Mexiko-Stadt: Verfassungsgebende Versammlung mit Antikapitalist*innen?

05.04.2016, Lesezeit 5 Min.
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Die Hauptstadt von Mexiko bekommt im Rahmen einer politischen Reform eine eigene Verfassung. Die dafür einberufene Verfassungsgebende Versammlung soll von vorne bis hinten vom politischen Establishment kontrolliert werden. Zwei Antikapitalist*innen überwinden jedoch immer mehr undemokratische Hürden, um die Stimme der Arbeiter*innen, Jugendlichen und Frauen zu vertreten.

Sergio Moissen und Salem Estrada sind Lehrer*innen, ersterer an der Universität und letztere an einer Oberschule. Und sie sind Revolutionär*innen von der Bewegung sozialistischer Arbeiter*innen (MTS). Damit unterscheiden sie sich grundlegend von den meisten Kandidat*innen, die Teil der Verfassungsgebenden Versammlung von Mexiko-Stadt sein wollen. 40 der 100 Vertreter*innen werden von der Bundesregierung um Enrique Peña Nieto von der Partido Revolucionario Institucional (PRI) und dem Bürgermeister Miguel Ángel Mancera der Partido de la Revolución Democrática (PRD) bestimmt.

Nur die restlichen 60 werden per Wahl von der Bevölkerung bestimmt. Doch um sich zur Wahl stellen zu können, werden unabhängigen Kandidat*innen zahlreiche Hürden auferlegt. So mussten sie innerhalb eines Monats fast 75.000 Unterschriften sammeln. Was für „unabhängige“ Unternehmer*innen oder mit dem Establishment verbundene Politiker*innen kein Problem darstellt, trifft besonders die linken Organisationen hart.

Damit soll garantiert werden, dass diese Konstituente möglichst wenig Freiheiten genießt. Der Reformprozess wurde angestoßen, um Mexiko-Stadt mehr Autonomie und Souveränität zu verleihen und ihn in den 32. Bundesstaat zu verwandeln. Bisher untersteht die Stadt als „Distrito Federal“ direkt der Bundesregierung. Am Ende dieses Prozesses soll eine neue Verfassung für Mexiko-Stadt stehen, die von einer Verfassungsgebenden Versammlung Anfang 2017 erarbeitet werden soll.

Dabei handelt es sich bei der gesamten geplanten Reform um eine kosmetische Veränderung, die den drei etablierten Parteien – der PRI, der PRD und der Partido Acción Nacional (PAN) – in die Hände spielt. Der demokratische Anstrich soll dazu dienen, der zutiefst hinterfragten politischen Kaste neue Legitimität zu verleihen.

Doch zu eng sind die Verbindungen zwischen den Politiker*innen und den Drogenkartellen, vom Repressionsapparat des Staates und der organisierten Kriminalität. Das Verschwinden von 43 Studierenden im September 2014, bei dem das Zusammenspielen von Polizei, Politik und Drogenbanden offensichtlich wurde, wurde zu einem emblematischen Fall und löste eine massive demokratische Bewegung aus. Doch immer noch finden täglich Frauenmorde statt, werden Unschuldige entführt und ermordet. Prekarisierung, Überausbeutung und Verfolgung gewerkschaftlicher Aktivist*innen sind Alltag, besonders an der Grenze zu den USA. Gleichzeitig wird jeder Protest gegen diese schreckliche Realität mit Repression niedergeschlagen.

All das führt dazu, dass der Widerstand der Arbeiter*innen und Jugendlichen wächst. Immer wieder stellen sich die Jugendlichen im Kampf für mehr demokratische Rechte der Polizei entgegen. Im ganzen Land kämpfen die Lehrer*innen gegen die neoliberale Bildungsreform. Auch in den Fabriken im Norden des Landes brechen Streiks für bessere Bezahlung und gewerkschaftliche Organisierung aus.

Um diesen Kämpfen Gehör zu verschaffen, nahmen sich Moissen und Estrada vor, die undemokratischen Hürden zu überwinden und als Vertreter*innen der Ausgebeuteten und Unterdrückten Teil der Verfassungsgebenden Versammlung zu sein. Mit einer enormen Kampagne in den Schulen, Universitäten, Arbeitsplätzen und öffentlichen Plätzen konnten sie eine erste Hürde überspringen: Sie sammelten 95.000 Unterschriften, um zur Wahl zugelassen zu werden.

Dabei stellten sie ein Programm auf, das die großen Probleme der arbeitenden Bevölkerung in Mexiko-Stadt behandelt: Politiker*innen und Beamte sollen nur noch einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn erhalten. Sie treten für gleichen Lohn für gleiche Arbeit ein, für gute Arbeitsbedingungen und ein Ende der prekären Beschäftigung. Sie kämpfen für den Stopp der Gewalt an Frauen und LGBTI und der Kriminalisierung der sozialen Proteste. Sie fordern einen Haushalt, der von den Kapitalist*innen bezahlt und von der arbeitenden Bevölkerung kontrolliert wird, guten und bezahlbaren Wohnraum, kostenlose öffentliche Bildung sowie die Verstaatlichung des öffentlichen Nahverkehrs unter Arbeiter*innenkontrolle.

Auch wenn sie Teil dieser Verfassungsgebenden Versammlung sein wollen, verurteilen sie den undemokratischen Charakter derselben aufs schärfste. Sie sagen, dass sie wie jede Wahlen in der bürgerlichen Demokratie eine Täuschung der arbeitenden Bevölkerung sind und auf die Interessen der nationalen und imperialistischen Konzerne ausgerichtet sind. Ihr Gegenvorschlag ist eine wirklich freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung, die aus jederzeit abwählbaren Delegierten besteht. Die Herrschenden wollen in ihrer Versammlung verhindern, dass die wirklichen Probleme der Bevölkerung diskutiert und konkrete Maßnahmen gegen das alltägliche Elend der Massen beschlossen werden. Dazu gehört auch die Notwendigkeit, die Abhängigkeit vom Imperialismus zu beenden.

Ein solches Projekt kann nur durch die Mobilisierung der Arbeiter*innen und Jugendlichen erreicht werden. Mit den 95.000 gesammelten Unterschriften haben Moissen und Estrada einen wichtigen Schritt gemacht, diese revolutionäre Perspektive zu verbreiten.

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