München: „Wir stehen hier nur dank uns selbst, dank unserem unnachgiebigen Widerstand gegen ihre Repression“

29.10.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Klasse Gegen Klasse

Wir dokumentieren die Rede von RIO, die am 28. Oktober auf der Abschlusskundgebung der Demo „All out for Palestine: Für einen sofortigen Waffenstillstand“ in München gehalten wurde.

„Es ist nicht immer leicht, seinem moralischen Kompass zu folgen. Aber wenn er nach Norden zeigt – in Richtung Entkolonialisierung und Befreiung –, dann wird der Weg mit großer Wahrscheinlichkeit durch einen Nebel giftiger Propaganda führen.“ Mit diesen treffenden Worten richtete sich der jüdische Historiker Ilan Pappé am 10. Oktober an die Öffentlichkeit. Wir stehen nun nach drei Wochen vor einer Situation, die klarer denn je ist. Gestern waren es über 7.000 Palästinenser:innen, darunter mehr als 2.000 Kinder, die durch die Luftangriffe der israelischen Armee ermordet wurden. Nun wurde Gaza aus dem Internetzugang ausgeschlossen, damit das Massaker unsichtbar wird.

Die Bundesregierung, die selbsternannte Fortschrittskoalition, steht geschlossen hinter dem genozidalen Krieg von Israel. Sie betrachtet den Krieg des israelischen Staates gegen die palästinensische Bevölkerung als Akt der Selbstverteidigung und erteilt der Netanjahu-Regierung einen Freifahrtschein für jegliches Kriegsverbrechen. Die kollektive Bestrafung der Bevölkerung von Gaza ist keine Selbstverteidigung, sondern ein Kriegsverbrechen. Doch die Ampel-Regierung äußert sich nicht zu den massiven Luftangriffen und der totalen Blockade von Wasser, Strom, Treibstoff und Internet. Sie schaut also nicht weg, während in Gaza ein Genozid stattfindet. Sie ermutigt und befähigt die israelische Regierung dazu, ihre Mission reibungslos zu vollbringen. Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung für das Kriegsverbrechen. Sie hat dabei die Rückendeckung aller Parteien des Bundestages, von der Linkspartei bis zur AfD, die mit ihr eine Erklärung in Solidarität mit Israel unterzeichnet haben.

Angesichts der Bodenoffensive ist ein Waffenstillstand eine grundlegende humanitäre Forderung. Eine Schande ist dabei die Ampel-Regierung, die sich dieser Forderung der Vereinten Nationen entgegenstellt. Es ist jedoch keine Überraschung, wenn man sich vor Augen führt, dass Deutschland der wichtigste Handelspartner in der EU und einer der größten Waffenlieferanten Israels ist. Deutschland versucht, über den hochgerüsteten Staat Israel Einfluss im Nahen Osten auszuüben. In einer ähnlichen imperialistischen Form agiert es in der demokratischen Republik Kongo, wo ein stiller Genozid – wie es die junge Diaspora bezeichnet – stattfindet und worüber geschwiegen wird, um den wahren Charakter von seinem Business zu vertuschen.

Es wird behauptet, der Schutz des jüdischen Lebens sei die deutsche Staatsräson. Die angebliche Solidarität der deutschen Regierung im Kampf gegen Antisemitismus konzentriert sich jedoch ausschließlich auf die Repression palästinensischer Solidarität. Es ist eine rassistische Schikane, wenn man berücksichtigt, dass die Straftaten gegen Jüd:innen zu 93 Prozent von Rechtsradikalen verübt werden. Der rechte Terror wird zum Einzelfall, doch die muslimischen Menschen werden unter Generalverdacht gestellt. Olaf Scholz übernimmt die Forderungen von AfD und Co., indem er „schneller abschieben“ will. Die Unterstützung eines Apartheidsstaates wie Israel hat nichts mit Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung in Israel zu tun. Die deutsche politische wie mediale Landschaft, von der Regierung bis hin zu Zeitungen, reproduziert den Antisemitismus, indem sie die Jüd:innen mit dem zionistischen Staat gleichsetzt und den genozidalen Krieg der ultrarechten Netanjahu-Regierung der jüdischen Bevölkerung zuschreibt.

Wir stehen hier für den Frieden in Palästina, dessen Befreiung nur mit arabischen und jüdischen Arbeiter:innen zusammen erreicht werden kann. Wir haben keine Illusionen in derartige Vertreter:innen, die unter Menschlichkeit nichts begreifen und ihre verbrecherische Moral erneut bewiesen haben. Wenn wir heute hier stehen, ist es nicht dank ihrer „demokratischen Gesinnung“. Wir stehen hier nur dank uns selbst, dank unserem unnachgiebigen Widerstand gegen ihre Repression.

Die letzten Wochen haben uns gezeigt: Wenn wir etwas erreichen wollen, müssen wir uns organisieren und uns versammeln, das Schicksal selbst in die Hand nehmen. Denn den Kampf für den Frieden in Palästina, in der Region und weltweit werden wir nie gewinnen, solange die Vertreter:innen der kapitalistischen Großunternehmen das Sagen haben. Unsere Mobilisierung beruht auf einer wahrhaften internationalen Solidarität, einer revolutionären Moral der Befreiung, die im Bundestag von keiner Partei vertreten wird. Unsere Solidarität zeigt sich auf den Straßen der ganzen Welt, von London bis Bagdad, von Seoul bis nach Paris, von Buenos Aires über New York, wo Hunderttausende dem palästinensischen Volk die Hand reichen.

Doch wie kommen wir dazu, tatsächlich einen Einfluss auf die Kriegsgeschehnisse zu haben? In Kent, England, haben Gewerkschafter:innen die Toren einer Fabrik von Elbit Systems, einem israelischen Waffenproduzent, blockiert und konnten damit die Ausfuhr von Drohnen und Geschütz bremsen. Sie folgten dabei dem Aufruf palästinensischer Gewerkschaften, die militärische Unterstützung zu verhindern, da – Zitat – „Gerechtigkeit für und die Befreiung der Palästinenser:innen ein weltweiter Kampf“ sei. Diesem Aufruf muss die gesellschaftliche Linke folgen, statt sich der imperialistischen Linie der Ampel unterzuordnen, wie es aktuell die DGB-Führung und die Partei DIE LINKE machen. Der Kampf gegen rechts, für die Verteidigung demokratischer Rechte und die Solidarität mit Palästina gehen Hand in Hand.

Wir kämpfen für ein sozialistisches Palästina der Arbeiter:innen, in dem alle Menschen unabhängig von Religion und Herkunft gemeinsam leben können, in einer sozialistischen Föderation in Westasien. Denn nur ein sozialistischer Staat, der das Ende aller Unterdrückung und Ausbeutung zum Ziel hat, kann das friedliche Zusammenleben und das Rückkehrrecht der palästinensischen Geflüchteten garantieren. Die Versammlungen müssen fortgesetzt werden, damit nicht nur die Stimmen der Kriegstreiber hörbar sind. Wir schlagen vor, diese Versammlungen auf die Universitäten und Betriebe auszuweiten, um diejenigen zu erreichen, die mit ihrer Kampfkraft den Kriegskurs der deutschen Bundesregierung stoppen können.

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