jeglichen Grund, aus der Demonstration heraus. Offensichtlich wandte die Polizei racial profiling an. Leider mussten wir dabei auch extreme Polizeigewalt erfahren: einzelne Personen wurden zu Boden geworfen, andere gegen die Wand gedrückt. Infolgedessen erlitten sie blutige Kopfverletzungen und mussten ins Krankenhaus transportiert werden. Andere Demonstranten, die währenddessen drum herum standen, wurden von der Polizei weggeschubst, weggetreten und ins Gesicht geschlagen.

Diese Bilder der Polizeigewalt wurden in keiner Zeitung veröffentlicht. Passanten hingegen haben sie wahrgenommen. Uns ist sehr wohl bewusst, dass es sich bei der Polizeigewahrsam um eine politische Entscheidung gehandelt hat. Und uns ist ebenso bewusst, welches Bild die Polizei damit reproduzieren wollte, nämlich, dass arabische/ arabisch-aussehende Menschen kriminell sind.

Weil die bürgerlichen Medien lediglich die Meldung der Polizei abdruckten und das Ausmaß der Gewalt nicht zeigten, erachten wir es als unsere Pflicht, dies selbst zu tun.

Ihre Repression ist ohnmächtig

Trotz der brutalen Gewalt und der Hetze, mit der die beiden Demonstrationen in Münster überzogen wurden, zeigen sie, wie schwach das herrschende Narrativ des Deutschen Staates mittlerweile geworden ist. Die Zahl der Menschen, die sich in ganz Deutschland und weltweit für das Leben und die Würde des palästinensischen Volkes einsetzen, wächst täglich und der Spalt zwischen der offiziellen Propaganda und den Ideen großer Teile der Bevölkerungen wird immer größer. Dabei ist die immer und immer weiter gesteigerte Perfidie, mit der die Staaten und die bürgerlichen Medien jüdisches Leid und palästinensisches Leid gerade gegeneinander auszuspielen versuchen, nur Zeichen dieser wachsenden Krise ihrer Hegemonie. Das Potenzial zur Veränderung ist da, es braucht nun ein Programm und eine Organisation.

Klar muss sein, dass jegliche Repression gegen Palästinasolidarität verurteilt und bekämpft gehört. Wir fordern eine sofortige Rücknahme des Verbots von Samidoun, eine lückenlose Aufklärung aller Fälle von polizeilicher Willkür und Gewalt. Wir fordern zudem eine entscheidende außenpolitische Wende in Deutschland und allen Ländern der NATO, die einhergeht mit einem sofortigen Ende aller militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung des von der israelischen Armee gegenwärtig durchgeführten Genozids an der palästinensischen Bevölkerung in Gaza. Die Waffen der IDF müssen auf der Stelle schweigen, die Truppen müssen sich aus Gaza zurückziehen und der Zugang schneller humanitärer Unterstützung sowie Wasser, Strom und Internet darf nicht eingeschränkt werden. Die sich seit Kriegsbeginn im Schatten der Ereignisse in Gaza weiter radikalisierende Gewalt durch bewaffnete Siedler:innen in der Westbank unter den wohlwollenden Augen der israelischen Besatzungstruppen muss ebenfalls sofort enden. Die Mauern und Grenzposten müssen fallen. Dies kann nur gelingen, wenn die eigentlichen Interessen der Bundesregierung und der NATO in der Region von der Bewegung erkannt werden, nämlich dass Israel ihr Hauptstützpunkt und Verteidiger ihrer imperialistischen Interessen in der Region ist und dass deshalb ein Kampf für ein Ende des Krieges gegen Gaza und ein freies Palästina untrennbar verbunden ist mit einem Kampf gegen die eigene herrschende Klasse vor Ort.

Solidarität muss praktisch werden

Dieser Kampf kann am effektivsten geführt werden, wenn er sich der Machtmittel und Kampfmethoden der Arbeiter:innenbewegung bedient. Auch in Israel müssen die Arbeiter:innen gegen die halbfaschistische Netanjahu-egierung, für einen sofortigen Waffenstillstand und ein Ende von Besatzung und Apartheid auf die Straße gehen. Jüdische Sicherheit kann es nur geben, wenn die Palästinenser:innen nicht mehr länger vom israelischen Staat unterdrückt werden und gleiche Rechte erhalten. Beispiele, wie wirksam eine internationale Solidarität der Arbeiter:innen sein kann, können wir dieser Tage in Belgien und Spanien beobachten. Die belgischen Luftfahrtgewerkschaften, haben ihre Mitglieder aufgerufen, Flugzeuge, die mit Waffen beladen sind und nach Israel fliegen sollen, nicht zu beladen und starten zu lassen. Die Hafenarbeiter:innen in Barcelona, haben sich geweigert Militärhilfen, die für Israel bestimmt waren, zu verladen. Auch hierzulande müssen die Gewerkschaften sofort ihre chauvinistischen Positionen ändern und sich fortan konsequent für die Interessen der Unterdrückten einsetzen. Ein Aufruf der DGB-Gewerkschaften an Hafen- und Flughafenarbeiter:innen, sich zu weigern, die beschlossenen 303 Millionen Euro deutsche Rückstungsexporte an Israel zu verladen und zu transportieren, wäre ein wirkungsvolles Zeichen gegen den Krieg. Lasst uns für dieses Programm also nicht nur auf die Straße gehen, sondern auch in unseren Gewerkschaften oppositionelle Fraktionen bilden und um die Führung streiten!

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