„Mega-Streik“ im Verkehr: Branchen­übergreifende Erzwingungsstreiks vorbereiten!

25.03.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Maxi Schulz

Am Montag steht einer der größten Streiks in Deutschland seit Jahrzehnten an. Große Teile des Verkehrssektors und Teile des öffentlichen Dienstes sollen stillstehen. Dies kann ein Ausgangspunkt sein, unbefristete Streiks für Inflationsausgleich und eine ökologische Verkehrswende vorzubereiten.

Einen Streik dieser Dimension hat es in Deutschland wohl zuletzt Anfang der 1990er Jahre gegeben: Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) rufen die Beschäftigten im Öffentlichen Nahverkehr, der Deutschen Bahn, an sieben Flughäfen, der Binnenschifffahrt und den Autobahngesellschaften ab Montag 0 Uhr auf, für 24 Stunden in den Warnstreik zu treten. Zudem sind in einigen Bundesländern auch Teile der öffentlichen Verwaltung, Kitas und Krankenhäuser zum Streik aufgerufen. Schon in der vergangenen Woche haben 400.000 Kolleg:innen aus dem öffentlichen Dienst die Arbeit niedergelegt. Der gemeinsame Streik im Verkehrssektor soll nun Druck machen vor dem dritten Verhandlungstermin zur Tarifrunde im öffentlichen Dienst (TVöD). Ver.di fordert für die 2,5 Millionen Beschäftigten 10,5 Prozent, aber mindestens 500 Euro mehr monatlich. Die EVG fordert für 180.000 Kolleg:innen bei der Deutschen Bahn, ihren Subunternehmen und weiteren Eisenbahnunternehmen 12 Prozent, aber mindestens 650 Euro zusätzlich.

Mit den gemeinsamen Streiks in verschiedenen Bereichen des Personenverkehrs, die das ganze Land lahmlegen dürften, zeigen die Gewerkschaften ihr Potenzial an, um tatsächlich einen Inflationsausgleich zu erkämpfen. Sie dürfen sich bei den anstehenden Verhandlungen oder einer möglichen anschließenden Schlichtung nicht darauf einlassen, Abschlüsse unterhalb der Forderungen einzugehen. Damit die Kolleg:innen mit einem realen Lohnplus aus der Tarifrunde gehen, müssen ver.di und EVG schon jetzt Betriebsversammlungen und Urabstimmungen für Erzwingungsstreiks vorbereiten. Bisher beschränkt sich das „Angebot“ der Kommunalen Arbeitgeberverbände für den TVöD laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gerade mal auf 5,08 Prozent auf 27 Monate und Einmalzahlungen von 2.500 Euro, verteilt auf zwei Jahre. Dies würde bei einer Inflation von momentan 8,7 Prozent einen deutlichen Lohnverlust bedeuten.

Angriffe auf das Streikrecht

Das fehlende Entgegenkommen von Bund und Kommunen geht einher mit einer Diffamierung der Streiks durch Politik und Unternehmensverbände. Vor einigen Wochen hatte die Mittelstands- und Wirtschaftsunion bereits gefordert, das Streikrecht bei Verkehr, Energie und Rettungsdiensten einzuschränken. Zum anstehenden Mega-Streik am Montag meinte Stefan Kampeter von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände: „Wer so handelt, handelt unverhältnismäßig und gefährdet die Akzeptanz für das Streikrecht“. In eine ähnliche Richtung ging Markus Jerger vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft: „Unternehmen und Bevölkerung dürfen nicht in Geiselhaft genommen werden für Forderungen, die in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht zielführend sind“.

Dass nicht genug Geld für den öffentlichen Dienst und die Verkehrsbeschäftigten vorhanden wäre, ist angesichts einer Aufrüstung von mehr als 100 Milliarden Euro eine offensichtliche Lüge. Es zeigt umso mehr, dass wir als ver.di uns mit den Streiks auch gegen die Militarisierung und die Waffenlieferungen richten müssen. Unter den Bedingungen des Krieges wird die Bundesregierung so wenige Zugeständnisse wie möglich machen. Die Gewerkschaftsvorstände werden unter diesen Umständen auch kaum das Risiko einer weiterführenden Eskalation der Streiks in Kauf nehmen wollen. Während einer möglichen Schlichtungsphase im öffentlichen Dienst muss daher in Betriebsversammlungen Druck auf die Führung für Erzwingungsstreiks aufgebaut werden, um keine faulen Kompromisse eingehen zu müssen. Ein Abschluss ohne weitere Streiks käme quasi einem Streikverbot gleich, erzwungen durch die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung der Gewerkschaftsbürokratie. Das Verhandlungsergebnis bei der Post hat dies schmerzlich bewiesen, als die ver.di-Tarifkommission einfach weiter verhandelte, obwohl 86 Prozent der Mitglieder für einen Erzwingungsstreik gestimmt hatten. Statt die volle Kraft des Streiks zu nutzen, legte die ver.di-Führung ein Ergebnis vor, dass in der Entgelttabelle unter der Inflation liegt.

Streik für ökologische Verkehrswende

Dass die Gewerkschaftsführungen trotz allem am Montag zum „Mega-Streik“ aufrufen, zeigt den Druck, den sie haben, angesichts der Einschnitte der Inflation, vorzeigbare Abschlüsse im öffentlichen Dienst zu erzielen. Der Streiktag bedeutet auch eine wichtige Politisierung der Tarifrunden, da es nicht mehr nur um einen Inflationsausgleich geht, sondern um den Verkehrssektor als Ganzes. Schon heute herrscht bei Bahn und Nahverkehr Personalmangel. Ein Drittel aller Bus- und Straßenbahnfahrer:innen ist über 55 Jahre alt und wird in den kommenden Jahren aus dem Beruf ausscheiden, während nicht genug junge Beschäftigte nachrücken. Eine ökologische Verkehrswende ist mit der wachsenden Personalnot kaum zu machen. Umso wichtiger sind höhere Löhne für die Beschäftigten, besonders für Azubis, damit der Job attraktiver wird.

Daher wird sich auch Fridays For Future (FFF) erneut an den Streikdemonstrationen im Verkehrssektor beteiligen. Im Aufruf der Klimabewegung heißt es: „Die Verkehrswende muss schnell umgesetzt werden. Das ist nur möglich, wenn Bus- und Bahnfahrer*innen von ihrer Arbeit leben können. Darum unterstützen wir die ÖPNV-Beschäftigten bei ihrem Streik.“ Zudem fordert sie massive Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, um die Kapazitäten bis 2030 zu verdoppeln. Zuletzt kritisierte auch FFF-Aktivistin Luisa Neubauer die Ampel-Koalition für ihre zögerliche Haltung bei der Verkehrswende. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) forderte sie zum Rücktritt auf. Sie warf ihm vor, mit dem Neubau von Autobahnen aktiv gegen eine ökologische Verkehrswende zu arbeiten.

Tatsächlich zeigt die Bundesregierung mit ihrer Politik für die Autoindustrie und die Energiekonzerne, wo ihre Prioritäten liegen. So ordnete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nach einem Deal mit RWE die Räumung von Lützerath an. Eine soziale und ökologische Verkehrs- und Energiewende ist nur gegen die Interessen der Regierung und Konzerne zu erkämpfen. Das macht die Streiks im Verkehr umso wichtiger. Sie zeigen, wie die Arbeiter:innen nicht nur die Bedingungen in diesem Sektor mit Streiks verbessern können. Sie haben auch das Fachwissen, um die Verkehrswende selbst zu gestalten und die Mobilität den Profitinteressen zu entziehen. Öffentliche Verkehrsbetriebe gehören daher in staatliche Hand unter Kontrolle der Beschäftigten. Der „Mega-Streik“ am Montag muss auch im April fortgesetzt werden, am besten als Erzwingungsstreik zusammen mit anderen Branchen. Es gilt, sich ein Beispiel zu nehmen an der großen Streikbewegung in Frankreich, die seit Wochen Millionen auf die Straßen bringt. Die Arbeiter:innen zeigen, dass sie durch branchenübergreifende Streiks, über deren Fortführung sie täglich auf Versammlungen entscheiden, die unpopuläre Rentenreform in Frage stellen können. In Berlin solidarisierten sich bereits die Streikdelegierten des öffentlichen Dienstes mit den Protesten in Frankreich. Wenn hierzulande Post, Krankenhäuser, Kitas, öffentliche Verwaltung, Müllentsorgung, Altenpflege, Lehrkräfte, Schifffahrt, Flughäfen, Nah- und Fernverkehr, Feuerwehren und weitere Bereiche gemeinsam streiken, können sie einen Inflationsausgleich durchsetzen und eine Perspektive gegen Profitorientierung und Kriegspolitik aufwerfen.

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